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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 446

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 65/15, Beschluss v. 26.03.2015, HRRS 2015 Nr. 446


BGH 4 StR 65/15 - Beschluss vom 26. März 2015 (LG Konstanz)

Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (Voraussetzungen: Darstellung im Urteil; Gefährlichkeitsprognose; Verhältnismäßigkeit der Anordnung: Verfassungsprinzip; Abwägung im Einzelfall).

Art. 20 Abs. 3 GG; § 63 StGB; § 267 Abs. 6 Satz 1

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht.

2. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH NStZ-RR 2012, 337, 338 mwN). Der Tatrichter muss die eine Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.

3. Darüber hinaus muss die Anordnung verhältnismäßig sein. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist mit Verfassungsrang ausgestattet. In § 62 StGB hat ihn der Gesetzgeber ausdrücklich nochmals einfachgesetzlich geregelt, um seine Bedeutung bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung hervorzuheben. Er beherrscht auch die Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und gebietet, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist (vgl. BVerfG NStZ-RR 2013, 360).

4. Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 300, 301). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. BVerfGE 70, 297, 313). Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Betroffenen und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 339, 340).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 23. September 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Beleidigung in zwei Fällen unter Einbeziehung einer anderweit verhängten Freiheitsstrafe von drei Monaten wegen Bedrohung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt. Des Weiteren hat es ihn wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung und Beleidigung, Beleidigung in zehn Fällen, Verleumdung, Missbrauchs von Notrufen und Sachbeschädigung zu der weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Die Urteilsgründe belegen nicht, dass die Anordnung der Unterbringung dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht.

aa) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 mwN). Der Tatrichter muss die eine Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 5).

bb) Darüber hinaus muss die Anordnung verhältnismäßig sein. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist mit Verfassungsrang ausgestattet. In § 62 StGB hat ihn der Gesetzgeber ausdrücklich nochmals einfachgesetzlich geregelt, um seine Bedeutung bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung hervorzuheben. Er beherrscht auch die Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und gebietet, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist (BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 789/13, NStZ-RR 2013, 360 [nur Ls]). Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 5 StR 215/07, NStZ-RR 2007, 300, 301). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. BVerfGE 70, 297, 313). Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Betroffenen und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten, ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken (BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 - 2 StR 220/13, NStZ-RR 2013, 339, 340).

b) Das Landgericht hat den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht erwähnt; das begründet hier einen durchgreifenden Erörterungsmangel. Der Senat kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnehmen, dass die Strafkammer diese Frage geprüft und (konkludent) bejaht hat. Eine Erörterung anhand des unter Buchst. a) dargelegten Maßstabs war im vorliegenden Fall jedoch unverzichtbar: Das Landgericht ist zwar mit Recht davon ausgegangen, dass der von ihm als Anlasstat allein herangezogene Fall II.12 der Urteilsgründe, in dem der Angeklagte u.a. den Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt hat, in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreicht. Gleichwohl war nach den Feststellungen die Schwelle zur Erheblichkeit nicht wesentlich überschritten. Ob die daraus resultierenden erhöhten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit gewahrt sind (vgl. BGH, Beschluss vom 19. August 2014 - 3 StR 243/14), kann der Senat nicht überprüfen.

2. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

3. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird zu erwägen haben, einen anderen Sachverständigen mit der Begutachtung des Angeklagten zu den Voraussetzungen des § 63 StGB zu beauftragen (§ 246a Abs. 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 446

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel