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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 148

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 246/16, Urteil v. 08.12.2016, HRRS 2017 Nr. 148


BGH 4 StR 246/16 - Urteil vom 8. Dezember 2016 (LG Konstanz)

Bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Begriff des Mitsichführens: gleichzeitig möglicher Zugriff auf Betäubungsmittel und Waffe während eines Einzelakts des Handeltreibens).

§ 30 Abs. 2 Nr. 2 BtMG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das für die Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG notwendige Mitsichführen von Gegenständen, die zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind, liegt dann vor, wenn der Täter gefährliche Gegenstände bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich ihrer jederzeit bedienen kann. Hierfür genügt, dass die gefährlichen Gegenstände dem Täter in irgendeinem Stadium des Tathergangs zur Verfügung stehen, d.h. sich so in seiner räumlichen Nähe befinden, dass er sich ihrer jederzeit, also ohne nennenswerten Zeitaufwand, und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann.

2. Setzt sich die Tat aus mehreren Einzelakten zusammen, so reicht es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Tatbestandserfüllung aus, wenn der qualifizierende Umstand des Mitsichführens eines gefährlichen Gegenstands nur bei einem Einzelakt verwirklicht ist (st. Rspr.).

3. Zwar stellt der bloße Aufenthalt in einer Wohnung selbst noch keinen Teilakt des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln dar (vgl. BGH NStZ 2016, 123, 124). Es reicht aber aus, dass der Täter zugleich Betäubungsmittel und Waffe bzw. gefährlichen Gegenstand dergestalt in Verwahrung hält, dass ihm der gleichzeitige Zugriff hierauf möglich ist (vgl. BGH StV 2015, 641).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 17. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben,

a) im Fall II. 6 der Urteilsgründe,

b) in den Einzelstrafaussprüchen in den Fällen II. 1 bis 5 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrem auf die Sachrüge gestützten, vom Generalbundesanwalt teilweise vertretenen Rechtsmittel, mit dem sie den Schuldspruch im Fall II. 6 der Urteilsgründe sowie sämtliche Strafaussprüche angreift. In diesem Umfang hat die Revision Erfolg.

I.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte verkaufte - jeweils um Gewinn zu erzielen - im Jahr 2014 an R. in zwei Fällen 3 g Heroin für 90 € (Fälle II. 2 und 3 der Urteilsgründe). Ferner verkaufte er ihm Ende August 2014 100 g Marihuana für 650 € (Fall II. 1 der Urteilsgründe) und Mitte September 2014 200 g Marihuana und 4 g Heroin für insgesamt 1.420 € (Fall II. 4 der Urteilsgründe).

Im Oktober 2014 übergab der Angeklagte R. 1.000 €, damit dieser für ihn in H. Amphetamin mit einem Nassgewicht von 1 kg für 1.000 € einkauft, das der Angeklagte mit Gewinn weiterveräußern wollte. Dem kam R. am 7./8. November 2014 nach; er erwarb für den Angeklagten Amphetamin mit einem Nassgewicht von 955 g, das nach der Trocknung noch ein Gewicht von 295,5 g und einen Wirkstoffanteil von mindestens ca. 160 g Amphetaminbase aufwies. Noch vor der Übergabe des Amphetamins an den Angeklagten konnte R. festgenommen und das Amphetamin sichergestellt werden (Fall II. 5 der Urteilsgründe).

Bei der am 29. April 2015 erfolgten Durchsuchung des Reihenhauses des Angeklagten wurden insgesamt 103,095 g Marihuana mit einem Wirkstoffanteil von über 14 g THC sichergestellt, das vom Angeklagten für den gewinnbringenden Verkauf bestimmt war. Bei dem Reihenhaus handelt es sich um ein zweistöckiges, über vier Zimmer verfügendes Gebäude, in dem der Angeklagte wohnte und seine beiden Söhne jeweils eigene Zimmer und „eigene Bereiche“ hatten, aber keine „strikte Trennung“ der Wohnbereiche bestand. Von dem Marihuana befanden sich knapp 4 g im Kühlschrank der Küche im unteren Stockwerk. Weitere 99,2 g verwahrte der Angeklagte in einem Eimer auf dem vom Wohnzimmer aus zu betretenden Balkon im oberen Stockwerk. In einem Schrank im Wohnzimmer, „gut“ fünf Meter vom Balkon entfernt, wurden ferner zwei Butterflymesser aufgefunden; neben der Balkontür befand sich in einem Fach im „Barbereich“ zudem eine Feinwaage (Fall II. 6 der Urteilsgründe).

2. Die Strafkammer bewertet das Verhalten des Angeklagten in den Fällen II. 1 bis 4 der Urteilsgründe jeweils als unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG) und entnimmt die Strafe dem Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG. § 29 Abs. 3 BtMG erörtert sie in keinem dieser Fälle. Bei den Fällen II. 5 und 6 der Urteilsgründe nimmt sie unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge an. Ein bewaffnetes Handeltreiben im Fall II. 6 sei nicht erwiesen, weil nicht festgestellt werden konnte, „ob sich die Butterflymesser tatsächlich während eines Teilakts des Handeltreibens griffbereit in räumlicher Nähe befanden“ (UA S. 8); vielmehr sei möglich, dass die Aktivitäten des Angeklagten seit dem Bezug der Wohnung über ein schlichtes Deponieren des Marihuanas nicht hinausgegangen seien. Letztlich könne dies jedoch dahinstehen, da jedenfalls „die subjektive Tatseite nicht zweifelsfrei“ festgestellt werden könne, da „die oftmals gleichzeitige gemeinsame Nutzung der Wohnung durch den Angeklagten und dessen Söhne Spielraum für Interpretationen und Spekulationen hinsichtlich der Zugehörigkeit der Messer“ lasse „und somit auch hinsichtlich eines präsenten, aktuellen Bewusstseins im Sinne einer jederzeitigen Zugriffsmöglichkeit durch den Angeklagten“ (UA S. 9).

3. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit der von ihr erhobenen Sachrüge im Fall II. 6 der Urteilsgründe unter anderem, dass die Strafkammer rechtsfehlerhaft den Besitz des Angeklagten an den Messern verneint habe; zudem sei bereits das Lagern der Betäubungsmittel ein Teilakt des Handeltreibens. In den Fällen II. 1 bis 4 der Urteilsgründe vermisst sie die Prüfung von § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG (gewerbsmäßiges Handeln). Ferner beanstandet sie die Bemessung der Einzelstrafen sowie der Gesamtstrafe und die Aussetzung zur Bewährung.

II.

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist wirksam beschränkt auf den Schuldspruch im Fall II. 6 der Urteilsgründe sowie sämtliche Strafaussprüche.

Zwar hat die Staatsanwaltschaft in ihrer Revisionsbegründung die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils beantragt und zugleich die Verletzung sachlichen Rechts gerügt. Gegenstand der Begründung ist neben Angriffen gegen die Strafaussprüche allerdings nur der Schuldspruch im Fall II. 6 der Urteilsgründe. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Revisionsbegründung. Dieser ist jedoch unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV zu entnehmen, dass die Schuldsprüche in den Fällen II. 1 bis 5 der Urteilsgründe sowie das Unterbleiben einer Verfallsentscheidung und einer Entscheidung über eine Unterbringung nach § 64 StGB nicht angegriffen werden sollen.

III.

In diesem Umfang hat das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Erfolg.

1. Der Schuldspruch im Fall II. 6 der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Denn die Strafkammer geht bei der Prüfung des objektiven Tatbestandes des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG von einem unzutreffenden Maßstab aus.

aa) Das für die Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG notwendige Mitsichführen von Gegenständen, die zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind, liegt dann vor, wenn der Täter gefährliche Gegenstände bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich ihrer jederzeit bedienen kann. Hierfür genügt, dass die gefährlichen Gegenstände dem Täter in irgendeinem Stadium des Tathergangs zur Verfügung stehen, d.h. sich so in seiner räumlichen Nähe befinden, dass er sich ihrer jederzeit, also ohne nennenswerten Zeitaufwand, und ohne besondere Schwierigkeiten bedienen kann. Setzt sich die Tat aus mehreren Einzelakten zusammen, so reicht es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Tatbestandserfüllung aus, wenn der qualifizierende Umstand des Mitsichführens eines gefährlichen Gegenstands nur bei einem Einzelakt verwirklicht ist (st. Rspr.; vgl. die Nachweise bei Weber, BtMG, 4. Aufl., § 30a Rn. 145). Demgemäß sind die Voraussetzungen des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG als erfüllt angesehen worden in Fällen, in denen dem Handel treibenden Täter eine Waffe oder ein gefährlicher Gegenstand bei Drogenverkaufsfahrten, in seinem Vorratslager oder beim Strecken oder Portionieren griffbereit zur Verfügung stand, selbst wenn er die Drogen, ohne die Waffe oder den Gegenstand bei sich zu haben, außerhalb der Wohnung übergibt (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 10. Juni 2015 - 1 StR 211/15, NStZ 2016, 613 f.; vom 5. April 2016 - 1 StR 38/16, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Mitsichführen 13 mwN).

bb) Dies zugrunde gelegt hätte die Strafkammer prüfen müssen, ob der Angeklagte die Butterflymesser jedenfalls während des Vorrätighaltens des Betäubungsmittels mitführte (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. Juli 2012 - 2 StR 205/12 mwN).

Zwar stellt der bloße Aufenthalt in einer Wohnung selbst noch keinen Teilakt des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln dar (BGH, Beschluss vom 24. September 2015 - 2 StR 126/15, NStZ 2016, 123, 124). Es reicht aber aus, dass der Täter zugleich Betäubungsmittel und Waffe bzw. gefährlichen Gegenstand dergestalt in Verwahrung hält, dass ihm der gleichzeitige Zugriff hierauf möglich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2014 - 3 StR 503/14, StV 2015, 641 mwN). Dies hätte im Hinblick auf die vom Landgericht getroffenen Feststellungen zu den auf dem Balkon aufbewahrten Betäubungsmitteln und den im Wohnzimmerschrank befindlichen Butterflymessern der Prüfung bedurft.

b) Auch die Ausführungen der Strafkammer zur subjektiven Tatseite des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Zwar erfordert die Verwirklichung des Qualifikationstatbestandes des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG - wie ausgeführt -, dass der Täter die Waffe oder den gefährlichen Gegenstand bewusst gebrauchsbereit in der Weise bei sich hat, dass er sich der Waffe bzw. des gefährlichen Gegenstandes jederzeit bedienen kann. Dies liegt aber bei der vom Angeklagten erst im April 2015 (UA S. 3) und im Zeitpunkt der polizeilichen Durchsuchung „frisch bezogenen“ Wohnung (UA S. 7), den vorangegangenen Taten im unmittelbaren Umfeld seiner früheren Wohnung (UA S. 9) sowie der in der Nähe der verwahrten Betäubungsmittel und der Butterflymesser aufgefundenen Feinwaage nahe, ohne dass es auf die Eigentumsverhältnisse an den Messern ankommt. Jedenfalls hätten diese Umstände der Erörterung im Rahmen der Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite bedurft. Dass die Butterflymesser zur Verletzung von Menschen bestimmt waren, bedurfte keiner näheren Begründung; denn bei ihnen handelt es sich um sogenannte gekorene Waffen i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 2b WaffG („tragbare Gegenstände“), bei denen die erforderliche Zweckbestimmung zur Verletzung von Personen ohne weitere Feststellungen regelmäßig auf der Hand liegt (BGH, Beschluss vom 5. April 2016 - 1 StR 38/16 aaO).

2. Auch die Strafaussprüche haben keinen Bestand.

a) Dies folgt hinsichtlich Fall II. 6 der Urteilsgründe und der Gesamtstrafe bereits aus der Aufhebung des Schuldspruchs in diesem Fall.

b) In den Fällen II. 1 bis 4 beanstandet die Staatsanwaltschaft zu Recht, dass die Strafkammer es unterlassen hat, jeweils ein gewerbsmäßiges Handeln des Angeklagten zu prüfen. Anlass hierfür bestand - wie der Generalbundesanwalt zu Recht dargelegt hat - schon angesichts der Handelsmengen im 2. Halbjahr 2014 und der hierbei vom Angeklagten erzielten Gewinne, wobei der Senat die Feststellung, dass der Angeklagte „die Betäubungsmittel“ in den Fällen II. 1 bis 4 und 6 der Urteilsgründe für 3 €/Gramm erworben und er bei den Verkäufen einen Preis von 6,50 €/Gramm erzielt habe, nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe auf den Erwerb und die Veräußerung von Marihuana bezieht.

Auch im Fall II. 5 hält die Bemessung der Einzelstrafe der Überprüfung nicht stand, da das Landgericht dem Angeklagten (auch) bei dieser Tat ohne nähere Erläuterung und ohne erkennbare Relevanz für die Strafbemessung zugutehält, dass „nach den Finanzermittlungen bei dem Angeklagten keine großen Gelder festgestellt werden“ konnten (UA S. 10).

3. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass der Feststellung der (genauen) Wirkstoffgehalte der Betäubungsmittel in den Fällen II. 1 bis 4 der Urteilsgründe weder die Teilrechtskraft des Schuldspruchs noch die Bindungswirkung infolge nicht aufgehobener Feststellungen entgegensteht.

4. Das Urteil weist keine durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf (§ 301 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 148

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede