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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 632

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 10/22, Beschluss v. 15.03.2022, HRRS 2022 Nr. 632


BGH 4 StR 10/22 - Beschluss vom 15. März 2022 (LG Bochum)

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Bewertungseinheit: natürliche Handlungseinheit, nicht einheitlicher Verkaufsvorrat); Bestimmen eines Minderjährigen zur Förderung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln.

§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 17. September 2021, soweit es ihn betrifft,

a) dahin geändert, dass der Angeklagte verurteilt wird

aa) im Fall III.2.j) (4) der Urteilsgründe wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von einem Monat;

bb) im Fall III.2.j) (6) der Urteilsgründe wegen Bestimmens eines Minderjährigen zur Förderung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in zwei tateinheitlichen Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten;

b) im Schuldspruch dahin neu gefasst, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 21 Fällen, des Bestimmens eines Minderjährigen zur Förderung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in zwei tateinheitlichen Fällen sowie des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 22 Fällen, davon in einem Fall in zwei tateinheitlichen Fällen, schuldig ist.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 23 Fällen und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 21 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zehn Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die mit der unausgeführten Sachrüge geführte Revision des Angeklagten erzielt einen ? geringfügigen ? Teilerfolg und führt zu einer Änderung des Schuldspruchs sowie zu einer Herabsetzung der Einzelstrafen in den Fällen III.2.j) (4) und (6) der Urteilsgründe; im Übrigen ist das Rechtsmittel aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Der Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Fällen III.2.j) (4) und (6) der Urteilsgründe hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Vielmehr ist der Angeklagte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen im Fall III.2.j) (4) der Urteilsgründe des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei tateinheitlichen Fällen und im Fall III.2.j) (6) der Urteilsgründe des Bestimmens eines Minderjährigen zur Förderung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig.

a) Nach den Feststellungen verkaufte der Angeklagte im Fall III.2.j) (4) der Urteilsgründe am 8. Januar 2021 fünf Gramm Kokain an einen Abnehmer, der eine Anzahlung auf den Kaufpreis leistete und den Rest anlässlich der am 11. Januar 2021 erfolgten Lieferung weiterer fünf Gramm Kokain bezahlte. Bei dieser Sachlage hat das Landgericht zwar im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass die im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung erfolgte Übergabe des Kokains und die gleichzeitige Entgegennahme des Kaufpreises für die vorangegangene Lieferung beide Umsatzgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit verbindet (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2019 ? 3 StR 448/18, NStZ-RR 2019, 250; Beschluss vom 10. Juli 2017 ? GSSt 4/17, BGHSt 63, 1, 10). Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegt jedoch keine Bewertungseinheit vor, weil beide Betäubungsmittelmengen nicht aus einem einheitlichen Verkaufsvorrat stammten. Der Angeklagte ist daher des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei tateinheitlichen Fällen gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG schuldig. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab; § 265 StPO steht nicht entgegen, weil der ? geständige ? Angeklagte sich nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

b) Nach den Feststellungen nahm der Angeklagte im Fall III.2.j) (6) der Urteilsgründe am 19. Januar 2021 eine erneute Bestellung seines Abnehmers über fünf Gramm Kokain entgegen. Wegen einer bevorstehenden Reise beauftragte der Angeklagte seinen 17 Jahre alten Sohn mit der Abwicklung des Geschäfts; dieser holte weisungsgemäß das Kokain bei dem Lieferanten des Angeklagten ab und händigte es dem Abnehmer „auf Kommission“ aus. Den geschuldeten Kaufpreis für dieses in seiner Abwesenheit ausgelieferte Kokain vereinnahmte der Angeklagte bei dem nachfolgenden weiteren Verkauf von fünf Gramm Kokain am 9. Februar 2021. Auch insoweit hält der Schuldspruch wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Feststellungen die Annahme einer Bewertungseinheit nicht tragen. Indem der Angeklagte aber seinen minderjährigen Sohn mit der Abwicklung des Betäubungsmittelgeschäfts beauftragte und dazu veranlasste, das Kokain von seinem Lieferanten gegen Entrichtung des Kaufpreises abzuholen und an seinen Abnehmer auszuhändigen, hat er den Verbrechenstatbestand des § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG verwirklicht und sich insgesamt des Bestimmens eines Minderjährigen zur Förderung des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in zwei tateinheitlichen Fällen (zum Konkurrenzverhältnis zwischen § 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG und § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2018 ? 3 StR 482/17, StV 2018, 482) schuldig gemacht. Dass nur der ? auch insoweit vollumfänglich geständige ? Angeklagte Revision eingelegt hat und das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) gilt, steht der Schuldspruchverschärfung nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2018 ? 3 StR 378/18, NStZ 2019, 417, 418).

2. Die Änderung der Schuldsprüche zieht die Aufhebung der verhängten Einzelstrafen von jeweils einem Jahr und zwei Monaten nach sich. Der Senat setzt aus Gründen der Prozessökonomie in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die Einzelstrafe im Fall III.2.j) (4) der Urteilsgründe auf das nach § 29 Abs. 1 BtMG, § 38 Abs. 2 StGB gesetzlich vorgesehene Mindestmaß von einem Monat, im Fall III.2.j) (6) der Urteilsgründe auf das bei Annahme eines minder schweren Falles im Sinne des § 30a Abs. 3 BtMG eröffnete Mindestmaß von sechs Monaten fest, um jede Beschwer des Angeklagten auszuschließen.

3. Die Herabsetzung der beiden Einzelstrafen lässt angesichts der Einsatzstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten und der verbleibenden 43 Einzelstrafen die Gesamtfreiheitsstrafe unberührt. An einer Entscheidung durch Beschluss war der Senat nicht gehindert, weil der Generalbundesanwalt zwar die Herabsetzung der Strafe im Fall III.2.j) (6) der Urteilsgründe auf einen Monat, insgesamt aber die Verwerfung des Rechtsmittels durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO beantragt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 ? 4 StR 389/21 mwN).

4. Der geringfügige Teilerfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 632

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß