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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 423

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 574/14, Beschluss v. 28.01.2015, HRRS 2015 Nr. 423


BGH 4 StR 574/14 - Beschluss vom 28. Januar 2015 (LG Essen)

Rücktritt vom Versuch (Freiwilligkeit: Wahrnehmung von Tathindernissen durch Täter).

§ 22 StGB; § 23 Abs.1 StGB; § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Zwar kann das befürchtete alsbaldige Eintreffen der Polizei bei einem unbeendeten Versuch die Freiwilligkeit des Rücktritts ausschließen (vgl. BGH NStZ 2007, 399, 400). Unfreiwillig ist aber auch in solchen Fällen das Nicht-Weiterhandeln nur dann, wenn der Täter sich auf Grund äußerer Zwänge oder psychischer Hemmungen zur Tatvollendung nicht mehr in der Lage gesehen hat (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 171, 172). Dies setzt voraus, dass der Täter dieses "Hindernis" wahrnimmt und es seine Willensentschließung zumindest mitbestimmt.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Angeklagten S. wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 19. August 2014

a) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagte im Fall II.2. der Urteilsgründe wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung verurteilt wurde und im Ausspruch über die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten sowie im gesamten Maßregelausspruch;

b) im verbleibenden Schuldspruch dahin berichtigt, dass die Angeklagte des Diebstahls in zwei Fällen sowie der Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung schuldig ist.

2. Die weiter gehende Revision der Angeklagten wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte bei Teilfreispruch im Übrigen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der (Einzel-) Strafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Essen vom 6. Dezember 2012 und des Landgerichts Essen vom 1. Februar 2013 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten und wegen Diebstahls in zwei Fällen sowie wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und den Vorwegvollzug von fünf Monaten und zwei Wochen der "Freiheitsstrafe" vor der Maßregel angeordnet. Hiergegen wendet sich die Revision der Angeklagten mit der Sachrüge. Das Rechtsmittel hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

1. Die Verurteilung der Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung (Tat II.2. der Urteilsgründe) hält der Überprüfung nicht stand.

a) Nach den vom Landgericht hierzu getroffenen Feststellungen liefen die Angeklagte und der - nicht revidierende - Mitangeklagte Sa. nach dem Diebstahl eines Handys durch den Mitangeklagten zunächst weg, jedoch drehte sich die Angeklagte plötzlich um, holte einen Holzstock aus ihrer Tasche und ging "mit schlagenden Bewegungen" auf einen Zeugen zu, der vor der Flucht den Mitangeklagten festgehalten hatte. Der Zeuge konnte den Schlägen der Angeklagten ausweichen, "die noch vor Eintreffen der Polizei den Stock zurück in ihre Tasche stecken konnte" (UA S. 16).

Weitere Feststellungen, die für die Frage eines von der Strafkammer nicht erörterten strafbefreienden Rücktritts der Angeklagten von Bedeutung sein könnten, enthält das Urteil nicht.

b) Angesichts dieser Feststellungen begegnet der Schuldspruch der Angeklagten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Zwar kann das befürchtete alsbaldige Eintreffen der Polizei bei einem - wie ersichtlich hier - unbeendeten Versuch die Freiwilligkeit des Rücktritts ausschließen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Februar 2007 - 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399, 400; Beschlüsse vom 20. November 2013 - 3 StR 325/13, NStZ 2014, 202; vom 26. Februar 2014 - 4 StR 40/14, NStZ-RR 2014, 171, 172). Unfreiwillig ist aber auch in solchen Fällen das Nicht-Weiterhandeln nur dann, wenn der Täter sich auf Grund äußerer Zwänge oder psychischer Hemmungen zur Tatvollendung nicht mehr in der Lage gesehen hat (BGH, Beschluss vom 26. Februar 2014 - 4 StR 40/14, NStZ-RR 2014, 171, 172; vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. Juli 2013 - 2 StR 289/13, StV 2014, 336, jeweils mwN). Dies setzt voraus, dass der Täter dieses "Hindernis" wahrnimmt und es seine Willensentschließung zumindest mitbestimmt.

Entsprechende Feststellungen hat die Strafkammer jedoch nicht getroffen. Auch die Ausführungen des Landgerichts im Rahmen der Beweiswürdigung belegen weder, dass tatsächlich die Polizei verständigt wurde, noch dass die Angeklagte dies - falls es erfolgt sein sollte - bemerkt hat. Auch dass sie ohne eine von ihr bemerkte Verständigung der Polizei mit deren alsbaldigem Eintreffen rechnete und deshalb von weiteren Schlägen mit dem Holzstock absah, belegen weder die Feststellungen noch die Darlegungen im Rahmen der Beweiswürdigung und kann angesichts des von der Strafkammer geschilderten Geschehensablaufs vom Senat auch nicht dem Gesamtzusammenhang entnommen werden.

2. Infolge der Aufhebung der Verurteilung im Fall II.2. der Urteilsgründe kann die unter Einbeziehung der hierfür verhängten Einzelstrafe gebildete Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten keinen Bestand haben.

Aber auch im Übrigen bestehen hinsichtlich dieser Gesamtstrafenbildung durchgreifende Bedenken. Anders als im Urteilstenor wird nämlich das Datum des Urteils des Amtsgerichts Essen statt mit dem "06.12.2012" in den Entscheidungsgründen mit dem "06.03.2012" angegeben (UA S. 6, 13, 29). Zeitpunkt der Tat, die der - die Ahndungen jenes Urteils einbeziehenden - Entscheidung des Landgerichts Essen vom 1. Februar 2013 zugrunde lag, war die Nacht vom 4. auf den 5. Oktober 2012 (UA S. 11), wobei in dieser Entscheidung ferner ausgeführt ist, dass die dort - vom Landgericht - abgeurteilte Tat von der Angeklagten "während des laufenden Instanzenzuges gegen die Verurteilung des Amtsgerichts Essen vom 06.03.2012 begangen" worden sei (UA S. 13). Vor diesem Hintergrund steht weder fest, dass damals oder jetzt die Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen (sofern dieses damals überhaupt rechtskräftig war, vgl. BGH, Beschluss vom 9. Januar 2013 - 1 StR 525/12) einbeziehungsfähig waren, zumal die Tatzeit der ersten nunmehr bei der Angeklagten abgeurteilten Tat (der versuchten gefährlichen Körperverletzung) der 28. Januar 2013 war und die weiter bei der Angeklagten hier abgeurteilten Taten am 13. und 26. Februar 2013 begangen wurden. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Angeklagte hierdurch beschwert ist, da die (damalige und auch nunmehrige) Gesamtstrafenbildung die beiden durch das Amtsgericht Essen verhängten viermonatigen Freiheitsstrafen umfasst, damals vom Amtsgericht Essen eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten und vom Landgericht Essen für die im Urteil vom 1. Februar 2013 abgeurteilte Tat eine (Einzel-)Strafe von zwei Jahren verhängt worden war. Sollte bereits die Gesamtstrafenbildung im Urteil des Landgerichts Essen vom 1. Februar 2013 fehlerhaft gewesen sein, verweist der Senat zur "Korrektur" auch dieser Entscheidung auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 11. Januar 2000 (5 StR 651/99, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Strafen, einbezogene 7 mwN).

3. Die gegen die Angeklagte verhängte Maßregel der Unterbringung nach § 64 StGB kann ebenfalls keinen Bestand haben, da mit der Aufhebung der Verurteilung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung ein insbesondere für die Gefährlichkeitsprognose bedeutsamer Umstand entfällt.

4. Ferner bedarf der verbleibende Schuldspruch aus den vom Generalbundesanwalt in der Antragsschrift vom 2. Januar 2015 dargelegten Gründen der Korrektur, da - entsprechend der rechtlichen Würdigung der Strafkammer in den Entscheidungsgründen - hinsichtlich der Nötigung nur ein Versuch vorliegt. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 423

Externe Fundstellen: StV 2015, 688

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel