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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 77

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 284/14, Beschluss v. 19.11.2014, HRRS 2015 Nr. 77


BGH 4 StR 284/14 - Beschluss vom 19. November 2014 (LG Essen)

Anwendung des Zweifelsgrundsatzes auf die Abgrenzung von Handlungseinheit und Handlungsmehrheit (Realkonkurrenz).

§ 52 StGB; § 53 StGB; § 261 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Lässt sich nicht feststellen, durch wieviele Handlungen im Sinne der §§ 52, 53 StGB der Angeklagte die festgestellten Taten gefördert hat, so ist im Zweifel zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass er nur eine Handlung begangen hat.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 31. Januar 2014 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Ausübens der tatsächlichen Gewalt über eine Schusswaffe, des Diebstahls und des schweren Bandendiebstahls in sechs Fällen schuldig ist.

Die gegen den Angeklagten wegen versuchten schweren Bandendiebstahls zum Nachteil des Geschädigten A. verhängte Einzelstrafe entfällt.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Ausübens der tatsächlichen Gewalt über eine Schusswaffe, wegen Diebstahls und wegen schweren Bandendiebstahls in 7 Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb", zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zu der aus dem Urteilstenor ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs und dem Wegfall einer Einzelstrafe; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Annahme real konkurrierender Taten in den Fällen II.3.3 und II.3.4 der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Nach den Feststellungen fuhren der Angeklagte und die anderweitig verurteilten R., K. und M. am 1. Februar 2013 nach D., um dort Wohnungseinbrüche zu begehen. In der Folge drangen mehrere Mitglieder der Gruppe durch eine aufgehebelte Tür in die Souterrainwohnung des Geschädigten A. ein, während die übrigen Gruppenmitglieder die Umgebung absicherten (Fall II.3.3 der Urteilsgründe). Nachdem sie in der unmöblierten Wohnung nichts Stehlenswertes gefunden hatten, brachen sie von außen in die im ersten Obergeschoss desselben Hauses gelegene Wohnung des Geschädigten Ko. ein und entwendeten daraus Gegenstände in einem Wert von 10.000 Euro (Fall II.3.4 der Urteilsgründe). Nähere Feststellungen dazu, wer aus der Tätergruppe in das Haus eingedrungen ist und wer die Umgebung abgesichert hat, vermochte das Landgericht nicht zu treffen.

b) Sind an einer Deliktserie mehrere Personen als Mittäter, mittelbare Täter, Anstifter oder Gehilfen beteiligt, ist die Frage, ob die einzelnen Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen, bei jedem Beteiligten gesondert zu prüfen und zu entscheiden. Maßgeblich ist dabei der Umfang des erbrachten Tatbeitrags. Leistet ein Mittäter für alle oder einige Einzeltaten einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten - soweit keine natürliche Handlungseinheit vorliegt - als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Fehlt es an einer solchen individuellen Tatförderung, erbringt der Täter aber im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktserie Tatbeiträge, durch die alle oder mehrere Einzeltaten seiner Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, sind ihm die gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ohne Bedeutung ist dabei, ob die Mittäter die einzelnen Delikte tatmehrheitlich begangen haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 4 StR 29/13, NStZ 2013, 641 m. Anm. Kämpfer; Beschluss vom 22. Dezember 2011 - 4 StR 514/11, wistra 2012, 146, 147; Beschluss vom 7. Dezember 2010 - 3 StR 434/10, StraFo 2011, 238; Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 182 f.). Lässt sich nicht feststellen, durch wieviele Handlungen im Sinne der §§ 52, 53 StGB der Angeklagte die festgestellten Taten gefördert hat, so ist im Zweifel zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass er nur eine Handlung begangen hat (BGH, Beschluss vom 19. November 1996 - 1 StR 572/96, BGHR StGB § 52 Abs. 1 in dubio pro reo 7; vgl. Beschluss vom 15. April 1987 - 3 StR 138/87, BGHR StGB § 52 Abs. 1 in dubio pro reo 1).

Da das Landgericht die einzelnen Tatbeiträge nicht genauer feststellen konnte, ist nach dem Zweifelssatz zugunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass er nicht selbst in die Wohnungen der Geschädigten A. und Ko. eingedrungen ist, sondern an den von seinen Mittätern ausgeführten Einbrüchen durch das Absichern der Umgebung übergreifend mitgewirkt hat. Damit hat er in Bezug auf diese beiden Taten keinen individuellen, sondern nur einen einheitlichen Tatbeitrag erbracht, so dass insoweit (gleichartige) Tateinheit gemäß § 52 Abs. 1 StGB gegeben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 2014 - 4 StR 191/14, Rn. 5 mwN).

2. Der Senat ändert den Schuldspruch unter Verzicht auf eine ausdrückliche Kennzeichnung der gleichartigen Tateinheit entsprechend ab (vgl. BGH, Urteil vom 27. Juni 1996 - 4 StR 166/96, NStZ 1996, 493 f.). § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da der Angeklagte sich nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

Infolge der Schuldspruchänderung entfällt die Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe im Fall II.3.3 der Urteilsgründe. Die Einzelstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe im Fall II.3.4 der Urteilsgründe bleibt als alleinige Einzelstrafe bestehen. Einer Aufhebung der Gesamtstrafe bedarf es nicht. Die bloße Korrektur des Konkurrenzverhältnisses hat keine Verringerung des Tatunrechts und des Schuldgehalts in seiner Gesamtheit zur Folge (BGH, Urteil vom 20. Februar 2014 - 3 StR 178/13, Rn. 8; Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 StR 537/12, Rn. 12; Beschluss vom 30. Juli 2013 - 4 StR 29/13, NStZ 2013, 641; Beschluss vom 22. Dezember 2011 - 4 StR 514/11, wistra 2012, 146, 147; Beschluss vom 7. Januar 2011 - 4 StR 409/10, NStZ 2011, 281, 282). Der Senat schließt deshalb aus, dass das Landgericht vor dem Hintergrund der verbleibenden Einzelstrafen von drei Jahren, vier Mal zwei Jahren und sechs Monaten, ein Mal zwei Jahren und drei Monaten, ein Mal zehn Monaten und ein Mal sechs Monaten Freiheitsstrafe auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 77

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2015, 41

Bearbeiter: Karsten Gaede