HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 710
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 155/20, Beschluss v. 17.03.2021, HRRS 2021 Nr. 710
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 25. Oktober 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts Landau zurückverwiesen.
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen jeweils zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Rechtsmittel haben Erfolg.
1. Das Landgericht hat - soweit von Bedeutung - im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Die Angeklagten N. R. und I. lebten mit ihrem am 28. August 2018 geborenen Sohn M. R. zurückgezogen in einer kleinen Wohnung in Ludwigshafen. Die Versorgung des Säuglings übernahmen arbeitsteilig ausschließlich beide Elternteile. Einer der beiden Angeklagten misshandelte den Säugling im Vorfeld der Tat mehrfach, ohne dass festgestellt werden konnte, welcher der beiden Angeklagten durch welche konkreten Handlungen dem Säugling Verletzungen zufügte. Spätestens nachdem die teilweise massiven und teils sichtbaren Verletzungen, insbesondere die mit einer Schwellung am Hinterkopf des Säuglings einhergehende Schädelimpressionsfraktur, entstanden waren, nahm auch derjenige der beiden Angeklagten, der dem Säugling diese massiven Verletzungen nicht selbst zugefügt hatte, billigend in Kauf, dass der Säugling durch den Verursacher dieser Verletzungen auch in Zukunft misshandelt werden könnte.
Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 13. und dem 15. Oktober 2018 um 6.54 Uhr fügte einer der beiden Angeklagten dem Säugling ? vermutlich durch einen festen Zug am Penis ? mehrere schmerzhafte Rissverletzungen nahe der Peniswurzel zu. Darüber hinaus wurde dem Säugling „eine weitere Verletzung im Windelbereich“ sowie Verletzungen an Kopf, Rumpf und an den Beinen zugefügt; die Verletzungshandlungen führten unter anderem zu Rippenbrüchen sowie zu einer Herz- und Lungenprellung. Einer der beiden Angeklagten stieß dem Säugling ferner ein Fieberthermometer wuchtig und tief in den Anus, wodurch die Darmwand perforiert wurde. Die Verletzungshandlungen am Kopf führten zu nicht sichtbaren Blutungen unter die weiche Hirnhaut sowie zu deutlich sichtbaren Hämatomen im Gesicht des Säuglings.
Obwohl die beiden Angeklagten spätestens am frühen Morgen des 15. Oktober 2018 Kenntnis von der Penisverletzung hatten und ihnen bewusst war, dass ihr Sohn dringend ärztlicher Hilfe bedurfte, begaben sie sich entgegen dem Rat der Hebamme, mit der die Angeklagte R. gegen 6.46 Uhr telefoniert hatte, nicht sofort zum Kinderarzt, dessen Praxis um 8.00 Uhr öffnete. Als sie gegen 9.15 Uhr mit dem Säugling in der Praxis eintrafen, wiesen sie beim Aufnahmegespräch nicht auf die schmerzhafte und blutende Penisverletzung des Säuglings hin, sondern gaben an, dass er fiebere, sich erbreche und „Wunden an der Phimose“ habe. Die Angeklagte R. gab außerdem wahrheitswidrig an, dass diese Verletzung nach Auskunft der Hebamme möglicherweise auf eine zu enge Windel zurückzuführen sei; die weiteren äußerlich sichtbaren Verletzungen ließen die Angeklagten unerwähnt. Aufgrund ihrer unzureichenden Angaben wurde der Säugling nicht als dringend behandlungsbedürftig angesehen und in der Behandlungsreihenfolge vorgezogen, wodurch die beiden Angeklagten die Gelegenheit, die Schmerzen ihres Sohnes durch wahrheitsgemäße und vollständige Angaben zu Art und Ausmaß seiner Verletzungen zu verkürzen, bewusst ungenutzt verstreichen ließen. Hierdurch nahmen sie das durch die verzögerte ärztliche Behandlung verursachte längere Leiden ihres Sohnes billigend in Kauf.
Der Säugling wurde nach ärztlicher Untersuchung und Feststellung unter anderem der Penisverletzung unter der Verdachtsdiagnose der Kindesmisshandlung in ein Krankenhaus eingeliefert; dort entwickelte sich infolge des Austritts von Darmflüssigkeit in den Bauchraum eine Bauchfellentzündung sowie eine lebensgefährliche Sepsis; das Leben des Säuglings konnte durch eine Notoperation gerettet werden. Die Verletzungen sind zwischenzeitlich weitgehend folgenlos ausgeheilt.
2. Das Landgericht hat angenommen, dass die beiden Angeklagten den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB in den Alternativen des Quälens und des rohen Misshandelns durch Unterlassen sowie eine Gesundheitsschädigung des Säuglings durch böswillige Vernachlässigung ihrer Fürsorgepflicht verwirklichten. Beiden Angeklagten sei bekannt gewesen, dass das Kind in der Vergangenheit wiederholten und erheblichen Verletzungshandlungen des jeweils anderen Elternteils ausgesetzt gewesen sei, wobei es jeweils zugunsten der Angeklagten davon ausgegangen ist, dass der jeweils andere den Säugling in der Vergangenheit aktiv misshandelt hatte. Beide Angeklagte seien daher verpflichtet gewesen, Maßnahmen zu ergreifen, um künftige weitere Verletzungen des Säuglings durch den jeweils anderen Elternteil zu verhindern. Aufgrund dieses Unterlassens sei es am Wochenende des 13. bis 15. Oktober 2018 durch einen der beiden Angeklagten zu einer Vielzahl weiterer Verletzungshandlungen des Säuglings gekommen, dem vielfache und länger andauernde Schmerzen zugefügt worden seien. Hierin liege zugleich eine Gesundheitsschädigung durch böswillige Vernachlässigung der Fürsorgepflicht im Sinne des § 225 Abs. 1 Alternative 3 StGB. Darüber hinaus hätten sie alle drei Tatbestandsalternativen ein weiteres Mal verwirklicht, indem sie die Leiden ihres Sohnes durch verspätetes Aufsuchen des Kinderarztes sowie eine Beschönigung seiner tatsächlichen Verletzungen verlängert hätten.
Die Verurteilung der Angeklagten hat keinen Bestand. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils tragen den Schuldspruch wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in allen drei Begehungsformen des § 225 Abs. 1 StGB nicht.
1. Quälen, rohes Misshandeln und die böswillige Vernachlässigung der Fürsorgepflicht sind selbstständige Begehungsformen der Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 1 StGB. Die Tatalternativen des Quälens und des rohen Misshandelns können jeweils durch aktives Tun oder durch pflichtwidriges Unterlassen verwirklicht werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2016 - 4 StR 266/15, NStZ 2017, 465 und vom 17. Januar 1991 - 4 StR 560/90, NStZ 1991, 234, 235; Urteil vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 117). Bei der Tatalternative der Gesundheitsschädigung durch böswillige Vernachlässigung der Fürsorgepflicht handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, StV 2016, 432, 433; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 225 Rn. 15; MüKo-StGB/Hardtung, § 225 Rn. 21).
2. Das Landgericht ist im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass in Fällen, in denen nicht festgestellt werden kann, wer von beiden Elternteilen das gemeinsame Kind im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB quälte oder roh misshandelte, in Anwendung des Zweifelssatzes eine Strafbarkeit wegen Unterlassungstäterschaft des anderen Elternteils in Betracht kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2016 - 4 StR 266/15, NStZ 2017, 465; Urteil vom 3. Juli 2003 - 4 StR 190/03, NStZ 2004, 94; Beschluss vom 21. November 2002 - 4 StR 444/02, FamRZ 2003, 450). Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine Handlungspflicht beider Angeklagter begründet hat, weil sie von vorangegangenen Misshandlungen ihres Kindes durch den jeweils anderen Elternteil wussten und deshalb verpflichtet waren, die am Wochenende des 13. bis 15. Oktober 2018 erfolgten Misshandlungen des Säuglings durch den jeweils anderen durch geeignete Maßnahmen zu verhindern, halten indes einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Das Landgericht hat die Pflicht beider Angeklagter, zum Schutz ihres Sohnes tätig zu werden, auf die früheren Misshandlungen des Säuglings durch den jeweils anderen und ihre Kenntnis hiervon gestützt. Dabei hat es nicht bedacht, dass eine solche Handlungspflicht nur besteht, wenn die früheren Misshandlungen tatsächlich durch den jeweils anderen Elternteil begangen worden sind. In diesem Fall hätte derjenige Angeklagte, der das Kind nicht selbst misshandelte, bereits im Vorfeld der neuerlichen Gewalttat geeignete Maßnahmen ergreifen müssen, um weitere drohende Übergriffe durch den jeweils anderen abzuwenden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2016 - 4 StR 266/15, NStZ 2017, 465 und vom 21. November 2002 - 4 StR 444/02, FamRZ 2003, 450; Urteile vom 3. Juli 2003 - 4 StR 190/03, NStZ 2004, 94, 95 und vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 117).
Hatte die Angeklagte R. den gemeinsamen Sohn früher misshandelt, so wäre der Angeklagte I. als Vater verpflichtet gewesen, bereits im Vorfeld der neuerlichen Gewalttat durch sie geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um weitere drohende Übergriffe durch sie von seinem Kind abzuwenden. Hatte hingegen der Angeklagte I. selbst die früheren Misshandlungen vorgenommen, bestand für ihn keine Verpflichtung, seinen Sohn vor der Mutter zu schützen, da nach seinem Kenntnisstand von ihr keine Gefahren für das Kind ausgingen. Gleiches gilt für die Angeklagte R. ; hatte sie selbst - und nicht der Mitangeklagte I. - die früheren Misshandlungen durch aktives Tun verwirklicht, bestand für sie keine Verpflichtung, den Sohn vor dem Angeklagten I. zu schützen, da dem Säugling nach ihrem Kenntnisstand von ihm keine Gefahren drohten.
Von welchem Elternteil die dem Tatgeschehen vorausgegangenen Misshandlungen des Säuglings verübt worden waren, hat das Landgericht aber nicht sicher feststellen können; es ist vielmehr unter Zugrundelegung des Grundsatzes in dubio pro reo zugunsten eines jeden Angeklagten davon ausgegangen, dass nicht er selbst, sondern der jeweils andere das Kind in der Vergangenheit gequält und roh misshandelt hat; dabei hat es nicht bedacht, dass die nicht sicher festgestellte, sondern in Anwendung des Zweifelssatzes zugunsten eines jeden Angeklagten nur unterstellte Tatsache, der jeweils andere habe den Säugling in der Vergangenheit gequält und roh misshandelt, erst die Strafbarkeit wegen Unterlassens begründete und daher nicht zugunsten, sondern zulasten der Angeklagten wirkte (vgl. MüKo-StGB/ Miebach, § 261 Rn. 353; LR StPO/Sander, 27. Aufl., § 261 Rn. 206).
b) Zwar hat das Landgericht im Rahmen seiner in weiten Teilen unklaren Beweiserwägungen die Annahme einer strafbewehrten Schutzpflicht beider Angeklagten zugunsten des Säuglings - auch - darauf gestützt, dass beiden Angeklagten bewusst gewesen sei, „dass der Säugling in der Betreuungssituation erheblichen Gefahren ausgesetzt sei, die - zumindest auch - von dem jeweils anderen Elternteil ausgingen“, und beide damit rechneten, „dass der Säugling in der bestehenden Betreuungssituation weiterhin rohem und aggressivem Verhalten durch den Handelnden, insbesondere aus Verärgerung oder Frust, ausgesetzt sein würde […]“. Die beweiswürdigend nicht näher belegte, vage Erwartung des den Säugling jeweils eigenhändig - schwer - misshandelnden Angeklagten, dass auch „der andere Elternteil zu rohem und aggressivem Verhalten“ gegenüber dem Kind neige, vermag eine umfassende Erfolgsabwendungspflicht für die tatgegenständlichen schweren Verletzungen des Kindes jedoch nicht zu begründen.
3. Soweit das Landgericht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB auch dadurch als verwirklicht angesehen hat, dass die beiden Angeklagten „den Arzt verzögert aufsuchten und das längere Leiden M. s dadurch billigend in Kauf nahmen“, ist auch dies rechtlich durchgreifend bedenklich.
a) Zwar ist das Landgericht im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass der Tatbestand des Quälens und rohen Misshandelns im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB auch dadurch verwirklicht werden kann, dass die gebotene ärztliche Hilfe durch die Eltern des Kindes nicht veranlasst wird (vgl. BGH, Urteile vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369, 370 und vom 4. August 2015 - 1 StR 624/14, StV 2016, 435, 438). In subjektiver Hinsicht ist insoweit erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 ? 3 StR 633/14, aaO; BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 mwN).
Insoweit fehlt es an diese Annahme tragenden Feststellungen in objektiver und in subjektiver Hinsicht. Den Urteilsgründen kann auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht entnommen werden, dass die Angeklagten, die nach den Feststellungen (erst) kurz vor 7.00 Uhr am Morgen des 15. Oktober 2018 unter anderem die schmerzhafte und blutende Penisverletzung erkannt hatten, dem Säugling durch die verzögerte ärztliche Vorstellung Schmerzen oder Leiden im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB zufügten, die über die durch die vorangegangenen Körperverletzungshandlungen des Säuglings verursachten Schmerzen oder Leiden hinausgingen. Auch zu dem insoweit bestehenden - bedingten - Vorsatz verhalten sich die Urteilsgründe nicht.
b) Schließlich wird auch die Annahme, die Angeklagten hätten durch die verspätete Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe bzw. durch unzureichende Angaben bei dem Aufnahmegespräch ihre Fürsorgepflicht böswillig vernachlässigt und dadurch ihren Sohn an der Gesundheit geschädigt (vgl. § 225 Abs. 1 Alternative 3 StGB), jedenfalls in subjektiver Hinsicht beweiswürdigend nicht tragfähig belegt.
aa) Der Tatbestand des § 225 Abs. 1 Alternative 3 StGB ist gegeben, wenn der Täter durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für die schutzbedürftige Person zu sorgen, diese an der Gesundheit schädigt. Böswillig im Sinne der Vorschrift handelt, wer seine Pflicht, für einen anderen zu sorgen, aus einem verwerflichen Beweggrund ? aus Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass oder aus Eigensucht ? vernachlässigt (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14, aaO, S. 371). Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit, Schwäche oder - wovon das Landgericht zugunsten der beiden Angeklagten jedenfalls auch ausgegangen ist - Überforderung reichen hingegen in der Regel nicht aus. Bei der Prüfung der auf das tatbestandliche Unterlassen der unverzüglichen ärztlichen Vorstellung des Säuglings bezogenen Böswilligkeit sind die Motive des Täters zu erforschen und erforderlichenfalls auch psychopathologische Befunde wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen in den Blick zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 ? 3 StR 633/14, aaO, S. 371).
bb) Gemessen hieran ist die Annahme von Böswilligkeit für keinen der beiden Angeklagten tragfähig belegt.
Die teils moralisierend anmutenden und teils kaum verständlich formulierten beweiswürdigenden Erwägungen sind schon deshalb nicht tragfähig, weil sie überwiegend nicht auf das tatbestandliche Unterlassen am Morgen des 15. Oktobers 2018, sondern pauschal auf das Verhalten der beiden Angeklagten vor und nach der Tat bezogen sind. Es erschließt sich außerdem nicht, inwieweit der Umstand, dass die Angeklagte R. den Angeklagten I. „aus eigensüchtigen“ Gründen dazu bewegt hatte, sich während der Schwangerschaft und der anschließenden Betreuungssituation ganz ihr zu widmen, Aussagekraft dafür gewinnen sollte, dass das Hauptmotiv für die nicht unverzügliche ärztliche Vorstellung des Säuglings und die „Beschönigung“ der bestehenden Verletzungen im Aufnahmegespräch nicht Überforderung oder Sorge um den Erhalt der Familie, sondern rein eigensüchtige Motive gewesen sein könnten.
4. Die Sache muss daher neu verhandelt und entschieden werden. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 Alternative 2 StPO Gebrauch und verweist die Sache zur Verhandlung und Entscheidung zurück an eine als Jugendschutzkammer tätige Strafkammer des Landgerichts Landau.
Das nunmehr zur Entscheidung berufene Tatgericht wird bei der Prüfung der Frage, wer von den beiden Angeklagten dem Säugling die am Wochenende des 13. bis 15. Oktober 2018 verursachten massiven Verletzungen unter anderem an Penis und After zugefügt hat, genauer als bisher geschehen in den Blick zu nehmen haben, dass die Angeklagte R. es war, die im fraglichen Zeitraum einige Stunden mit dem Säugling alleine gewesen ist und die Entstehung der Verletzungen am After gegenüber mehreren Zeugen - ausweislich der Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen plausibel ? auf ein zu tiefes Einführen des Fieberthermometers zurückgeführt und angefügt hat, dass ihr „niemand gezeigt habe, wie man bei einem kleinen Säugling Fieber“ messe. Darüber hinaus wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer zu prüfen haben, ob ihre Behauptung gegenüber der Kinderärztin, es sei der Angeklagte I. gewesen, der am Wochenende mehrere Stunden mit dem Säugling alleine gewesen sei, sowie ihre demonstrativ an ihn gerichtete, manipulativ anmutende Frage, er - der Angeklagte I. - solle „doch sagen, wenn etwas gewesen sei“, als Vorwegverteidigung anzusehen sein könnten.
5. Die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe gibt Anlass zu dem - erneuten - Hinweis, dass die Feststellungen die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben sollen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, § 267 Abs. 1 Satz 1 StPO. Im Interesse der Verständlichkeit des Urteils empfiehlt es sich regelmäßig, die Feststellungen auf das Wesentliche zu beschränken; es ist daher verfehlt, umfangreiche Chatnachrichten zwischen den Angeklagten ? wie hier geschehen ? in die Feststellungen aufzunehmen, deren mögliche Beweisbedeutung offenbleibt. Eine umfangreiche Darstellung von mehr oder minder belanglos erscheinenden Umständen, die das eigentliche Tatgeschehen in den Hintergrund treten lässt, sollte vermieden und sichergestellt werden, dass nur solche Umstände im Urteil Erwähnung finden, die in der Beweiswürdigung auch eine Rolle spielen (vgl. BGH, Urteil vom 7. August 2014 - 3 StR 224/14).
HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 710
Externe Fundstellen: StV 2022, 169
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner