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HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 19

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 338/13, Beschluss v. 20.11.2013, HRRS 2014 Nr. 19


BGH 4 StR 338/13 - Beschluss vom 20. November 2013 (LG Dortmund)

Feststellung des Verzichts auf Verfallsanordnung wegen Ansprüchen Dritter (Auffangrechtserwerb des Staates: Rückwirkungsverbot).

Art. 103 Abs. 2 GG; § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB; § 111i Abs. 2, Abs. 5 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Die Regelung des § 111i Abs. 2 StPO ist erst durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober 2006 (BGBl. I 2350) geschaffen worden und am 1. Januar 2007 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf bereits zuvor beendigte Taten steht § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB entgegen. Für diese Fälle gilt das mildere alte Recht, das eine derartige Anordnung ausschließt (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 56).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 22. Februar 2013

a) wird das Urteil im Fall II. 1. b) aa) (5) der Urteilsgründe aufgehoben und das Verfahren eingestellt;

b) wird das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II. 2. c) bb) (5) der Urteilsgründe verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellungen fallen die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.

2. In den Fällen II. 1. b) bb) (2) und II. 2. b) bb) (2) der Urteilsgründe entfallen Schuld- und Strafausspruch.

3. Der Schuldspruch wird dahin neu gefasst, dass der Angeklagte des Betruges in 30 Fällen schuldig ist.

4. Das vorgenannte Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben, soweit festgestellt ist, dass hinsichtlich eines Betrages in Höhe von 20.000 € die Ansprüche Verletzter der Anordnung des Verfalls von Wertersatz entgegenstehen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

5. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 34 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und angeordnet, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer sieben Monate der Gesamtfreiheitsstrafe als verbüßt gelten. Außerdem hat es festgestellt, dass wegen entgegenstehender Ansprüche Verletzter nicht auf Verfall des Wertersatzes in Höhe von 20.000 € erkannt worden ist. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

1. Der Senat stellt das Verfahren im Fall II. 1. b) aa) (5) der Urteilsgründe wegen eines von Amts wegen zu beachtenden, in der Revisionsinstanz nicht behebbaren Verfahrenshindernisses entsprechend § 206a StPO ein.

Im Fall II. 1. b) aa) (5) hat das Landgericht gegen das Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art. 103 Abs. 3 GG verstoßen. Es hat den Angeklagten in den Fällen II. 1. b) aa) (4) und II. 1. b) aa) (5) der Urteilsgründe jeweils wegen Betruges verurteilt, insoweit jedoch - wohl versehentlich - identische Feststellungen getroffen. Gegenstand beider Verurteilungen ist dieselbe, in der Anklageschrift als Fall 4 aufgeführte prozessuale Tat. Infolgedessen war der Fall II. 1. b) aa) (5) der Urteilsgründe entsprechend § 206a StPO einzustellen und der Schuldspruch entsprechend abzuändern. Über Fall 5 (Fallakte 121 zu 35 Js 214/06) der Anklage ist demgemäß bislang nicht entschieden worden.

2. Darüber hinaus stellt der Senat das Verfahren im Fall II. 2. c) bb) (5) der Urteilsgründe auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, weil die Feststellungen des Landgerichts - anders als in dem Parallelfall II. 2. c) bb) (4) - eine Tatbeteiligung des Angeklagten nicht tragen. Infolge der Verfahrenseinstellung entfällt der Schuldspruch im Fall II. 2. c) bb) (5) der Urteilsgründe.

3. Des Weiteren hält die Annahme des Landgerichts, zwischen den Taten II. 1. b) bb) (1) und II. 1. b) bb) (2) sowie zwischen den Taten II. 2. b) bb) (1) und II. 2. b) bb) (2) bestehe Tatmehrheit, sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der Generalbundesanwalt hat zu Recht ausgeführt, dass auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen jeweils die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit und somit jeweils nur einer Tat im materiellen Sinne naheliegt (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2013 - 2 StR 537/12).

In den Fällen II. 2. b) bb) (1) und II. 2. b) bb) (2) dienten beide Betrugshandlungen des Angeklagten der Deckung eines bestimmten Finanzbedarfs des in die Taten eingebundenen Leasingnehmers. Der Angeklagte hatte deshalb nicht nur die Leasingobjekte bestellt, sondern diese zugleich auch der Firma des früheren Mitangeklagten B. in Rechnung gestellt. Es ist deshalb zugunsten des Angeklagten von einer einheitlichen Willensentschließung auszugehen. Gleiches gilt für die Fälle II. 1. b) bb) (1) und II. 1. b) bb) (2). Die diesen Taten zugrunde liegenden Leasingverträge und Übernahmebestätigungen wurden zeitgleich abgeschlossen. Noch am selben Tag stellte der Angeklagte beide Kopiergeräte der Deutschen Leasing AG in Rechnung.

Der Senat schließt aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung ergänzende, die Annahme von Tatmehrheit rechtfertigende Feststellungen getroffen werden können. Der Schuldspruch ist deshalb entsprechend abzuändern.

4. Die vom Landgericht gemäß § 111i Abs. 2 StPO getroffene Feststellung, dass einer Anordnung des Verfalls von Wertersatz Ansprüche Dritter in Höhe von 20.000 € entgegenstehen, hält rechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand.

a) Die Regelung des § 111i Abs. 2 StPO ist erst durch das Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24. Oktober 2006 (BGBl. I 2350) geschaffen worden und am 1. Januar 2007 in Kraft getreten. Ihrer Anwendung auf bereits zuvor beendigte Taten steht § 2 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 StGB entgegen. Für diese Fälle gilt das mildere alte Recht, das eine derartige Anordnung ausschließt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - 1 StR 535/08, NStZ-RR 2009, 56; Urteil vom 17. Juni 2009 - 2 StR 195/09; Beschluss vom 18. Dezember 2008 - 3 StR 460/08, wistra 2009, 241, 242).

Das Landgericht hat die Feststellung hier nicht erkennbar auf das aus den nach dem 1. Januar 2007 beendeten Taten Erlangte beschränkt. Die Urteilsausführungen lassen insoweit vielmehr besorgen, dass die Strafkammer auch die bereits in den Jahren 2004 und 2005 beendeten Taten - sämtliche Fälle zu II. 1. und zu II. 2. b) - in die Entscheidung einbezogen hat. Da der Angeklagte bei diesen Taten erhebliche Beträge erlangt hat, vermag der Senat nicht auszuschließen, dass sich dieser Rechtsfehler zu seinem Nachteil ausgewirkt hat.

b) Über die Anordnung des Auffangrechtserwerbs des Staates ist deshalb neu zu entscheiden. Dabei wird der neue Tatrichter auch zu berücksichtigen haben, dass bei mehreren Tätern und/oder Teilnehmern, auch wenn die Feststellungen in verschiedenen Urteilen getroffen werden, eine gesamtschuldnerische Haftung in Betracht kommt, wenn und soweit sie zumindest Mitverfügungsgewalt an den aus den Taten erzielten Vermögenswerten hatten (vgl. nur BGH, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 4 StR 215/10, BGHSt 56, 39, 45).

II.

Infolge der erforderlichen Schuldspruchänderung entfallen die Einzelstrafen von acht Monaten im Fall II. 1. b) aa) (5) der Urteilsgründe, von je sechs Monaten in den Fällen II. 1. b) bb) (2) und II. 2. b) bb) (2) der Urteilsgründe und von einem Jahr und drei Monaten im Fall II. 2. c) bb) (5) der Urteilsgründe. Einer Aufhebung der Gesamtstrafe bedarf es nicht. Der Senat kann angesichts der verbleibenden Einzelstrafen - 13 Einzelstrafen von sechs Monaten, zwei Einzelstrafen von sieben Monaten, eine Einzelstrafe von acht Monaten, drei Einzelstrafen von einem Jahr, vier Einzelstrafen von einem Jahr und drei Monaten sowie sieben Einzelstrafen von einem Jahr und neun Monaten - ausschließen, dass das Landgericht auf eine niedrigere Gesamtstrafe erkannt hätte.

HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 19

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel