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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1232

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 391/17, Beschluss v. 27.09.2017, HRRS 2017 Nr. 1232


BGH 4 StR 391/17 - Beschluss vom 27. September 2017 (LG Konstanz)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Anforderungen an den symptomatischen Zusammenhang zwischen einem Hang zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln und der Anlasstat des Täters).

§ 64 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Ein symptomatischer Zusammenhang liegt vor, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist, mithin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Dieser Zusammenhang liegt bei Delikten, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen, nahe.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 18. April 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen sowie wegen Computerbetrugs in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen den Strafausspruch sowie die Nichtanordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

1. Die Entscheidung des Landgerichts, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Zuschrift an den Senat das Folgende ausgeführt:

„Die sachverständig beratene Strafkammer hat aufgrund des festgestellten langjährigen Missbrauchs von Alkohol und Drogen einen Hang des Angeklagten im Sinne des § 64 StGB bejaht, dann aber gemeint, ein symptomatischer Zusammenhang sei nicht gegeben, weil der Hang nicht (mit)ursächlich für die Begehung der Taten sei und auch die Gefährlichkeit des Angeklagten nicht konditioniere. Die Straftaten seien vielmehr Ausfluss des über viele Jahre praktizierten Lebensstils des Angeklagten, zu dem das Konsumverhalten gehöre. Auch bestehe keine Erfolgsaussicht einer Therapie, weil der Angeklagte bereits eine Therapie abgebrochen habe und trotz des von ihm geäußerten Therapiewillens keine Anhaltspunkte für einen ernsthaften Willen, vom Alkohol- und Drogenkonsum wegzukommen, erkennbar seien (UA S. 25).

Diese Ausführungen tragen das Absehen von einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht.

a) Sie lassen zunächst besorgen, dass das Landgericht von einem zu engen Verständnis von dem erforderlichen symptomatischen Zusammenhang zwischen einem Hang zum übermäßigen Konsum von Rauschmitteln und der Anlasstat des Täters ausgegangen ist.

Ein symptomatischer Zusammenhang liegt vor, wenn der Hang allein oder zusammen mit anderen Umständen dazu beigetragen hat, dass der Täter eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Verhalten auch für die Zukunft zu erwarten ist (BGH, Beschlüsse vom 25. November 2015 - 1 StR 379/15, NStZ-RR 2016, 113; vom 6. November 2013 - 5 StR 432/13 und vom 25. Mai 2011 - 4 StR 27/11, NStZ-RR 2011, 309), mithin die konkrete Tat in dem Hang ihre Wurzel findet (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2013 - 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75). Dieser Zusammenhang liegt bei Delikten, die begangen werden, um Rauschmittel selbst oder Geld für ihre Beschaffung zu erlangen, nahe (BGH, Beschluss vom BGH, Urteil vom 18. Februar 1997 - 1 StR 693/96, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Rausch 1; Beschluss vom 28. August 2013 - 4 StR 277/13, NStZ-RR 2014, 75; Beschluss vom 12. Januar 2017 - 1 StR 604/16).

Zwar hat das Landgericht in der knappen Begründung auch die Mitursächlichkeit in den Blick genommen, allerdings mit dem bloßen Verweis auf den Lebensstil des Angeklagten keine auf der Grundlage der festgestellten Taten basierende Bewertung vorgenommen. Angesichts der Tatsache, dass der Angeklagte das von ihm betrügerisch erlangte (Taten II.1 und 2) sowie das erpresste (Taten II.3 und 4) Geld nach seiner eigenen unwiderlegten Einlassung zur Finanzierung seines Alkohol- und Drogenkonsums gebraucht und hierfür ausgegeben (UA S. 17 - 18) und die Taten II.3 und 4 zudem unter Alkoholeinfluss begangen hat (UA S. 15 - 16), liegt die Annahme eines symptomatischen Zusammenhangs nicht fern. Eine hangbedingte Gefährlichkeit ist bereits mit Blick auf das Gewicht der Anlasstaten in den Fällen II.3 und 4 nicht von vornherein zu verneinen, zumal der Angeklagte auch die der Verurteilung durch das Amtsgericht Villingen-Schwenningen vom 27. November 2013 zugrundeliegende Tat (Raub in Tateinheit mit Körperverletzung) aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat (UA S. 13).

b) Letztlich begegnen auch die Erwägungen, mit denen die Kammer die konkrete Erfolgsaussicht einer Therapie abgelehnt hat, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Soweit das Landgericht - dem Sachverständigen folgend - auf die im Jahr 2014 abgebrochene Therapie des Angeklagten abgestellt hat, hat es sich mit dem vom Angeklagten hierfür angegebenen Grund, er sei gemobbt worden (UA S. 4), nicht auseinander gesetzt. Auch hat die Strafkammer nicht erwogen, ob die vom Angeklagten aktuell geäußerte Therapiebereitschaft trotz des zurückliegenden erneuten Alkoholkonsums nach seiner letzten Haftentlassung am 11. November 2015 geeignet ist, eine konkrete Erfolgsaussicht zu begründen. Der in diesem Zusammenhang erfolgte Hinweis auf die seit Ende des Jahres 2015 bestehende Beziehung zu seiner „Freundin/Verlobten“ (UA S. 25) genügt hierfür nicht. Denn die Kammer hat sich nicht damit auseinander gesetzt, ob die zwischenzeitlich eingetretene Veränderung der privaten Lebensverhältnisse des Angeklagten, nämlich das Verlöbnis während der Untersuchungshaft in dieser Sache (UA S. 4), geeignet ist, eine andere Bewertung seines Therapiewillens zu stützen.

Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGHSt 37, 5, 7; BGH NStZ-RR 2009, 59). Der Strafausspruch kann bestehen bleiben. Angesichts der erheblichen Vorstrafen und des gesamten Tatbildes ist auszuschließen, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte.“

Dem tritt der Senat bei. Es ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei der gebotenen vertieften Prüfung die Erfolgsaussicht einer Therapie im Maßregelvollzug bejaht hätte.

2. Die weitere Überprüfung des Urteils im Umfang der Anfechtung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 1232

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner