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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 993

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 136/20, Urteil v. 02.07.2020, HRRS 2020 Nr. 993


BGH 4 StR 136/20 - Urteil vom 2. Juli 2020 (LG Frankenthal)

Tateinheit (Ermittlung der maßgeblichen Strafdrohung bei Verletzung mehrerer Strafgesetze).

§ 52 Abs. 2 Satz 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Sind bei Tateinheit mehrere Strafgesetze verletzt, wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StGB). Für die Ermittlung der maßgeblichen Strafdrohung gilt nach dieser Vorschrift nicht die abstrakte Betrachtungsweise in dem Sinne, dass die Regelrahmen der in Betracht kommenden Straftatbestände darüber entscheiden, welches Gesetz die höhere Strafe androht. Maßgeblich ist vielmehr ein Vergleich der konkret in Betracht kommenden Strafrahmen unter Berücksichtigung von Ausnahmestrafrahmen, etwa dem Vorliegen eines minder schweren oder eines besonders schweren Falls bei dem jeweiligen Delikt.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 25. November 2019 in den Aussprüchen über die in Fall II. 2. der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe, die Gesamtstrafe und den Vorwegvollzug aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Anbaus von Betäubungsmitteln sowie wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und Besitz eines Elektroimpulsgerätes zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und einen Vorwegvollzug von sechs Monaten angeordnet. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

1. Trotz des umfassenden Aufhebungsantrags zum Rechtsfolgenausspruch ist die Revision der Staatsanwaltschaft nach ihrer Begründung wirksam auf den Einzelstrafausspruch in Fall II. 2. der Urteilsgründe beschränkt. Die Staatsanwaltschaft beanstandet insoweit lediglich die Annahme eines minder schweren Falls nach § 30a Abs. 3 BtMG. Das Rechtsmittel erfasst damit auch den Gesamtstrafenausspruch und die Dauer des Vorwegvollzugs.

2. Der Einzelstrafausspruch in Fall II. 2. der Urteilsgründe hält einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis nicht stand.

a) Das Landgericht hat seiner Strafzumessung den Ausnahmestrafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG (sechs Monate bis zehn Jahre Freiheitsstrafe) zugrunde gelegt, ist jedoch von einer Mindeststrafe von einem Jahr ausgegangen, weil es eine Sperrwirkung des konkurrenzrechtlich verdrängten Tatbestands des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 BtMG bejaht und das Vorliegen eines minder schweren Falls gemäß § 29a Abs. 2 BtMG verneint hat. Die Erwägungen des Landgerichts sind insoweit für sich genommen rechtsfehlerfrei. Die allein hiergegen gerichteten Ausführungen der Staatsanwaltschaft erschöpfen sich, worauf der Generalbundesanwalt in seinem Terminsantrag bereits zutreffend hingewiesen hat, letztlich in der Beanstandung der formalen Darstellungsweise der Strafzumessung im Urteil und in einer eigenen Bewertung der vom Landgericht bei der Strafrahmenwahl und der konkreten Strafzumessung vollständig in den Blick genommenen Strafzumessungserwägungen.

b) Der Strafausspruch hat dennoch keinen Bestand. Die Strafkammer hat, was die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründung ebenfalls nicht erkannt hat, bei Bestimmung des Strafrahmens übersehen, dass sich bei Annahme eines minder schweren Falls des § 30a Abs. 3 BtMG die Strafe gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB nach dem tateinheitlich verwirklichten Delikt des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge bestimmen kann, das für den Regelfall des § 29a Abs. 1 BtMG eine höhere Strafrahmenobergrenze vorsieht.

aa) Sind bei Tateinheit mehrere Strafgesetze verletzt, wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht (§ 52 Abs. 2 Satz 1 StGB). Für die Ermittlung der maßgeblichen Strafdrohung gilt nach dieser Vorschrift nicht die abstrakte Betrachtungsweise in dem Sinne, dass die Regelrahmen der in Betracht kommenden Straftatbestände darüber entscheiden, welches Gesetz die höhere Strafe androht. Maßgeblich ist vielmehr ein Vergleich der konkret in Betracht kommenden Strafrahmen unter Berücksichtigung von Ausnahmestrafrahmen, etwa dem Vorliegen eines minder schweren oder eines besonders schweren Falls bei dem jeweiligen Delikt (vgl. BGH, Urteil vom 8. September 1993 - 3 StR 373/93, BGHR StGB § 52 Abs. 2 Androhen 1 mwN; Beschluss vom 8. Mai 2003 - 3 StR 123/03, NStZ 2004, 109; SSW-StGB/Eschelbach, 4. Aufl., § 52 Rn. 70; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 52 Rn. 3).

bb) Diese Grundsätze hat die Strafkammer nicht beachtet. Sie hat im Fall II. 2. der Urteilsgründe die Strafrahmenobergrenze dem § 30a Abs. 3 BtMG entnommen, der eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren vorsieht. Unerörtert geblieben ist, ob das Landgericht bei dem tateinheitlich verwirklichten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge den Regelstrafrahmen mit einer Strafrahmenobergrenze von 15 Jahren (§ 29a Abs. 1 BtMG i.V.m. § 38 Abs. 2 StGB) oder etwa auch den Ausnahmerahmen des § 29a Abs. 2 BtMG zur Anwendung gebracht hätte. Der Senat kann daher nicht gänzlich ausschließen, dass die Strafkammer bei richtigem Vorgehen den Strafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG mit einer höheren Strafdrohung als § 30a Abs. 3 BtMG der Strafzumessung zugrunde gelegt hätte und zu einer höheren Strafe gelangt wäre.

3. Die Aufhebung der Einzelstrafe in Fall II. 2. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.

4. Der Ausspruch über den Vorwegvollzug kann ebenfalls nicht bestehen bleiben.

Bereits die Aufhebung der Gesamtstrafe hat die Aufhebung des Vorwegvollzugs zur Folge (vgl. BGH, Beschluss vom 6. August 2019 - 1 StR 305/19).

Es kommt deshalb nicht mehr darauf an, dass die nach § 301 StPO gebotene Überprüfung des Urteils insoweit auch einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler aufweist. Die Strafkammer hat die Dauer des Vorwegvollzugs rechtsfehlerhaft bemessen. Nach § 67 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 5 Satz 1 StPO sind bei der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und der vom Landgericht für erforderlich erachteten Therapiedauer von zwei Jahren nur drei Monate der Gesamtfreiheitsstrafe vorweg zu vollziehen. Der Vorwegvollzug wäre allerdings durch die ausweislich der Urteilsgründe seit dem 5. April 2019 ununterbrochen erlittene Untersuchungshaft wegen der Anrechnung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB auf den vor der Unterbringung zu vollziehenden Teil der Strafe bereits im Urteilszeitpunkt erledigt gewesen.

5. Der aufgezeigte Rechtsfehler bei der Strafrahmenbestimmung betrifft nicht die Feststellungen. Diese können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 993

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 283; StV 2021, 36

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner