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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 327

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 504/19, Beschluss v. 20.11.2019, HRRS 2020 Nr. 327


BGH 4 StR 504/19 - Beschluss vom 20. November 2019 (LG Essen)

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Verhältnis und Abgrenzung von Eigennützigkeit und Gewerbsmäßigkeit).

§ 29 Abs. 1 BtMG; § 29 Abs. 3 Nr. 1 BtMG

Leitsatz des Bearbeiters

Eigennützigkeit setzt ein Streben des Täters nach Gewinn oder nach einem anderen persönlichen materiellen oder immateriellen Vorteil voraus. Eigennützigkeit beschreibt die Handlungsmotivation des Täters bezogen auf die verfahrensgegenständliche Tat; demgegenüber ist Gewerbsmäßigkeit ? insoweit über die einzelne Tat hinausweisend ? nur gegeben, wenn der Täter die Absicht hegt, sich durch künftige wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Die Feststellung von Eigennützigkeit führt daher nicht stets zur Annahme von Gewerbsmäßigkeit, beide Tatmotivationen sind nicht deckungsgleich, so dass die Grundsätze der Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Urteilsgründe die Annahme von Doppelrelevanz nicht erfordern.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 29. Mai 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 26. Januar 2018 wegen „unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen, wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit versuchter Nötigung und wegen versuchter Nötigung in zwei Fällen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen.

Mit Beschluss vom 21. November 2018 hat der Senat dieses Urteil auf die Revision des Angeklagten jeweils mit den zugehörigen Feststellungen hinsichtlich der Schuldsprüche wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit versuchter Nötigung sowie wegen versuchter Nötigung in zwei Fällen (Anklagepunkte 12, 13, 14 und 16 der Urteilsgründe) sowie im gesamten Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wurde verworfen.

Nach Einstellung der Anklagepunkte 12, 13, 14 und 16 der Urteilsgründe gemäß § 154 Abs. 2 StPO hat die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer den Angeklagten nunmehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Einziehung eines Geldbetrags in Höhe von 10.630 EUR sowie eines näher bezeichneten Kraftfahrzeugs angeordnet.

Die hiergegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat wiederum Erfolg.

II.

Der Rechtsfolgenausspruch hat keinen Bestand.

1. Das Landgericht hat angenommen, dass die im ersten Durchgang getroffenen und in den Gründen des Urteils vom 26. Januar 2018 niedergelegten Feststellungen zur Person und zum Werdegang des Angeklagten in Rechtskraft erwachsen sind; eigene Feststellungen hat es insoweit nicht getroffen und nur ergänzend festgestellt, dass der Angeklagte seit seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft eine Arbeit gefunden hat. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Landgericht festgehalten, dass „die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten“ „im Umfang der Urteilsgründe I des Urteils vom 18. Januar 2018 bindend“ feststünden. Dabei hat die Strafkammer nicht bedacht, dass der Senat das im ersten Durchgang ergangene Urteil im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben hat. Die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs mit den Feststellungen hatte zur Folge, dass alle Feststellungen aufgehoben worden sind, die sich - wie diejenigen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten und zu seinem Werdegang ? ausschließlich auf die Straffrage beziehen. Das Landgericht hat seinem Urteil daher Feststellungen zugrunde gelegt, die mit der Entscheidung des Senats gemäß § 353 Abs. 2 StPO aufgehoben waren und hat damit ? entgegen der bindenden Entscheidung des Revisionsgerichts ? diese Feststellungen als nicht aufgehoben behandelt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2016 - 4 StR 542/16, NStZ 2017, 108; Beschluss vom 12. Dezember 2012 - 2 StR 481/12 mwN). Das Landgericht wäre gehalten gewesen, umfassende eigene Feststellungen zu treffen und diese in den Urteilsgründen niederzulegen (vgl. Beschluss vom 31. August 2017 - 4 StR 267/17; st. Rspr.). Dies ist hier nicht geschehen.

Der Senat vermag ein Beruhen des Urteils auf dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht auszuschließen. Zwar hat das Landgericht Feststellungen zu den Lebensumständen des Angeklagten nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft getroffen. Dies genügte jedoch nicht, um auf ihrer Grundlage die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe neu zuzumessen. Darüber hinaus hat das Landgericht die Annahme gewerbsmäßigen Handelns in den Fällen II. 2. bis 4. der Urteilsgründe unter anderem darauf gestützt, dass der Angeklagte im Tatzeitraum außer dem Bezug von Krankengeld nicht über legale Einkünfte verfügte. Soweit das Landgericht die unter dem Abschnitt „1. Tatvorgeschichte“ im Urteil des Landgerichts vom 26. Januar 2018 enthaltene Feststellung, der Angeklagte, habe „einen beträchtlichen Teil seines Lebensunterhalts“ durch die Betäubungsmittelgeschäfte finanziert, als bindend angesehen haben sollte, wäre auch dies unzutreffend. Die in den Urteilsgründen des im Rechtsfolgenausspruch aufgehobenen Urteils enthaltenen und die Annahme gewerbsmäßigen Handelns im Sinne des § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG tragenden Feststellungen nehmen regelmäßig nicht an der Bindungswirkung des Schuldspruchs teil. Denn sie betreffen als Grundlage für die Prüfung der Frage, ob ein besonders schwerer Fall des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Sinne des § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG vorliegt, allein die Straffrage (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2017 - 1 StR 458/16, BGHSt 62, 202, 210 f.). Anderes gilt auch nicht unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Begehungsweise des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln im Sinne des § 29 Abs. 1 BtMG Eigennützigkeit, also ein Streben des Täters nach Gewinn oder nach einem anderen persönlichen materiellen oder immateriellen Vorteil voraussetzt (zum Begriff der Eigennützigkeit vgl. BGH, Beschluss vom 10. Oktober 2018 ? 4 StR 247/18, StV 2019, 337). Eigennützigkeit beschreibt die Handlungsmotivation des Täters bezogen auf die verfahrensgegenständliche Tat; demgegenüber ist Gewerbsmäßigkeit ? insoweit über die einzelne Tat hinausweisend ? nur gegeben, wenn der Täter die Absicht hegt, sich durch künftige wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen (vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober 2015 ? 1 StR 317/15, BGHR BtMG § 29 Abs. 3 Nr. 1 Gewerbsmäßig 6). Die Feststellung von Eigennützigkeit führt daher nicht stets zur Annahme von Gewerbsmäßigkeit, beide Tatmotivationen sind nicht deckungsgleich, so dass die Grundsätze der Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit der Urteilsgründe die Annahme von Doppelrelevanz nicht erfordern (im Ergebnis a.A. OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. Dezember 2013 ? 1 Ss 701/13, NStZ 2014, 719, 720). Über sie hätte das Tatgericht auf der Grundlage eigener Feststellungen umfassend neu befinden müssen.

2. Auch die Strafzumessungserwägungen sind - worauf die Revision zutreffend hingewiesen hat - wiederum rechtlich nicht unbedenklich. Das Landgericht hat in den Fällen, in denen der Angeklagte mit Marihuana Handel getrieben hat, strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte „mit einer sogenannten weichen Droge und mithin mit Drogen mittlerer Gefährlichkeit handelte“. Sollte es sich bei dieser widersprüchlich anmutenden Formulierung nicht nur um ein reines Fassungsversehen handeln, wäre die Einordnung von Marihuana als Droge „mittlerer Gefährlichkeit“ ? wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 21. November 2018 ausgeführt hat ? rechtlich durchgreifend bedenklich. Es handelt sich bei Marihuana um eine sogenannte weiche Droge, die auf einer Gefährlichkeitsskala keinen mittleren Platz einnimmt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2018 ? 4 StR 274/18, juris Rn. 7). Dieser rechtlich bindenden Einordnung wird das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht Rechnung zu tragen haben.

3. Die Aufhebung der Strafaussprüche zieht die Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs nach sich.

Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 327

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner