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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1149

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 461/21, Beschluss v. 11.04.2022, HRRS 2022 Nr. 1149


BGH 4 StR 461/21 - Beschluss vom 11. April 2022 (LG Berlin)

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme: Tatbeitrag nur bloßer Transport von Betäubungsmitteln, Handlungsspielräume des Auslieferers, unmittelbare Beteiligung an An- und Verkauf des Rauschgifts, eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts, Beteiligung am Umsatz oder zu erzielenden Gewinn).

§ 29a BtMG

Leitsatz des Bearbeiters

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kommt es für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt. Erschöpft sich der Tatbeitrag im bloßen Transport von Betäubungsmitteln, liegt selbst dann keine Täterschaft vor, wenn dem Auslieferer Handlungsspielräume hinsichtlich der Art und Weise des Transports verbleiben. Eine andere Bewertung kommt nur in Betracht, wenn der Beteiligte erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet, am An- und Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder zu erzielenden Gewinn erhalten soll.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. August 2021

a) im Schuldspruch dahin geändert und neu gefasst, dass der Angeklagte des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs, fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis sowie des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig ist,

b) im Einziehungsausspruch aufgehoben, soweit dieser sich auf das Mobiltelefon „iPhone weiß (IMEI: )“ bezieht; insoweit wird von einer Einziehung abgesehen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr, mit Sachbeschädigung, vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt. Zudem hat es eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Nach den Feststellungen betrieb der Angeklagte in der Nacht zum 27. September 2020 einen Lieferservice für Betäubungsmittel als sogenanntes „Kokstaxi“. Für die Ausübung dieser Tätigkeit erhielt er ein Mobiltelefon, auf dem sich ein Messengerdienst mit einer voreingestellten Chatgruppe befand, über die Betäubungsmittel bestellt werden konnten. Im Handschuhfach des von ihm geführten Mietfahrzeugs befanden sich mindestens 15 Eppendorfgefäße mit einem Kokaingemisch mit einem Wirkstoffgehalt von insgesamt ca. 6,7 Gramm Kokain-Hydrochlorid und vier Tüten mit ca. 16 Gramm Blütenständen von Cannabispflanzen, die zum gewinnbringenden Weiterverkauf an Kunden bestimmt waren. Das Landgericht konnte nicht feststellen, ob der Angeklagte sich selbst als Verkäufer betätigte und das Rauschgift sowie das Handy selbst in das Fahrzeug verbracht hatte oder ob er das Fahrzeug wissentlich bereits mit den Betäubungsmitteln und dem Mobiltelefon übernommen hatte. Jedenfalls wickelte er die einzelnen Bestellungen selbständig ab.

Da der Angeklagte in der Tatnacht erkennbar zu schnell fuhr, fiel er einer Polizeistreife auf. Der Angeklagte floh vor den Polizeibeamten, die ihn nicht einzuholen vermochten. Nachdem er bereits eine Kreuzung mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit bei Rotlicht und unter Nutzung des Radweges überquert hatte, fuhr der Angeklagte mit mindestens 90 km/h über die Rotlicht zeigende Ampel in den Bereich der nächsten Kreuzung ein, um dort nach links abzubiegen. Aufgrund der hohen Geschwindigkeit war das Fahrzeug dabei nicht mehr kontrollierbar, brach aus und prallte letztlich gegen eine Hauswand. An dem Gebäude entstand ein erheblicher Sachschaden. Der Angeklagte entfernte sich noch vor Eintreffen der Polizei zu Fuß vom Unfallort. Er war sich der mit seiner Fahrweise beim zu schnellen Einfahren in die Kreuzung verbundenen Risiken bewusst und nahm das angesichts der hohen Geschwindigkeit als naheliegend erkannte Unfallereignis zumindest billigend in Kauf. Zur Tatzeit war er - was er hätte wissen müssen - alkoholbedingt nicht in der Lage, ein Fahrzeug zu führen, und - wie ihm bewusst war - nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis.

II.

1. Die Verfahrensrüge hat aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts angeführten Gründen keinen Erfolg.

2. Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand, soweit der Angeklagte wegen täterschaftlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist. Vielmehr ist der Angeklagte nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen insoweit des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig. Die tateinheitliche Verurteilung wegen Sachbeschädigung hat ebenfalls keinen Bestand. Die Feststellungen tragen hingegen auch eine tateinheitliche Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln kommt es für die Abgrenzung zwischen Täterschaft und Beihilfe darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt (vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 2014 - 4 StR 174/14, NStZ 2015, 225, 226; Urteil vom 7. Februar 2008 - 5 StR 242/07, NJW 2008, 1460; Urteil vom 28. Februar 2007 - 2 StR 516/06, BGHSt 51, 219). Erschöpft sich der Tatbeitrag im bloßen Transport von Betäubungsmitteln, liegt selbst dann keine Täterschaft vor, wenn dem Auslieferer Handlungsspielräume hinsichtlich der Art und Weise des Transports verbleiben. Eine andere Bewertung kommt nur in Betracht, wenn der Beteiligte erhebliche, über den reinen Transport hinausgehende Tätigkeiten entfaltet, am An- und Verkauf des Rauschgifts unmittelbar beteiligt ist oder sonst ein eigenes Interesse am weiteren Schicksal des Gesamtgeschäfts hat, weil er eine Beteiligung am Umsatz oder zu erzielenden Gewinn erhalten soll (vgl. BGH, Beschluss vom 12. August 2014 - 4 StR 174/14, NStZ 2015, 225, 226).

Daran gemessen tragen die Feststellungen eine Verurteilung des Angeklagten als Täter des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nicht. Dem Urteil lässt sich nicht entnehmen, ob der Angeklagte ein eigenes Interesse an den abzuwickelnden Drogengeschäften hatte; weder eine finanzielle Beteiligung an den Geschäften noch eine sonstige Entlohnung oder ein anderweitiges eigennütziges Motiv ist festgestellt. Unklar bleibt zudem, ob der Angeklagte unmittelbar am Verkauf der Betäubungsmittel beteiligt war oder lediglich die über die Chatgruppe getätigten Bestellungen ausfahren und den zuvor schon unabhängig von seiner Mitwirkung festgesetzten Kaufpreis entgegennehmen sollte. Erfüllt sind jedoch die Tatbestände des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und - tateinheitlich - der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

b) Die tateinheitliche Verurteilung des Angeklagten wegen Sachbeschädigung hat keinen Bestand. Der vom Landgericht angenommene Vorsatz der Beschädigung fremder Sachen durch einen Unfall ist nicht tragfähig belegt. Nach dem festgestellten Sachverhalt kam es dem Angeklagten darauf an, sich einer Kontrolle durch die Polizei zu entziehen. Dies legt nahe, dass der Angeklagte zwar das Risiko eines Unfalls erkannt und diese Gefahr zumindest billigend in Kauf genommen hatte, den Eintritt eines Schadens aber gerade vermeiden wollte.

c) Unter Zugrundelegung der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte tateinheitlich auch des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG schuldig gemacht. Eine entsprechende Ausurteilung hat das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe versehentlich versäumt.

d) Der Senat ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO selbst ab. Das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 StPO steht der Schuldspruchänderung auf die Revision des Angeklagten nicht entgegen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2020 - 4 StR 519/19, Rn. 7; Beschluss vom 28. November 2019 - 3 StR 482/19 Rn. 5). Gleiches gilt für die Regelung in § 265 StPO, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

3. Die vom Landgericht festgesetzten Strafen bleiben von der Schuldspruchänderung unberührt. Der Senat schließt aus, dass die Strafkammer bei zutreffender rechtlicher Bewertung auf eine mildere Einzelstrafe als Einsatzstrafe und eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte, weil sich durch die andere rechtliche Bewertung der wesentliche Unrechtsund Schuldgehalt der Tat nicht ändert. Der vom Landgericht herangezogene Strafrahmen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG ist nicht betroffen und die strafschärfend berücksichtigten Gesichtspunkte, darunter die tateinheitliche Verwirklichung mehrerer Tatbestände, gelten gleichermaßen.

4. Der Senat hebt den Ausspruch über die Einziehung des sichergestellten Mobiltelefons iPhone weiß (IMEI: ) auf und sieht insoweit mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 421 Abs. 1 Nr. 2 StPO von einer Einziehung ab. Die Annahme des Landgerichts, bei dem Mobiltelefon handele es sich um ein Tatmittel im Sinne von § 74 StGB, ist nicht tragfähig belegt. Die Strafkammer hat keine Feststellungen dazu getroffen, wem dieses Mobiltelefon zuzuordnen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2019 - 2 StR 246/19 Rn. 30 mwN).

5. Im Übrigen hat die sachlich-rechtliche Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

III.

Im Hinblick auf den nur geringen Teilerfolg der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten des Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO). RiBGH Bender ist wegen Eintritts in den Ruhestand an der Unterschriftsleistung gehindert.

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 1149

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede