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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 540

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 615/16, Beschluss v. 11.04.2017, HRRS 2017 Nr. 540


BGH 4 StR 615/16 - Beschluss vom 11. April 2017 (LG Essen)

Aufhebung des Urteils (deklaratorische Aufhebung).

§ 353 Abs. 1 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Für eine deklaratorische Aufhebung eines „zweiten Urteils“ ist kein Raum, wenn sich aus dem im Hauptverhandlungsprotokoll dokumentierten Verfahrensablauf ergibt, dass die Strafkammer nicht zwei unterschiedliche Urteile erlassen, sondern ein und dasselbe Urteil lediglich zweimal verkündet hat.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 13. Juli 2016, soweit es den Angeklagten betrifft,

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Diebstahls in 34 Fällen und des versuchten Diebstahls schuldig ist; die Einzelstrafen für die Taten II.3, 4, 6, 17, 18, 20, 23 bis 25, 33, 36, 39, 41, 42, 44, 46, 48 und 53 der Urteilsgründe entfallen;

b) im Strafausspruch dahin ergänzt, dass die Tagessatzhöhe für die in den Fällen II.28, 29 und 31 der Urteilsgründe verhängten Einzelgeldstrafen auf einen Euro festgesetzt wird.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Diebstahls in 52 Fällen und wegen versuchten Diebstahls zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner auf zwei Verfahrensbeanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich der Angeklagte gegen seine Verurteilung. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Für eine vom Generalbundesanwalt angeregte deklaratorische Aufhebung des „zweiten Urteils“ ist schon deshalb kein Raum, weil sich aus dem im Hauptverhandlungsprotokoll dokumentierten Verfahrensablauf ergibt, dass die Strafkammer nicht zwei unterschiedliche Urteile erlassen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 24. Januar 1984 - 1 StR 874/83, NStZ 1984, 279; Beschluss vom 23. Oktober 2012 - 2 StR 285/12, StV 2013, 378), sondern ein und dasselbe Urteil lediglich zweimal verkündet hat. Eine diese Verfahrensweise beanstandende Verfahrensrüge ist innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO nicht erhoben worden.

2. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils kann in konkurrenzrechtlicher Hinsicht nicht unverändert bestehen bleiben, weil die Annahme selbständiger, real konkurrierender Diebstahlstaten in einer Reihe der abgeurteilten Fälle rechtlicher Prüfung nicht standhält.

a) Sind an einer Deliktserie mehrere Personen als Mittäter, mittelbare Täter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt, ist die Frage, ob die einzelnen Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, bei jedem Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden. Maßgeblich ist dabei der Umfang des erbrachten Tatbeitrags. Leistet ein Mittäter für alle oder einige Einzeltaten einen individuellen, nur diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten - soweit keine natürliche Handlungseinheit vorliegt - als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Fehlt es an einer solchen individuellen Tatförderung, erbringt der Täter aber im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeltaten seiner Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ohne Bedeutung ist dabei, ob die Mittäter die einzelnen Delikte tatmehrheitlich begangen haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 182 f.; Beschluss vom 2. Juli 2014 - 4 StR 176/14, wistra 2014, 437).

b) In den Fällen II.2 bis 4, II.5 und 6, II.16 bis 18, II.19 und 20, II.22 bis 25, II.32 und 33, II.35 und 36, II.38 und 39, II.40 bis 42, II.43 und 44, II.45 und 46, II.47 und 48 sowie II.52 und 53 der Urteilsgründe ergeben die Urteilsausführungen keine individuelle, nur jeweils diese Taten fördernde Mitwirkung des Angeklagten. Nach den Feststellungen war der Angeklagte bei diesen Diebstahlstaten nicht selbst am Tatort anwesend. Sein Tatbeitrag erschöpfte sich nach der Sachverhaltsdarstellung im angefochtenen Urteil vielmehr darin, die jeweiligen Diebestouren der Ausführungstäter hinsichtlich der Tatortörtlichkeiten und der zu entwendenden Tatobjekte zu koordinieren und die Tatbeute von den jeweiligen Tätern nach deren Rückkehr entgegenzunehmen. Soweit die Strafkammer in den genannten Fällen zum Teil telefonische Kontakte des Angeklagten mit den die Diebstähle ausführenden Tätern festgestellt hat, ergibt sich hieraus keine individuelle Förderung einzelner Taten der vor Ort agierenden Täter. Die Fälle II.2 bis 4, II.5 und 6, II.16 bis 18, II.19 und 20, II.22 bis 25, II.32 und 33, II.35 und 36, II.38 und 39, II.40 bis 42, II.43 und 44, II.45 und 46, II.47 und 48 sowie II.52 und 53 der Urteilsgründe, in denen die Ausführungstäter zwei, drei oder vier Diebstähle aus Kraftfahrzeugen begingen, sind daher für den Angeklagten konkurrenzrechtlich im Wege der gleichartigen Tateinheit jeweils zu einer materiellrechtlichen Tat zusammenzufassen.

c) Da ergänzende tatrichterliche Feststellungen, welche eine andere Beurteilung der Konkurrenzfrage rechtfertigen könnten, nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch unter Verzicht auf eine ausdrückliche Kennzeichnung der gleichartigen Tateinheit entsprechend ab (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2017 - 4 StR 82/17, Rn. 7). § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

Die Schuldspruchänderung führt zum Wegfall der Einzelstrafen in den Fällen II.3, 4, 6, 17, 18, 20, 23 bis 25, 33, 36, 39, 41, 42, 44, 46, 48 und 53 der Urteilsgründe. Die Einzelstrafen in den Fällen II.2, 5, 16, 19, 22, 32, 35, 38, 40, 43, 45, 47 und 52 der Urteilsgründe bleiben in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO jeweils als alleinige Einzelstrafen für die jeweiligen im Wege gleichartiger Tateinheit zusammengefassten Taten bestehen. Die Gesamtfreiheitsstrafe hat Bestand. Angesichts der verbleibenden 35 Einzelstrafen - darunter 32 Einzelfreiheitsstrafen zu zwei Jahren - kann der Senat ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.

3. Der Senat hat die von der Strafkammer versäumte, auch bei Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe erforderliche (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 1981 - 4 StR 599/80, BGHSt 30, 93, 96) Bestimmung der Tagessatzhöhe für die in den Fällen II.28, 29 und 31 der Urteilsgründe verhängten Einzelgeldstrafen nachgeholt und den einzelnen Tagessatz auf das Mindestmaß von einem Euro festgesetzt (§ 40 Abs. 2 Satz 3 StGB).

4. Der nur geringfügige Erfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten teilweise von den durch sein Rechtsmittel veranlassten Kosten und Auslagen freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 540

Externe Fundstellen: StV 2019, 451

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner