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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 445

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 351/24, Beschluss v. 14.01.2025, HRRS 2025 Nr. 445


BGH 4 StR 351/24 - Beschluss vom 14. Januar 2025 (LG Münster)

Einfuhr von Cannabis (Formulierung des Schuldspruchs); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Erfolgsaussichten der Therapie: Wahrscheinlichkeit höheren Grades, Gesamtwürdigung, positive Feststellung der Erfolgsaussicht, Erörterungsmangel).

§ 64 StGB; § 67d StGB; § 34 KCanG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach § 64 Satz 2 StGB darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur angeordnet werden, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen. Mit der Neufassung der Vorschrift ist jetzt eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ vorausgesetzt.

2. Die Beurteilung einer derartigen Erfolgsaussicht ist im Rahmen einer richterlichen Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonst maßgeblichen, also prognosegünstigen und -ungünstigen Umstände vorzunehmen. Für die Gesamtwürdigung sind namentlich Behandlungsfähigkeit und Behandlungsbereitschaft in den Blick zu nehmen. Es geht in erster Linie um in der Person und Persönlichkeit des Täters liegende Umstände, insbesondere solche, die seine Sucht und deren Behandlungsfähigkeit unmittelbar kennzeichnen - also vor allem Art und Stadium der Sucht, bereits eingetretene physische und psychische Veränderungen und Schädigungen, frühere Therapieversuche sowie eine aktuelle Therapiebereitschaft.

3. Das Fehlen von prognoseungünstigen Gesichtspunkten genügt regelmäßig nicht; vielmehr ist für die gebotene positive Feststellung der Erfolgsaussicht erforderlich, dass gleichzeitig hinreichend gewichtige Gründe für die Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolges sprechen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 11. April 2024

a) im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte des versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen und Körperverletzung sowie des Diebstahls und der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Einfuhr von Cannabis schuldig ist,

b) im Ausspruch über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und über den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlich zusammenhängenden Fällen und Körperverletzung sowie wegen Diebstahls und wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Einfuhr von Cannabis in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe angeordnet. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Schuldspruch in Fall II. 3 der Urteilsgründe war zu ändern.

Das Landgericht hat die Tat hinsichtlich der 81 Gramm Marihuana (15,39 Gramm THC) zutreffend als Einfuhr von Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 5 KCanG bewertet. Dass sich die Tat auf Cannabis in nicht geringer Menge bezieht, stellt lediglich ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall dar (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG), der im Schuldspruch nicht zum Ausdruck zu bringen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 2024 - 4 StR 470/23 Rn. 5; Beschluss vom 11. September 2024 - 4 StR 317/24 Rn. 4). Der Senat berichtigt den Schuldspruch entsprechend (§ 354 Abs. 1 StPO analog).

2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat keinen Bestand, da eine hinreichend konkrete Behandlungsaussicht nicht belegt ist.

a) Nach § 64 Satz 2 StGB darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nur angeordnet werden, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte zu erwarten ist, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Abs. 1 Satz 1 oder 3 StGB zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen. Mit der Neufassung der Vorschrift sind die Anforderungen an die günstige Behandlungsprognose „moderat angehoben“ worden, indem jetzt eine „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“ vorausgesetzt ist. Die Beurteilung einer derartigen Erfolgsaussicht ist im Rahmen einer richterlichen Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonst maßgeblichen, also prognosegünstigen und -ungünstigen Umstände vorzunehmen (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 70; BGH, Beschluss vom 9. April 2024 - 4 StR 410/23 Rn. 7; Beschluss vom 22. November 2023 - 4 StR 347/23 Rn. 6). Für die Gesamtwürdigung sind namentlich Behandlungsfähigkeit und Behandlungsbereitschaft in den Blick zu nehmen. Es geht in erster Linie um in der Person und Persönlichkeit des Täters liegende Umstände, insbesondere solche, die seine Sucht und deren Behandlungsfähigkeit unmittelbar kennzeichnen - also vor allem Art und Stadium der Sucht, bereits eingetretene physische und psychische Veränderungen und Schädigungen, frühere Therapieversuche sowie eine aktuelle Therapiebereitschaft (BT-Drucks. 20/5913, S. 70).

b) Hieran gemessen sind die Erfolgsaussichten nicht tragfähig begründet.

Das Landgericht hat die Erwartung eines erfolgreichen Therapieabschlusses - der Sachverständigen folgend - darauf gestützt, dass der Angeklagte bislang suchtmäßig unbehandelt sei, es keine gescheiterten Therapieversuche gegeben habe und er bislang „keinerlei Problembewusstsein gehabt“ habe; er sei normal begabt und emotional stabil und weise keine hirnorganischen Veränderungen auf. Mit dieser Aufzählung benennt die Strafkammer im Wesentlichen nur das Fehlen von prognoseungünstigen Gesichtspunkten; die gebotene positive Feststellung der Erfolgsaussicht könnte sich hieraus erst dann ergeben, wenn gleichzeitig hinreichend gewichtige Gründe für die Wahrscheinlichkeit des Behandlungserfolges sprechen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 2023 - 4 StR 448/22 Rn. 5). Zudem lässt die Darlegung die gebotene Gesamtwürdigung nicht erkennen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 2024 - 4 StR 410/23 Rn. 8).

Die beweiswürdigenden Erwägungen des Landgerichts sind ferner lückenhaft, denn es erörtert nicht sämtliche aufgrund der Urteilsfeststellungen naheliegenden prognoseungünstigen Gesichtspunkte. So hat die Strafkammer den Umstand des langjährig verfestigten, polyvalenten Betäubungsmittelmissbrauchs des Angeklagten zwar für ihre Annahme eines Hanges in den Blick genommen, nicht jedoch erkennbar berücksichtigt, dass es sich hierbei um einen gewichtigen ungünstigen Faktor für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Therapie handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. November 2023 - 4 StR 347/23 Rn. 7; Beschluss vom 27. April 2023 - 4 StR 9/23 Rn. 13).

c) Die Anordnung der Unterbringung in eine Entziehungsanstalt hat daher keinen Bestand, sondern bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Aufhebung der Maßregelanordnung entzieht der Anordnung über den Vorwegvollzug die Grundlage. Die Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen, die zu den getroffenen nicht in Widerspruch stehen, sind zulässig.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 445

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede