HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 644
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner
Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 586/19, Urteil v. 07.05.2020, HRRS 2020 Nr. 644
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 15. April 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger.
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu der Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Staatsanwaltschaft, deren Rechtsmittel vom Generalbundesanwalt vertreten wird, und die Nebenkläger mit ihren jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen. Die Beschwerdeführer beanstanden jeweils die Verneinung einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen Mordes. Die ebenfalls mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten richtet sich gegen seine Verurteilung.
Während sich das Rechtsmittel des Angeklagten als unbegründet erweist, haben die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger Erfolg.
1. Nach den Feststellungen suchte der erheblich alkoholisierte Angeklagte am Tattag kurz nach Mitternacht den Straßenstrich in H. auf. Dort nahm er Kontakt zu der später getöteten Geschädigten auf, die in H. zeitweise der Prostitution nachging und bei der der Angeklagte in der Vergangenheit bereits mehrfach Kunde gewesen war. Dem Angeklagten war bekannt, dass die Geschädigte für Geschlechtsverkehr üblicherweise 40 € bis 50 € verlangte. Ihm war auch bewusst, dass er kein Geld bei sich hatte und erst in einigen Tagen sein Gehalt ausgezahlt bekommen würde. Die beiden einigten sich auf die Ausübung des Geschlechtsverkehrs, wobei die Geschädigte - anders als im Rahmen der Straßenprostitution sonst üblich - keine Vorkasse vom Angeklagten verlangte. Anschließend begaben sie sich zu einem Parkplatz, wo sie den Geschlechtsverkehr vollzogen.
Als die Geschädigte den Angeklagten nach Beendigung des Geschlechtsverkehrs aufforderte, ihr das Entgelt zu zahlen, offenbarte ihr der Angeklagte, dass er jetzt kein Geld bei sich habe. Die Geschädigte, die für den Unterhalt ihres Kindes dringend auf Einkommen angewiesen war, begann daraufhin, den Angeklagten lautstark zu beschimpfen und ihm Vorhaltungen zu machen. Auch schlug sie ihm zumindest einmal mit der Faust gegen seine Schulter. Der Angeklagte hielt die Hand der Geschädigten fest und bat sie, nicht laut zu schreien und zu schimpfen, weil andere Menschen sie hören könnten. Er erklärte ihr, kein Geld dabei zu haben, aber am nächsten oder dem darauf folgenden Tag zahlen zu wollen. Als die Geschädigte weiter schimpfte und schrie, umgriff der Angeklagte, welcher der Geschädigten deutlich überlegen war, sie mit den Unterarmen am Hals und drückte mindestens drei Minuten lang mit großer Kraft zu, so dass die Kehlkopfhörner der Geschädigten brachen. Infolge des Angriffs des Angeklagten verstarb die Geschädigte zeitnah aufgrund einer durch das Würgen verursachten zentralen Lähmung.
Beim Zudrücken mit den Unterarmen erkannte der Angeklagte den Tod der Geschädigten als mögliche Folge seines Handelns und fand sich hiermit zumindest ab. Primär kam es dem Angeklagten darauf an, dass die Geschädigte aufhört zu schreien, weil er befürchtete, dass potentiell in der Nähe aufhältige Personen ihre Beleidigungen und Beschimpfungen mithören und so erfahren könnten, dass er nicht gezahlt hatte.
2. Das Landgericht hat kein Mordmerkmal des § 211 Abs. 2 StGB als verwirklicht angesehen und die Tat des Angeklagten daher rechtlich als Totschlag gemäß § 212 Abs. 1 StGB gewürdigt. Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht sei nicht erfüllt, weil es an einer zu verdeckenden Straftat fehle. Ein Betrug des Angeklagten zum Nachteil der Geschädigten liege mangels Vermögensschadens nicht vor. Da der Angeklagte in wenigen Tagen sein Gehalt ausbezahlt bekommen hätte und seine Wohnung der Geschädigten und anderen Prostituierten bekannt gewesen sei, sei der Entgeltanspruch der Geschädigten durchaus durchsetzbar gewesen, so dass eine Vermögensbeschädigung im Sinne einer schadensgleichen Vermögensgefährdung nicht gegeben sei. Zudem habe nicht festgestellt werden können, dass der Angeklagte von vornherein beabsichtigte, die Dienste der Geschädigten unentgeltlich in Anspruch zu nehmen.
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger sind begründet. Die Beschwerdeführer machen zu Recht geltend, dass die Strafkammer das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht mit einer nicht tragfähigen Begründung abgelehnt hat. Denn die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine der Verdeckung zugängliche Betrugstat des Angeklagten zum Nachteil der Geschädigten verneint hat, halten einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
1. Die Strafkammer hat angenommen, dass der Angeklagte die Geschädigte zumindest konkludent über seine Fähigkeit, das vereinbarte Entgelt für die sexuelle Dienstleistung sofort zu bezahlen, täuschte und die Geschädigte aufgrund eines entsprechenden Irrtums über ihr Vermögen verfügte, indem sie die Dienstleistung erbrachte. Damit ist das Landgericht - ohne dies ausdrücklich festzustellen - davon ausgegangen, dass der sexuellen Dienstleistung eine Entgeltvereinbarung zugrunde lag, die nach der getroffenen Abrede unmittelbar nach der Leistung in bar zu erfüllen war. Bei dieser Sachlage lässt sich der Eintritt einer Vermögensbeschädigung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB nicht mit der von der Strafkammer gegebenen Begründung verneinen.
2. Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung). Maßgebend ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswertes unmittelbar vor und nach der Verfügung. Wurde der Geschädigte zum Abschluss eines Vertrages verleitet (Eingehungsbetrug), sind bei der für die Schadensfeststellung erforderlichen Gesamtsaldierung der Geldwert des erworbenen Anspruchs gegen den Vertragspartner und der Geldwert der eingegangenen Verpflichtung miteinander zu vergleichen. Der Getäuschte ist geschädigt, wenn sich dabei ein Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt, etwa weil der Wert des tatsächlich erworbenen Anspruchs hinter dem der täuschungsbedingt vereinbarten Forderung zurückbleibt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 20. Dezember 2012 - 4 StR 55/12, BGHSt 58, 102, Rn. 35; vom 2. Februar 2016 - 1 StR 435/15, BGHSt 61, 149, Rn. 20; Beschlüsse vom 28. Juni 2017 - 4 StR 186/16, NStZ 2017, 708, 709; vom 5. Dezember 2017 - 4 StR 323/17, NStZ 2018, 538; jeweils mwN).
3. Nach der gesetzlichen Regelung des § 1 Satz 1 ProstG, wonach eine rechtswirksame Forderung der Prostituierten auf das für die sexuelle Leistung vereinbarte Entgelt entsteht, wenn die verabredete Leistung erbracht worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2016 - 1 StR 435/15, aaO, Rn. 23), stand der Geschädigten aufgrund der Vereinbarung mit dem Angeklagten und der Erbringung der Dienstleistung ein Anspruch auf das vereinbarte Entgelt zu, der nach der täuschungsbedingt getroffenen Abrede sofort in bar zu erfüllen war.
In Fällen abredegemäß sofort in bar zu begleichender Entgeltforderungen führt die Unfähigkeit des Schuldners, sofort zu bezahlen, bei wirtschaftlicher Betrachtung aber in aller Regel zu einem geminderten Wert des Anspruchs gegenüber dem täuschungsbedingt Vereinbarten. Entgegen der getroffenen Abrede kann der Gläubiger über die ihm zustehenden Geldmittel nicht sofort wirtschaftlich frei verfügen. Die spätere Erfüllung des Entgeltanspruchs hängt von der anderweitig bestehenden oder künftig erst eintretenden Zahlungsfähigkeit sowie der fortbestehenden Zahlungsbereitschaft des Schuldners ab. Das hieraus resultierende Ausfallsrisiko trifft den Gläubiger. Da es nach der täuschungsbedingt getroffenen Vertragsabrede gerade nicht übernommen werden sollte, ist die Übernahme dieses Risikos auch nicht in die Vereinbarung der Höhe des Entgelts miteingeflossen. Schließlich zwingt die unterbliebene sofortige Bezahlung den Gläubiger dazu, Vorkehrungen zu treffen, um eine Erfüllung der Forderung in der Zukunft möglich zu machen. Der damit verbundene Aufwand an Zeit und Kosten kann zwar schon wegen fehlender Stoffgleichheit nicht unmittelbar als Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB angesehen werden (vgl. Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl., § 263 Rn. 213 mwN). Die Notwendigkeit solcher Vorkehrungen hat bei wirtschaftlicher Betrachtung aber eine Minderung des wirtschaftlichen Wertes des Anspruchs gegenüber der täuschungsbedingt vereinbarten sofortigen Barzahlung zur Folge (vgl. Lackner in LK-StGB, 10. Aufl., § 263 Rn. 207; Mittelbach JR 1958, 67).
An einem wirtschaftlichen Minderwert des Entgeltanspruchs infolge der abredewidrig unterbleibenden Barzahlung kann es allenfalls dann fehlen, wenn aus der Perspektive des für die Gesamtsaldierung maßgeblichen Zeitpunkts der Vermögensverfügung die zeitnahe Erfüllung der Entgeltforderung mit Sicherheit zu erwarten steht (vgl. BGH, Urteile vom 15. Dezember 1970 - 1 StR 573/70, GA 1972, 209; vom 8. Januar 1965 - 4 StR 471/64; BayObLGSt 1957, 146). Ein solcher Fall ist nach den Ausführungen des angefochtenen Urteils indes nicht gegeben. Dass - wie das Landgericht meint - der Entgeltanspruch der Geschädigten mit Blick auf die bekannte Wohnanschrift des Angeklagten und der in einigen Tagen zu erwartenden Gehaltszahlung „durchaus durchsetzbar“ gewesen wäre, vermag das Fehlen einer Vermögensbeschädigung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB nicht zu begründen. Schließlich steht auch der Umstand, dass der Angeklagte die Dienste der Geschädigten nicht unentgeltlich in Anspruch nehmen wollte, weder in objektiver Hinsicht der Annahme eines Vermögensschadens noch eines entsprechenden Betrugsvorsatzes entgegen.
Die Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung aus den im Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts vom 30. Dezember 2019 näher dargelegten Gründen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Die Ausführungen der Revision erschöpfen sich in einer revisionsrechtlich unbehelflichen eigenen Würdigung der vom Landgericht erhobenen Beweise.
HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 644
Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner