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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1046

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 ARs 14/21, Beschluss v. 18.08.2022, HRRS 2022 Nr. 1046


BGH 4 ARs 14/21 - Beschluss vom 18. August 2022

Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Anrufung des Bundesgerichtshofs: Zulässigkeit, Erledigung des Ersuchens um Vollstreckungshilfe, Ausnahmefall, prozessuale Überholung, generelle Relevanz der Vorlegungsfrage, voraussichtlich keine rechtzeitige Entscheidung durch den Bundesgerichtshof in künftigen Fällen möglich).

§ 42 IRG

Entscheidungstenor

Die Sache wird an das Oberlandesgericht Köln zurückgegeben.

Gründe

I.

Mit seit 24. September 2015 rechtskräftigem Bußgeldbescheid vom 13. August 2015 hat das niederländische Centraal Justitieel Incassobureau wegen eines in Amsterdam begangenen Geschwindigkeitsverstoßes eine Geldsanktion in Höhe von 92 € gegen die in Deutschland ansässige W. GmbH verhängt. Im Juli 2017 haben die niederländischen Behörden in dieser Sache um Vollstreckungshilfe ersucht.

Auf Antrag des Bundesamtes für Justiz hat das Amtsgericht Bonn den niederländischen Bußgeldbescheid mit Beschluss vom 31. Mai 2019 für vollstreckbar erklärt und die verhängte Geldsanktion gemäß § 87i Abs. 1 Nr. 2 IRG in der bis zum 26. November 2020 geltenden Fassung in eine Geldbuße in Höhe von 92 € umgewandelt. Hiergegen hat die Betroffene Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Das Oberlandesgericht Köln hat das Rechtsmittel mit Beschluss vom 23. September 2020 zugelassen und das Verfahren gemäß § 77 Abs. 1 IRG, § 79 Abs. 3 OWiG, § 206a Abs. 1 StPO wegen Eintritts der Vollstreckungsverjährung eingestellt und zur Begründung ausgeführt, dass für den Beginn der dreijährigen Verjährungsfrist des § 87n Abs. 2 Satz 1 IRG i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 2 OWiG der Eintritt der Rechtskraft der ausländischen Entscheidung und nicht derjenige der deutschen Bewilligungsentscheidung maßgeblich sei.

Die zuständige niederländische Stelle hat das Rechtshilfeersuchen am 24. September 2020 zurückgenommen, da nach niederländischem Recht inzwischen Vollstreckungsverjährung eingetreten war.

Unter dem 28. April 2021 hat die Generalstaatsanwaltschaft Köln gemäß § 42 Abs. 2 IRG eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu der Frage beantragt, ob hinsichtlich des Beginns der Vollstreckungsverjährungsfrist des § 87n Abs. 2 IRG i.V.m. § 34 OWiG auf die Rechtskraft der ausländischen Entscheidung oder diejenige der deutschen Exequaturentscheidung abzustellen sei. Das Oberlandesgericht hat die Sache daher dem Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 27. Mai 2021 zur Entscheidung folgender Rechtsfrage vorgelegt:

„Ist hinsichtlich des Beginns der Vollstreckungsverjährung des § 87n Abs. 2 IRG in Verbindung mit § 34 OWiG auf die Rechtskraft der ausländischen Entscheidung oder die Rechtskraft der deutschen Exequaturentscheidung abzustellen?“ Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Sache an das Oberlandesgericht zurückzugeben.

II.

Die Sache ist an das Oberlandesgericht zurückzugeben, da die Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 IRG nicht gegeben sind.

Eine Vorlegung nach § 42 Abs. 2 IRG ist nur zulässig, wenn die Rechtsfrage für das anhängige Rechtshilfeverfahren von Bedeutung ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 11. März 1981 - 4 ARs 18/80, BGHSt 30, 55, 58 zu § 27 Abs. 2 DAG; Schierholt in Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., § 42 IRG Rn. 6). Dies ist in der Regel zu verneinen, wenn es auf diese Frage nicht mehr ankommen kann, weil die Voraussetzungen, die zu ihrer Vorlegung geführt haben, im Zeitpunkt der Entscheidung durch den BGH prozessual überholt sind (BGH, Beschluss vom 21. Juli 1988 - 4 ARs 18/88, NStZ 1988, 505). So liegt der Fall hier.

1. Das niederländische Ersuchen um Vollstreckungshilfe hat sich bereits vor Stellung des Antrags nach § 42 Abs. 2 IRG erledigt. Denn das vorlegende Oberlandesgericht hat das zugrundeliegende Rechtshilfeverfahren mit Beschluss vom 23. September 2020 wegen Vorliegens eines dauerhaften Verfahrenshindernisses gemäß § 77 Abs. 1 IRG, § 79 Abs. 3 OWiG, § 206a Abs. 1 StPO eingestellt. Überdies haben die niederländischen Justizbehörden das Rechtshilfeersuchen am 24. September 2020 zurückgenommen, sodass das zur Entscheidung vorgelegte Vollstreckungshilfeverfahren auch aus diesem Grund seine Erledigung gefunden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juli 1988 - 4 ARs 18/88, NStZ 1988, 505).

2. Ein Ausnahmefall, in dem die Zulässigkeit der Vorlage ungeachtet der Erledigung des zugrunde liegenden Rechtshilfeverfahrens zu bejahen wäre, liegt nicht vor.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können die Voraussetzungen des § 42 IRG in eng umgrenzten Ausnahmefällen auch dann gegeben sein, wenn die Rechtsfrage aufgrund prozessualer Überholung nicht (mehr) für das zugrunde liegende Auslieferungsverfahren von Bedeutung ist. Ein solcher Ausnahmefall wurde angenommen, wenn damit zu rechnen ist, dass sich die Vorlegungsfrage jederzeit wieder stellen kann, jedoch auch in den künftigen Fällen eine rechtzeitige Entscheidung durch den Bundesgerichtshof voraussichtlich nicht möglich sein wird (vgl. BGH, Beschluss vom 10. September 1985 - 4 ARs 10/85, BGHSt 33, 310, 314; Beschluss vom 21. Juli 1988 - 4 ARs 18/88, NStZ 1988, 505).

Es kann dahinstehen, ob diese Grundsätze für den Fall der prozessualen Überholung auch dann Anwendung finden, wenn der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft (§ 42 Abs. 2 IRG) - wie vorliegend - erst nach Erledigung des Rechtshilfeverfahrens gestellt wurde. Denn die Voraussetzungen eines solchen Ausnahmefalls liegen nicht vor.

Auch wenn sich die vorgelegte Rechtsfrage künftig wieder stellen sollte, ist nicht ersichtlich, dass sie einer rechtzeitigen Entscheidung durch den Bundesgerichtshof im Rahmen eines Vorlegungsverfahrens entzogen wäre. Nach Auskunft des Bundesamtes für Justiz erfolgt die Übermittlung niederländischer Vollstreckungshilfeersuchen bei (geringfügigen) Straßenverkehrsdelikten in der Regel fünf bis sechs Monate nach dem Eintritt der Rechtskraft. Selbst wenn für den Beginn der Vollstreckungsverjährung gemäß § 87n Abs. 2 IRG i.V.m. § 34 OWiG die Rechtskraft der ausländischen Entscheidung für maßgeblich erachtet würde, kann künftig in ähnlich gelagerten Fällen innerhalb der mindestens drei Jahre dauernden Vollstreckungsverjährungsfrist, von der nach der Übermittlung nach Deutschland noch etwa zweieinhalb Jahre verbleiben würden, eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs gemäß § 42 IRG eingeholt werden.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1046

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede