hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1282

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 95/21, Urteil v. 14.10.2021, HRRS 2021 Nr. 1282


BGH 4 StR 95/21 - Urteil vom 14. Oktober 2021 (LG Bochum)

Totschlag (besonders schwerer Fall: Vorliegen, bloße Nähe der kennzeichnenden Umstände zu gesetzlichen Mordmerkmalen, Berücksichtigung des Vor- und Nachtatgeschehens).

§ 212 Abs. 2 StGB; § 211 Abs. 2 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der besonders schwere Fall des Totschlags setzt voraus, dass das in der Totschlagstat zum Ausdruck kommende Verschulden des Täters so außergewöhnlich groß ist, dass die Ahndung aus dem Normalstrafrahmen von bis zu 15 Jahren nicht mehr ausreicht. Die Schuld muss ebenso schwer wiegen wie die eines Mörders.

2. Dafür genügt nicht schon die bloße Nähe der die äußere und innere Seite der Tötungstat kennzeichnenden Umstände zu gesetzlichen Mordmerkmalen. Fehlen die Voraussetzungen der in § 211 Abs. 2 StGB abschließend aufgezählten Mordmerkmale, so darf dies nicht dadurch unterlaufen werden, dass der Täter nach § 212 Abs. 2 StGB gleichwohl wie ein Mörder bestraft wird. Es müssen vielmehr schulderhöhende Gesichtspunkte hinzukommen, die besonders gewichtig sind und das Minus, welches sich im Zurückbleiben des Tötungsdelikts hinter den Mordmerkmalen zeigt, durch ein Plus an Verwerflichkeit auszugleichen vermögen.

3. Das Vorliegen derartiger Umstände hat das Tatgericht im Rahmen einer Gesamtwürdigung von Tat und Täter zu beurteilen. Hierbei sind allerdings die wesentlichen Strafzumessungsgründe der Tötungstat selbst zu entnehmen. Umstände des Vor- und Nachtatgeschehens können nur mit geringerem Gewicht und nur insoweit herangezogen werden, als sie sichere Rückschlüsse auf eine die Tatschuld steigernde besonders verwerfliche Einstellung des Täters bei der Tat zulassen.

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 11. September 2020 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision nach Teilrücknahme nur noch gegen den Strafausspruch. Sie beanstandet die unterbliebene Erörterung eines besonders schweren Falles des Totschlags gemäß § 212 Abs. 2 StGB. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I. Das Landgericht hat im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der mehrfach, überwiegend wegen Beschaffungstaten vorbestrafte Angeklagte konsumierte langjährig Heroin und andere Betäubungsmittel. Am 7. April 2019 suchte er gemeinsam mit dem späteren Tatopfer, dem ebenfalls betäubungsmittelabhängigen L., einen Rauschgifthändler auf, um Heroin zu erwerben. Danach kam es zum Streit zwischen ihnen, weil der Angeklagte annahm, L. habe ihn bei dem Drogengeschäft benachteiligt. Beide hatten zuvor verschiedene Drogen konsumiert. Der Angeklagte schlug kraftvoll auf L. ein, traf ihn mehrfach am Kopf und gewann nach anfänglicher Gegenwehr des L. die Oberhand. Im Verlauf der sich über mehr als zwei Stunden hinziehenden Auseinandersetzung fügte er ihm durch Tritte oder Schläge Rippenbrüche zu und drückte ihm eine heiße Glühlampe ins Gesicht, wodurch der Geschädigte, wie vom Angeklagten beabsichtigt, eine stark schmerzende Verbrennung erlitt. Diese Handlungen nahm der Angeklagte - wie das Landgericht nach dem Zweifelsgrundsatz angenommen hat - nicht mit dem Vorsatz vor, den L. zu töten, sondern in der Absicht, ihn zu quälen und zu veranlassen, ein Fehlverhalten bei dem Drogengeschäft zuzugeben. Spätestens gegen Ende der Auseinandersetzung schlug der Angeklagte aus Wut, in die er nicht ausschließbar auch infolge einer bei der Auseinandersetzung erlittenen schmerzhaften Verletzung seiner Hand geraten war, mindestens sechsmal kraftvoll mit dem 3,5 kg schweren Standfuß einer Lampe auf den Kopf des Geschädigten ein, davon zweimal gezielt gegen dessen Stirnbereich. Das Landgericht hat hinsichtlich des ersten Schlags einen Tötungsvorsatz nicht festgestellt. Die beiden gegen die Stirn des Geschädigten gerichteten Schläge führte der Angeklagte nach den Feststellungen hingegen mit Tötungsvorsatz aus.

Der Angeklagte fesselte den stark blutenden und erkanntermaßen tödlich verletzten Geschädigten. Er bemühte sich, das Zimmer von Blutspuren zu reinigen. Danach forderte er den Geschädigten, der noch bei Bewusstsein war, auf, sein Fehlverhalten einzuräumen. Mit seinem Mobiltelefon filmte er ihn, während dieser am Boden lag und Schmerzenslaute von sich gab. Er beschimpfte den Geschädigten und erwiderte auf dessen Bitte, einen Krankenwagen zu rufen, es sei ihm „egal“. Außerdem fragte er den Geschädigten, der äußerte, sterben zu müssen, ob er Anzeige bei der Polizei erstatten werde. Nach Fertigung der Videoaufnahmen löste er die Fesseln des Geschädigten. Er entschloss sich jetzt, die Gelegenheit zu nutzen, um Geld oder Betäubungsmittel des Geschädigten an sich zu bringen, und durchsuchte - nicht ausschließbar erfolglos - dessen Taschen. Der Geschädigte starb spätestens in der folgenden Nacht durch Verbluten infolge der ihm durch die Schläge mit dem Lampenfuß beigebrachten Verletzungen.

2. Das Landgericht hat die Mordmerkmale der Verdeckungs- und der Ermöglichungsabsicht, der Grausamkeit sowie der niedrigen Beweggründe verneint und die Tat als Totschlag (§ 212 StGB) gewertet. Der Angeklagte habe nicht zur Verdeckung einer anderen Straftat gehandelt, denn nach dem Zweifelssatz müsse insoweit zu seinen Gunsten angenommen werden, dass er bereits die den Tötungshandlungen vorausgegangenen Körperverletzungen mit Tötungsvorsatz begangen habe und es sich deshalb bei ihnen um keine andere Tat gehandelt habe. Die Tötung sei auch nicht zur Ermöglichung einer Straftat erfolgt. Es sei nicht auszuschließen, dass der Angeklagte erst nach Ausführung der tödlichen Schläge den Entschluss gefasst habe, die Taschen des Geschädigten nach Stehlenswertem zu durchsuchen. Eine grausame Tötung liege nicht vor, denn es stehe nicht fest, dass der Angeklagte dem Geschädigten bei Ausführung der Tötungshandlung Schmerzen oder Qualen zufügen wollte, die nach Stärke oder Dauer über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgingen. Ein früheres Quälen des Geschädigten und das Geschehen nach den Tötungshandlungen seien insoweit unerheblich. Schließlich sei auch ein niedriger Beweggrund nicht gegeben. Führende Beweggründe der Tat seien im Rahmen eines Motivbündels Rache, Hass und Wut auf den Geschädigten gewesen, was bei wertender Betrachtung nicht als besonders niedrig und verwerflich zu betrachten sei.

II. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist unbegründet.

1. Die Revision ist nachträglich durch Teilrücknahme des ursprünglich umfassend eingelegten Rechtsmittels wirksam auf den Strafausspruch beschränkt worden.

2. Der Strafausspruch hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand.

a) Es stellt keinen durchgreifenden Erörterungsmangel dar, dass sich das Landgericht nicht mit der Frage befasst hat, ob die Voraussetzungen eines besonders schweren Falles des Totschlags nach § 212 Abs. 2 StGB vorliegen. Eine Erörterung drängte sich hier nicht auf.

aa) Im Hinblick auf die Androhung der absoluten Höchststrafe bestehen hohe Anforderungen an die Annahme eines besonders schweren Falles des Totschlags. Dieser setzt voraus, dass das in der Totschlagstat zum Ausdruck kommende Verschulden des Täters so außergewöhnlich groß ist, dass die Ahndung aus dem Normalstrafrahmen von bis zu 15 Jahren nicht mehr ausreicht. Die Schuld muss ebenso schwer wiegen wie die eines Mörders. Dafür genügt nicht schon die bloße Nähe der die äußere und innere Seite der Tötungstat kennzeichnenden Umstände zu gesetzlichen Mordmerkmalen. Fehlen die Voraussetzungen der in § 211 Abs. 2 StGB abschließend aufgezählten Mordmerkmale, so darf dies nicht dadurch unterlaufen werden, dass der Täter nach § 212 Abs. 2 StGB gleichwohl wie ein Mörder bestraft wird (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 1980 - 3 StR 403/80, NStZ 1981, 258, 259; Eser/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 212 Rn. 12 mwN). Es müssen vielmehr schulderhöhende Gesichtspunkte hinzukommen, die besonders gewichtig sind (vgl. zum Ganzen BGH, Urteile vom 19. Mai 1982 - 1 StR 77/82; vom 1. Juli 1981 - 3 StR 24/81, NStZ 1982, 114, 115; Beschlüsse vom 7. August 2018 - 3 StR 47/18, NStZ-RR 2018, 313, 314; vom 22. Oktober 2015 - 4 StR 262/15, NStZ 2016, 207, 208; vom 20. Januar 2004 - 5 StR 395/03, NStZ-RR 2004, 205, 206) und das Minus, welches sich im Zurückbleiben des Tötungsdelikts hinter den Mordmerkmalen zeigt, durch ein Plus an Verwerflichkeit auszugleichen vermögen (vgl. BGH, Urteile vom 1. Juli 1981 - 3 StR 24/81 Rn. 5; vom 19. Mai 1982 - 1 StR 77/82 Rn. 35, jeweils unter Verweis auf Bruns, JR 1979, 28, 29 f.). Das Vorliegen derartiger Umstände hat das Tatgericht im Rahmen einer Gesamtwürdigung von Tat und Täter zu beurteilen (BGH, Urteil vom 25. April 1991 - 4 StR 110/91, NStZ 1991, 431, 432 mwN; Beschluss vom 7. August 2018 - 3 StR 47/18 Rn. 9). Hierbei sind allerdings die wesentlichen Strafzumessungsgründe der Tötungstat selbst zu entnehmen. Umstände des Vor- und Nachtatgeschehens können nur mit geringerem Gewicht und nur insoweit herangezogen werden, als sie sichere Rückschlüsse auf eine die Tatschuld steigernde besonders verwerfliche Einstellung des Täters bei der Tat zulassen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 1981 - 3 StR 24/81 Rn. 6, 12).

bb) Nach diesem Maßstab musste das Landgericht das Vorliegen eines besonders schweren Falles des Totschlags nicht ausdrücklich erörtern.

Die Strafkammer hat zwar schulderhöhende Umstände von hohem Gewicht festgestellt und diese im Rahmen der konkreten Strafzumessung auch zutreffend strafschärfend berücksichtigt. Der Angeklagte misshandelte den Geschädigten vor dessen Tötung über einen Zeitraum von mehreren Stunden, wobei er ihm zahlreiche Verletzungen, darunter eine schwere Verbrennung, zufügte. Darüber hinaus war das Nachtatgeschehen geprägt von bewusst demütigenden Handlungen gegen das sterbende Tatopfer. Der Angeklagte filmte den tödlich verletzten und Schmerzenslaute äußernden Geschädigten ohne dessen Willen und reagierte auf dessen Bitte, Hilfe zu holen, mit Beschimpfungen und dem Bestreben, eine Strafanzeige des Geschädigten zu verhindern. Schließlich setzte er zu einer weiteren Straftat an, indem er die Taschen des sterbenden Tatopfers nach Stehlenswertem durchsuchte.

Allerdings war das Verhalten des Angeklagten vor den tödlichen Schlägen nach den Feststellungen des Landgerichts weder von einem Tötungsvorsatz umfasst noch diente es der Vorbereitung der Tötung des Tatopfers. Die dabei gezeigte Brutalität stellt somit keinen Umstand dar, der unmittelbar die Totschlagstat charakterisierte, und war deshalb für die Frage, ob diese die Voraussetzungen des § 212 Abs. 2 StGB erfüllte, nur von untergeordneter Bedeutung. Demgegenüber kam dem Nachtatverhalten des Angeklagten, das jedenfalls im Verhaltensunrecht einem Totschlag durch Unterlassen nahekam und den Rückschluss auf eine besonders verwerfliche, lebensverachtende Einstellung des Angeklagten bei der vorausgegangenen Tötungshandlung nicht fernliegend erscheinen lässt, zwar ein größeres Gewicht zu.

Den die Verwerflichkeit der Totschlagstat steigernden Begleitumständen standen aber nach den Ausführungen des Landgerichts zum Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe und zu der Bemessung der Strafe gewichtige in der Person des Angeklagten liegende strafmildernde Umstände - namentlich seine durch langjährigen Betäubungsmittelkonsum verflachte und abgestumpfte Persönlichkeit und seine drogenbedingte Enthemmung bei Begehung des Tötungsdelikts - gegenüber. Vor diesem Hintergrund lag die Annahme eines besonders schweren Falles des Totschlags im Hinblick auf den besonderen Ausnahmecharakter des § 212 Abs. 2 StGB und die sich hieraus ergebenden hohen Anforderungen nicht so nahe, dass dessen Erörterung sachlich-rechtlich geboten gewesen wäre.

b) Auch im Übrigen weist die Zumessung der Strafe keine Rechtsfehler auf.

3. Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die auf die Revision gebotene umfassende sachlich-rechtliche Nachprüfung (§ 301 StPO) des Strafausspruchs ebenfalls nicht ergeben. Die Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hatte der Senat infolge der rechtswirksamen Beschränkung des Rechtsmittels auf den Strafausspruch nicht zu prüfen.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1282

Externe Fundstellen: StV 2022, 96

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß