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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 527

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 424/21, Urteil v. 31.03.2022, HRRS 2022 Nr. 527


BGH 4 StR 424/21 - Urteil vom 31. März 2022 (LG Münster)

Beihilfe (Gehilfenvorsatz: Beweiswürdigung); Körperverletzung; Nötigung.

§ 27 StGB; § 15 StGB; § 223 StGB; § 240 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 12. Mai 2021, soweit es den Angeklagten S. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung freigesprochen. Hiergegen richten sich die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers. Während der Nebenkläger mit seinem Rechtsmittel den Anklagevorwurf weiterverfolgt, beanstandet die Staatsanwaltschaft mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision, dass der Angeklagte nicht wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung, jedenfalls aber wegen Beihilfe zur Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung verurteilt worden ist.

Beide Rechtsmittel führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

I.

1. In der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, er habe am 6. September 2020, als er nach einer tätlichen Auseinandersetzung, an der er nicht beteiligt gewesen sei, gemeinsam mit den Mitangeklagten A. und M. dem flüchtenden Nebenkläger nachgeeilt sei, zusammen mit den beiden anderen mit Tritten und Schlägen auf das Opfer eingewirkt und ihm mit einem Messer einen wuchtigen, ca. 5 cm tiefen Stich in den Bauch versetzt. Bei diesem mit direktem Körperverletzungsvorsatz geführten Stich habe er den Tod des Nebenklägers billigend in Kauf genommen.

2. Das Landgericht hat den Angeklagten von diesem Anklagevorwurf aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

a) Nach den Feststellungen hielt sich der Angeklagte zu Beginn des Tattages gemeinsam mit den Mitangeklagten A. und M. sowie drei Begleiterinnen auf dem Hafenplatz in M. auf. Als der Mitangeklagte M. den Heimweg antreten wollte, bot der Angeklagte an, ihn und dessen Freundin nach Hause zu fahren. Gemeinsam begaben sie sich zu dem vom Angeklagten genutzten Pkw und fuhren davon. Der Mitangeklagte A. blieb mit seiner Freundin und einer Bekannten zurück. Kurze Zeit später ? das Fahrzeug mit dem Angeklagten und dem Mitangeklagten M. befand sich noch in der Nähe des Hafenplatzes ? rief der Mitangeklagte A. das Mobiltelefon des Mitangeklagten M. an, wobei eine 16 bis 18 Sekunden dauernde Telefonverbindung zustande kam. Aufgrund der über die Verbindung zu vernehmenden Hintergrundgeräusche, wie Schreie und Laute eines Streites, gingen der Angeklagte und der Mitangeklagte M. davon aus, dass A. in eine Auseinandersetzung verwickelt war und deshalb Hilfe benötigte. Sie entschlossen sich daher umzukehren, parkten das Fahrzeug in der Nähe und rannten zurück in Richtung des Hafenplatzes.

In der Zwischenzeit war es zwischen dem Mitangeklagten A. auf der einen und dem Nebenkläger sowie dem Zeugen Ö. auf der anderen Seite tatsächlich zu einer tätlich geführten Auseinandersetzung gekommen, die damit geendet hatte, dass A. dem vor ihm flüchtenden und dabei zu Fall gekommenen Nebenkläger mit einem Messer mit 3 bis 5 cm langer Klinge eine etwa 21 cm lange Stich-Schnittverletzung an der rechten Halsseite beigebracht hatte. A. hatte anschließend vom Nebenkläger abgelassen und kam dem Angeklagten und dem Mitangeklagten M. nun entgegen. Als beide den Mitangeklagten A. erblickten und feststellten, dass er offensichtlich nicht in eine Auseinandersetzung verwickelt war, verlangsamten sie zunächst ihr Tempo. Der Mitangeklagte A. drehte sich, nachdem er seinerseits die beiden auf ihn zukommenden Männer wahrgenommen hatte, um und lief zurück in Richtung des mittlerweile vor einem Restaurant stehenden Nebenklägers, um entgegen seiner ursprünglichen Absicht den Nebenkläger noch einmal zu schlagen. Der Angeklagte und der Mitangeklagte M. rannten hinterher.

Als der Mitangeklagte A. den Nebenkläger erreichte, schlug er ? das Messer weiterhin in der Hand haltend ? etwa in Brusthöhe auf diesen ein, wobei die Strafkammer nicht hat feststellen können, ob der Nebenkläger durch die Schläge oder das Messer getroffen und verletzt wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren der Angeklagte und der Mitangeklagte M. noch nicht am Ort des Geschehens angelangt. Der hinzueilende Angeklagte nahm sodann wahr, dass der Zeuge Ö., den er zutreffend als zu dem Nebenkläger gehörend einordnete, sich dem Nebenkläger und dem Mitangeklagten A. näherte. Aus nicht näher feststellbaren Beweggründen stellte er sich dem Zeugen Ö. in den Weg, schrie ihn mit den Worten „was willst du?“ an und hielt ihm ein in der Hand gehaltenes Messer so entgegen, dass der Zeuge es sehen konnte. Als der Zeuge Ö. daraufhin die Flucht ergriff, eilte der Angeklagte ihm nach.

Währenddessen verlagerte sich die Auseinandersetzung zwischen dem Mitangeklagten A. und dem Nebenkläger in Richtung des Hafenplatzes, wo A. sowie mehrere unbekannt gebliebene Personen mit Tritten und Schlägen auf den zu Boden gefallenen Nebenkläger einwirkten. Auch der Mitangeklagte M. trat mindestens einmal kräftig mit dem Fuß gegen ein Bein des Nebenklägers. Ob der Angeklagte noch vor Abschluss der tätlichen Übergriffe auf den Nebenkläger an den Ort des Geschehens zurückkehrte, war nicht aufzuklären.

Im Zuge der Auseinandersetzung trug der durch den Mitangeklagten A. bereits am Hals verletzte Nebenkläger weitere drei Schnittwunden im Gesicht und Nackenbereich sowie eine stark blutende Stichverletzung im rechten Oberbauch davon, die den Bauchraum eröffnete und ohne unverzügliche ärztliche Versorgung zum Tod des Opfers geführt hätte. Wann und durch wen dem Nebenkläger im Verlauf des Geschehens diese Verletzungen beigebracht wurden, hat das Landgericht nicht aufklären können.

b) Die Strafkammer hat eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beihilfe zur Körperverletzung zum Nachteil des Nebenklägers verneint, weil sie sich vom Vorliegen eines Gehilfenvorsatzes des Angeklagten nicht hat überzeugen können. Mangels entsprechender Feststellungen hat sie vielmehr zugunsten des Angeklagten angenommen, der Angeklagte habe nicht die Handlungen des Mitangeklagten fördern, sondern vielmehr einen eigenen Angriff des Zeugen Ö. auf den Mitangeklagten verhindern wollen. Aus demselben Grund fehle es an einer Verwerflichkeit der Drohung gegenüber dem Zeugen im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB.

II.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.

Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht, dass der Angeklagte nicht jedenfalls wegen Beihilfe zur Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung verurteilt worden ist. Denn die Beweiswürdigung des Landgerichts zur subjektiven Tatseite, die der Verneinung eines Gehilfenvorsatzes beim Angeklagten hinsichtlich der vom Mitangeklagten A. zum Nachteil des Nebenklägers begangenen Körperverletzung zugrunde liegt, begegnet unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 ? 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20 f. mwN; Franke in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 337 Rn. 117 ff. mwN) durchgreifenden rechtlichen Bedenken, weil sie sich als lückenhaft erweist.

Die Strafkammer hat sich von einem Gehilfenvorsatz des Angeklagten nicht überzeugen können, weil sie es für möglich gehalten hat, dass der Angeklagte nicht die Handlungen des Mitangeklagten A. fördern, sondern lediglich einen eigenen Angriff des Zeugen auf den Mitangeklagten habe verhindern wollen. Bei dieser tatrichterlichen Bewertung hat das Landgericht indes nicht in den Blick genommen, dass der Angeklagte im Rahmen seiner Einlassung in der Hauptverhandlung eingeräumt hat, vor seinem Eingreifen in das Geschehen gesehen zu haben, dass der Mitangeklagte A. im Anschluss an sein plötzliches Umdrehen zu dem bereits blutenden Nebenkläger lief und auf diesen einschlug. Der Angeklagte hatte danach Kenntnis davon, dass die körperliche Auseinandersetzung durch einen tätlichen Angriff des Mitangeklagten auf den Nebenkläger ausgelöst wurde. Diese Kenntnis des Angeklagten von dem der Auseinandersetzung zugrundeliegenden Angriff des Mitangeklagten hätte die Strafkammer aber bei der Prüfung der für das Eingreifen des Angeklagten in subjektiver Hinsicht maßgeblichen Vorstellungen und Beweggründe mit in ihre Überlegung einbeziehen müssen.

Da sich die Ausführungen im angefochtenen Urteil zur fehlenden Verwerflichkeit der Drohung des Angeklagten gegen den Zeugen Ö. auf dieselbe von einer nicht rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getragene Tatsachengrundlage stützen, hält auch die Verneinung einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen Nötigung nach § 240 StGB einer rechtlichen Prüfung nicht stand.

III.

Die nach § 400 Abs. 1 StPO zulässige Revision des Nebenklägers hat ebenfalls Erfolg.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist allerdings aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht sich weder von einem ausdrücklich oder stillschweigend getroffenen gemeinsamen Tatentschluss zu einem körperlichen Angriff auf den Nebenkläger überzeugen noch hat feststellen können, dass der lebensgefährliche Bauchstich dem Nebenkläger durch den Angeklagten beigebracht wurde. Die tatrichterliche Würdigung wird insoweit von Beweiserwägungen getragen, die Rechtsfehler nicht erkennen lassen. Solche werden auch durch die Revisionsbegründung des Beschwerdeführers nicht aufgezeigt.

Die Revision des Nebenklägers erweist sich aber als begründet, da die Ablehnung einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen Beihilfe zur Körperverletzung aus den unter II. dargelegten Gründen einer rechtlichen Prüfung nicht standhält.

IV.

Da das Verfahren sich nur noch gegen den erwachsenen Angeklagten richtet, verweist der Senat die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurück (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 1988 ? 4 StR 33/88, BGHSt 35, 267).

Mit der Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit es den Angeklagten betrifft, sind die sofortigen Beschwerden der Staatsanwaltschaft gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung und gegen die Entscheidung über die Entschädigung des Angeklagten gegenstandslos geworden (vgl. BGH, Urteil vom 26. April 2018 ? 4 StR 364/17 Rn. 11).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 527

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß