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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 513

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 433/20, Beschluss v. 30.03.2021, HRRS 2021 Nr. 513


BGH 4 StR 433/20 - Beschluss vom 30. März 2021 (LG Essen)

Adhäsionsverfahren (Bindung an die Parteianträge im strafprozessualen Revisionsverfahren).

§ 308 Abs. 1 ZPO

Leitsatz des Bearbeiters

Das Verbot, einer Partei etwas zuzusprechen, das nicht beantragt ist, ist auch im strafprozessualen Revisionsverfahren zu beachten.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 24. Juni 2020, soweit es ihn betrifft, im Adhäsionsausspruch dahin abgeändert, dass

a) die Verpflichtung des Angeklagten, dem Nebenkläger zukünftige aus den Taten vom 27. August 2019 entstehende materielle Schäden zu ersetzen, nur insoweit festgestellt wird, als diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind,

b) der Ausspruch über die Verpflichtung zur Erstattung aller zukünftigen immateriellen Schäden aus den Taten vom 27. August 2019 aufgehoben und insoweit von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren abgesehen wird.

2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die insoweit durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten sowie die dem Neben- und Adhäsionskläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Beschwerdeführer und zwei nicht revidierende Mitangeklagte wegen „gemeinschaftlicher“ gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Adhäsionsausspruch ist teilweise abzuändern.

a) Soweit das Landgericht festgestellt hat, dass die Angeklagten verpflichtet sind, dem Nebenkläger zukünftige aus den verfahrensgegenständlichen Taten entstehende materielle Schäden zu ersetzen, hat es ihm mehr zugesprochen, als der Nebenkläger im Adhäsionsverfahren beantragt hatte. Dessen Feststellungsbegehren bezog sich auf materielle Schäden ausdrücklich nur insoweit, als „diese“ - gemeint waren ersichtlich die Ansprüche auf Ersatz der Schäden - „nicht auf Sozialversicherer oder Dritte übergegangen sind“. Der Adhäsionsausspruch des Landgerichts, der diesen Vorbehalt nicht enthält, verletzt daher das Verbot des § 308 Abs. 1 ZPO, einer Partei etwas zuzusprechen, das nicht beantragt ist, welches auch im Revisionsverfahren zu beachten ist (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2009 - 2 StR 168/09, NStZ-RR 2009, 319 mwN). Überdies besteht der Schadensersatzanspruch auch materiellrechtlich nur insoweit, als ein Forderungsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X oder § 86 Abs. 1 VVG nicht stattgefunden hat (BGH, Beschluss vom 25. August 2016 - 2 StR 585/16, NStZ-RR 2016, 351).

b) Zu entfallen hat der Adhäsionsausspruch des Landgerichts betreffend den Anspruch auf Ersatz künftiger immaterieller Schäden. Das Urteil genügt den insoweit bestehenden Begründungsanforderungen (BGH, Beschluss vom 12. November 2019 - 3 StR 436/19) nicht. Soweit das Landgericht ausgeführt hat, dass unklar sei, ob und gegebenenfalls mit welchen Folgen sich der Adhäsionskläger künftig einer Operation unterziehen müsse, ist nicht dargetan, dass hierdurch Schäden drohen, die nicht bereits von dem Antrag und Ausspruch betreffend den Schmerzensgeldanspruch erfasst wären (vgl. BGH, Beschluss vom 12. November 2019 - 3 StR 436/19 mwN).

c) Im Umfang der Aufhebung des Adhäsionsausspruchs ist - soweit hierdurch ein antragsgegenständlicher Anspruch nicht zuerkannt ist - auszusprechen, dass diesbezüglich von einer Entscheidung abzusehen ist (§ 406 Abs. 3 Satz 3 StPO). Eine Zurückverweisung der Sache nur zur teilweisen Erneuerung des Adhäsionsverfahrens scheidet aus (BGH, aaO mwN).

2. Die Teilaufhebung ist nicht auf die nicht revidierenden Mitangeklagten zu erstrecken. Es liegt kein Fall des § 357 StPO vor, weil die Aufhebung nicht wegen einer Gesetzesverletzung bei Anwendung eines Strafgesetzes erfolgt (BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 - 2 StR 100/10 mwN).

3. Da das Rechtsmittel nur in geringem Umfang Erfolg hat, ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten dadurch entstandenen Kosten und den notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu belasten (§ 473 Abs. 4 Satz 1 StPO). Dasselbe gilt für die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen Kosten und notwendigen Auslagen der Adhäsionskläger (§ 472a Abs. 2 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 513

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede