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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 252

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 613/19, Beschluss v. 08.01.2020, HRRS 2020 Nr. 252


BGH 4 StR 613/19 - Beschluss vom 8. Januar 2020 (LG Arnsberg)

Tateinheit (Handeltreiben mit Betäubungsmitteln Klammerwirkung eines einheitlichen Handeltreibens).

§ 52 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Ein einheitliches Handeltreiben setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass zwischen dem verbindenden und zumindest einem der beiden jeweils verbundenen Delikte annähernde Wertgleichheit besteht. Als Maßstab hierfür dient die Abstufung der einzelnen Delikte nach ihrem Unrechtsgehalt unter Orientierung an den Strafrahmen, wobei der Wertevergleich nicht nach einer abstrakt-generalisierenden Betrachtungsweise, sondern anhand der konkreten Gewichtung der Taten vorzunehmen ist.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 19. August 2019 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Auch die tatmehrheitliche Verurteilung des Angeklagten nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG wegen gewerbsmäßiger unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahre an eine Person unter 18 Jahren in den Fällen II. 2. bis 14. der Urteilsgründe begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Zwar hat der Angeklagte durch die Abgabe der jeweils geringen Mengen Marihuana an die minderjährige Zeugin B. auf Kommission zugleich auch den ? im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktretenden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Oktober 2010 ? 3 StR 353/10; vom 14. Juni 2017 ? 5 StR 190/17) ? Tatbestand des unerlaubten Handeltreibens gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG erfüllt. Insoweit könnte nach den Grundsätzen, die der Große Senat für Strafsachen in seinem Beschluss vom 10. Juli 2017 (GSSt 4/17, BGHSt 63, 1) aufgestellt hat, eine einheitliche Tat im materiellrechtlichen Sinne vorliegen; denn die Zeugin B. hat stets unmittelbar nach dem Verkauf der ihr jeweils auf Kommission überlassenen Menge „dem Angeklagten absprachegemäß seinen Verkaufserlös in seiner Wohnung übergeben und zugleich neue Betäubungsmittel geholt“ (UA 6). Dies führt indes nicht zu einer sachlich-rechtlichen Verknüpfung der strafbaren Handlungen des Angeklagten, die Gegenstand seiner Verurteilung geworden sind. Die jeweilige Abgabe des Marihuanas war mit dem Übergang der tatsächlichen Verfügungsgewalt auf die Zeugin B. vollendet und zugleich auch beendet (BGH, Urteil vom 9. November 1984 ? 2 StR 257/84, BGHSt 33, 66, 69; Weber, BtMG, 5. Aufl., § 29 Rn. 1124 mwN).

Ein etwa die oder jedenfalls einige Abgabehandlungen durchlaufendes, nach den Grundsätzen des Großen Senats (aaO) einheitliches Handeltreiben hat auch nicht die Kraft, im Wege der sog. Klammerwirkung Tateinheit zwischen den einzelnen strafbaren Abgabehandlungen zu begründen. Denn dies setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass zwischen dem verbindenden und zumindest einem der beiden jeweils verbundenen Delikte annähernde Wertgleichheit besteht (BGH, Beschluss vom 26. März 1982 ? 2 StR 700/81, BGHSt 31, 29; Fischer, StGB, 67. Aufl., Vor § 52 Rn. 30 mwN). Als Maßstab hierfür dient die Abstufung der einzelnen Delikte nach ihrem Unrechtsgehalt unter Orientierung an den Strafrahmen, wobei der Wertevergleich nicht nach einer abstrakt-generalisierenden Betrachtungsweise, sondern anhand der konkreten Gewichtung der Taten vorzunehmen ist (vgl. BGH, Urteile vom 18. Juli 1984 ? 2 StR 322/84, BGHSt 33, 4, 6 ff.; vom 13. Dezember 2012 ? 4 StR 99/12, NStZ-RR 2013, 147; Beschlüsse vom 22. Mai 2014 - 4 StR 223/13; vom 19. April 2011 ? 3 StR 230/10, NStZ 2011, 577, 578; vom 2. Dezember 2008 ? 3 StR 203/08, NStZ 2009, 692, 693). Gegen eine annähernde Wertgleichheit spricht hier indes zum einen, dass es sich bei dem Straftatbestand der gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 BtMG um ein Verbrechen, bei § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG hingegen um ein Vergehen handelt. Zwar hat das Landgericht bei der Strafzumessung jeweils minder schwere Fälle gemäß § 30 Abs. 2 BtMG mit einem Strafrahmen von drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe angenommen. Es hat jedoch in der Strafzumessung zugleich mitgeteilt, dass es auch die Regelwirkung des infolge der Gewerbsmäßigkeit erfüllten Regelbeispiels in § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG für widerlegt erachtet. Jedenfalls damit verbleibt es bei der durch die Hochstufung zum Verbrechen zum Ausdruck gebrachten schwereren Bewertung der (gewerbsmäßigen) Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige gegenüber dem „einfachen“ Handeltreiben nach § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 252

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner