HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 811
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 5/24, Beschluss v. 06.05.2024, HRRS 2024 Nr. 811
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 27. Juli 2023
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte im Fall I.2. Tat 3 der Urteilsgründe des Handeltreibens mit Cannabis schuldig ist;
b) aufgehoben im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall I.2. Tat 3 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Urkundenfälschung, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Es hat zudem gegen ihn ein Fahrverbot von drei Monaten verhängt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die Revision, mit der der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Der Erörterung bedarf lediglich das Folgende:
Der Verurteilung des Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG im Fall I.2. Tat 3 der Urteilsgründe liegen folgende Feststellungen zugrunde:
Der Angeklagte baute mit Hilfe einer professionellen Aufzuchtanlage im Keller des von ihm mitbewohnten Mehrfamilienhauses insgesamt 22 Cannabispflanzen an. Der Ertrag der Pflanzen sollte - nach deren Aberntung - ausschließlich dem gewinnbringenden Weiterverkauf dienen. Im erntereifen Zustand hätten die 22 Pflanzen zusammen einen Ertrag an konsumfähigem Cannabismaterial von 550 g mit einer Wirkstoffmenge von 27,5 g THC erbracht.
Die auf die Revision des Angeklagten veranlasste Nachprüfung des Urteils führt zu der durch das Inkrafttreten des Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I 2024, Nr. 109 - Cannabisgesetz) erforderlich gewordenen Neufassung des Schuldspruchs in diesem Fall und zur teilweisen Aufhebung des Strafausspruchs.
1. Der Senat hat seiner Entscheidung gemäß § 2 Abs. 3 StGB, § 354a StPO die durch das Cannabisgesetz eingeführten und für den Angeklagten günstigeren Straftatbestände des § 34 KCanG zugrunde zu legen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24 Rn. 4; Beschluss vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24 Rn. 4).
Danach hat sich der Angeklagte im Fall I.2. Tat 3 der Urteilsgründe auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen wegen Handeltreibens mit Cannabis gem. § 34 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 4 KCanG schuldig gemacht. Da sich die Bezeichnung der strafbar bleibenden Handlungsformen im KCanG an den Begrifflichkeiten des BtMG orientiert (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 130), ist für die Auslegung des Begriffs des Handeltreibens in § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG die zu dem gleichlautenden Tatbestandsmerkmal in § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ergangene Rechtsprechung entsprechend heranzuziehen. Danach ist als Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4, § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG jede eigennützige auf dessen Umsatz gerichtete Tätigkeit anzusehen (vgl. dazu nur BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 - GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 256; weitere Nachweise bei O?lakc?o?lu in MüKo-StGB, 4. Aufl., § 29 BtMG Rn. 213 mwN in Fn. 438), sodass auch der Anbau von Cannabis zum Zweck des späteren gewinnbringenden Weiterverkaufs als Handeltreiben mit Cannabis zu bezeichnen ist (vgl. dazu nur BGH, Urteil vom 2. November 2022 ? 6 StR 239/22, NStZ 2023, 681 Rn. 9 mwN). Der Senat ändert daher den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 i.V.m. § 354a StPO ab (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24 Rn. 5 f.). § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der - den Anbau der Cannabispflanzen einräumende - Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
2. Die Einzelstrafe von neun Monaten, die das Landgericht in diesem Fall ausgehend von seiner rechtlichen Würdigung der Tat als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verhängt hat, kann nicht bestehen bleiben, weil der Regelstrafrahmen des § 34 Abs. 1 KCanG deutlich niedrigere Mindest- und Höchststrafen vorsieht, als der vom Landgericht zugrunde gelegte Strafrahmen des § 29a Abs. 2 BtMG. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anwendung des Strafrahmens des § 34 Abs. 1 KCanG auf eine niedrigere Einzelstrafe erkannt hätte (§ 337 StPO), auch wenn bei Vorliegen eines besonders schweren Falls die Anwendung des Strafrahmens des § 34 Abs. 3 Satz 1 KCanG naheliegend erscheint.
3. Das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht wird bei der gebotenen Prüfung, ob die Voraussetzungen eines besonders schweren Falles nach § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG gegeben sind, das Folgende zugrunde zu legen haben:
a) Der Grenzwert der nicht geringen Menge im Sinne der Vorschrift liegt bei 7,5 g THC. Der Senat sieht weder Anlass noch Möglichkeit, den bislang unter der Geltung des BtMG für Cannabisprodukte anerkannten Grenzwert abweichend festzusetzen (so bereits BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24 Rn. 11 ff.; Beschluss vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 9. April 2024 - 5 Ws 19/24).
aa) Der Gesetzgeber hat - nicht anders als im Bereich des Betäubungsmittelgesetzes - die Bestimmung des konkreten Wertes einer nicht geringen Menge der Rechtsprechung überlassen. Soweit er hierzu ausgeführt hat, dass dieser Wert „abhängig vom jeweiligen THC-Gehalt des Cannabis (…) aufgrund der geänderten Risikobewertung zu entwickeln“ sei, „im Lichte der legalisierten Mengen“ an der bisherigen Definition „nicht mehr fest(ge)halten“ werden könne und der Grenzwert „deutlich höher“ angesetzt werden müsse (BT-Drucks. 20/8704, S. 132), kann dem zwar entnommen werden, dass dem Gesetzgeber ein höherer Grenzwert vor Augen stand, als er bisher von der Rechtsprechung unter der Geltung des BtMG für Cannabis angenommen worden ist. Der Senat vermag aber weder in tatsächlicher Hinsicht noch unter normativen Gesichtspunkten einen belastbaren Anknüpfungspunkt für eine von dem bisherigen Grenzwert abweichende Bestimmung zu finden.
bb) Bei der herkömmlichen Bestimmung des Grenzwertes der nicht geringen Menge für Cannabisprodukte hat sich der Bundesgerichtshof in tatsächlicher Hinsicht an der durchschnittlichen Konsumeinheit für einen Rauschzustand orientiert und diese gestützt vor allem auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse auf 15 Milligramm THC festgelegt. Das Vielfache der so bestimmten Konsumeinheit hat er mit der Maßzahl 500 bestimmt. Hiermit sollte die wesentlich geringere Gefährlichkeit von Cannabisprodukten im Verhältnis zu Heroin abgebildet, aber auch - angesichts der gegenüber § 29 Abs. 1 BtMG „außerordentlichen“ Verschärfung der Strafrahmen in § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG und insbesondere in § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG - den Unsicherheitsfaktoren bei der Bestimmung des THC-Gehalts einer durchschnittlichen Konsumeinheit Rechnung getragen werden. Auf dieser Grundlage errechnet sich die nicht geringe Menge als 500 Konsumeinheiten zu je 15 Milligramm, was 7,5 Gramm THC entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 - 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8 ff.). Dies hat der Bundesgerichtshof unter ausführlicher Auseinandersetzung mit neueren Erkenntnissen zur Gefährlichkeit von Cannabis insoweit bestätigt gesehen und am Grenzwert festgehalten (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24 Rn. 11 ff., 14; Beschluss vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24 Rn. 9 ff.; Beschluss vom 20. Dezember 1995 - 3 StR 245/95, BGHSt 42, 1 unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994 - 2 BvL 43/92, BVerfGE 90, 145).
Dass sich die wissenschaftlichen Grundlagen zur Einschätzung der Gefährlichkeit von Cannabis maßgeblich geändert hätten, lässt sich weder der Gesetzesbegründung entnehmen (vgl. zu den - fortbestehenden - gesundheitlichen Risiken vielmehr BT-Drucks. 20/8704, S. 68; siehe dazu auch HansOLG Hamburg, Beschluss vom 9. April 2024 - 5 Ws 19/24, juris Rn. 30) noch legen dies gutachterliche Stellungnahmen, die im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens von ärztlichen Verbänden und Gesellschaften abgegeben wurden, nahe (vgl. insbesondere die Stellungnahmen der Bundesärztekammer vom 30. Oktober 2023 [BT - Ausschuss f. Gesundheit, Ausschussdrucks. 20(14)154(11)], der Bundespsychotherapeutenkammer vom 19. Oktober 2023 [Ausschussdrucks. 20(14)154(1)], des Berufsverbandes der Kinderund Jugendärztinnen vom 20. Oktober 2023 [Ausschussdrucks. 20(14)154(4)], der Deutschen Gesellschaft für Kinderund Jugendmedizin e.V. vom 2. November 2023 [Ausschussdrucks. 20(14)154(30)], der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. vom 2. November 2023 [Ausschussdrucks. 20(14)154(27)] sowie die gemeinsame Stellungnahme mehrerer kinder- und jugendmedizinscher, -psychiatrischer und -psychotherapeutischer Fachverbände und -gesellschaften vom 2. November 2023 [Ausschussdrucks. 20(14)154(29)]).
cc) Auch unter normativen Gesichtspunkten bieten weder der Gesetzestext noch der den Gesetzesmaterialien entnehmbare Wille des Gesetzgebers einen Anhaltspunkt für eine abweichende Festsetzung des Grenzwertes (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24 Rn. 21). Soweit darauf abgehoben wird, dass der Erwerb von Cannabis im illegalen Handel wegen des unbekannten THC-Anteils oder möglicher „giftige(r) Beimengungen“ mit erhöhten Gesundheitsrisiken verbunden sei (vgl. BT-Drucks. 20/8704, S. 1 und 68) und deshalb ein verantwortungsvoller Umgang mit Cannabis auf der Grundlage eines (mengenlimitierten) Eigenanbaus oder eines nicht gewerblichen gemeinschaftlichen Anbaus mit kontrollierter Weitergabe erleichtert werden solle, kann dem lediglich ein Strategiewechsel in Bezug auf den angestrebten Schutz der Volksgesundheit vor den Gefahren des Cannabiskonsums entnommen werden.
Vor diesem Hintergrund haben auch die den Eigenanbau rechtlich erst ermöglichenden und auf Rohmengen oder Pflanzenzahlen bezogenen Besitz- und Anbauerlaubnisse in § 3 Abs. 1 und 2 KCanG sowie § 9 Abs. 1 KCanG keine weitergehende Aussagekraft. Die sich daraus ergebenden sog. legalisierten Mengen sind unabhängig von ihrem THC-Anteil und folgen einem anderen Regelungsregime. Normative Anknüfungspunkte für die Bewertung von für den illegalen Markt vorgesehenen Handelsmengen - wie hier - enthalten sie nicht (vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24 Rn. 19; Beschluss vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24 Rn. 21 ff.; HansOLG Hamburg, Beschluss vom 9. April 2024 - 5 Ws 19/24, juris Rn. 28 ff.).
b) Nicht anders als unter der Geltung des BtMG kommt es beim Anbau von Cannabispflanzen zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs der Ernteerträge für die Frage, ob sich das darin liegende Handeltreiben mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG auf eine nicht geringe Menge im Sinne des § 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG „bezieht“, auf die Menge an, die mit der bereits begonnenen Aufzucht letztlich erzielt und gewinnbringend veräußert werden soll (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 ? 3 StR 407/12, NStZ 2013, 546 Rn. 27 ff. mwN).
4. Im Übrigen hat die revisionsrechtliche Prüfung des angefochtenen Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 811
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede