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HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 355

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 532/12, Beschluss v. 29.01.2013, HRRS 2013 Nr. 355


BGH 4 StR 532/12 - Beschluss vom 29. Januar 2013 (LG Bielefeld)

Zulässiges Verteidigungsverhalten (Berufen auf Notwehr); Doppelverwertungsverbot

§ 46 Abs. 2, Abs. 3 StGB; § 32 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Grundsätzlich ist es einem Angeklagten nicht verwehrt, sich gegen den Vorwurf der Körperverletzung mit der Behauptung zu verteidigen, er habe in Notwehr gehandelt. Soweit damit Anschuldigungen gegen Dritte verbunden sind, werden die Grenzen eines zulässigen Verteidigungsverhaltens dadurch nicht überschritten (vgl. BGH NStZ 2010, 692). Eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung kann erst dann straferschwerend gewertet werden, wenn Umstände hinzukommen, nach denen sich dieses Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt (vgl. BGH NStZ 2007, 463).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 19. Juli 2012 im Strafausspruch aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

I.

Nach den Feststellungen stach der Angeklagte am 5. Oktober 2010 dem Zeugen H. ohne nachvollziehbaren äußeren Anlass ein Messer mit einer Klingenlänge von etwa 7,5 cm in den Bereich des linken Brustkorbs. Der Zeuge erlitt eine ca. 7 cm tiefe Stichwunde, die mit einem Faden genäht werden musste. Da weder die Lunge, noch die innere Schicht des Brustkorbs verletzt wurden, bestand keine konkrete Lebensgefahr (Fall II. 2a der Urteilsgründe). Am 20. Oktober 2011 packte der Angeklagte in den Räumlichkeiten einer Buchhandlung seine ehemalige Lebensgefährtin, die Zeugin B., von hinten an den Haaren und schlug mehrfach mit der Faust auf sie ein. Als die Zeugin am Boden lag, hielt er sie mit der linken Hand fest und fügte ihr mit einem Cutter-Messer Verletzungen im oberen linken Brustbereich und im Nacken zu. Die Stichverletzung im Brustbereich musste genäht werden. Es ist eine sichtbare Narbe zurückgeblieben. Die Zeugin leidet auch weiterhin an einer posttraumatischen Belastungsstörung (Fall II. 2b der Urteilsgründe).

Das Landgericht hat den Angeklagten in beiden Fällen wegen gefährlicher Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB schuldig gesprochen und gegen ihn Einzelfreiheitsstrafen in Höhe von zwei Jahren und sechs Monaten (Fall II. 2a) und drei Jahren und neun Monaten (Fall II. 2b) verhängt. Aus diesen Einzelfreiheitsstrafen hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten gebildet.

II.

Der Strafausspruch hält aus mehreren Gründen rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Die beiden verhängten Einzelstrafen können nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht jeweils sowohl im Rahmen der Prüfung eines minderschweren Falls gemäß § 224 Abs. 1 letzter Halbsatz StGB, als auch bei der konkreten Strafzumessung ein zulässiges Verteidigungsverhalten zum Nachteil des Angeklagten gewertet hat.

a) Der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung zum Tatvorwurf im Fall II. 2a erklärt, den Zeugen H. geschlagen zu haben, als dieser nach einer zunächst verbal geführten Auseinandersetzung eine Teleskopstange mit einem kleinen Ball an der Spitze in die Hand nehmen wollte (UA 16). Im Fall II. 2b habe ihn die Zeugin B. mit einer Handtasche geschlagen. Er habe gesehen, dass er an der rechten Hand geblutet habe und ein Messer in der linken Hand der Zeugin wahrgenommen. Dieses Messer habe er ihr wegnehmen wollen. Schließlich habe er sie an der linken Schulter ergriffen und "herumgewirbelt". Auch glaube er um sich geschlagen zu haben, weil er das Gefühl hatte, sich wehren zu müssen (UA 17). Das Landgericht hat in diesen Einlassungen einen schulderhöhenden Umstand gesehen, weil der Angeklagte den Zeugen H. und die Zeugin B. verdächtigt habe, sich ihm gegenüber der versuchten bzw. der vollendeten Körperverletzung schuldig gemacht zu haben (UA 31). Dies ist rechtsfehlerhaft.

b) Grundsätzlich ist es einem Angeklagten nicht verwehrt, sich gegen den Vorwurf der Körperverletzung mit der Behauptung zu verteidigen, er habe in Notwehr gehandelt. Soweit damit Anschuldigungen gegen Dritte verbunden sind, werden die Grenzen eines zulässigen Verteidigungsverhaltens dadurch nicht überschritten (BGH, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 3 StR 219/10, NStZ 2010, 692; Müko-StGB/Miebach, 2. Aufl., § 46 Rn. 129). Eine wahrheitswidrige Notwehrbehauptung kann erst dann straferschwerend gewertet werden, wenn Umstände hinzukommen, nach denen sich dieses Verteidigungsverhalten als Ausdruck einer zu missbilligenden Einstellung darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2007 - 4 StR 60/07, NStZ 2007, 463; Beschluss vom 27. April 1989 - 1 StR 10/89, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 4; SSW-StGB/Eschelbach, § 46 Rn. 124). Dies ist hier nicht der Fall. Der Angeklagte hat sich auf die wahrheitswidrige Behauptung eines drohenden (Fall II. 2a der Urteilsgründe) bzw. eines bereits eingeleiteten Angriffs (Fall II. 2b der Urteilsgründe) der Zeugen beschränkt. Darüber hinausgehende Verleumdungen oder Herabwürdigungen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 1990 - 3 StR 85/90, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 8; Beschluss vom 11. Mai 1989 - 1 StR 184/89, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 5), die eine straferschwerende Bewertung rechtfertigen könnten, sind in seinem Vorbringen nicht enthalten. Auch hat der Angeklagte die Zeugen nicht einer besonders verwerflichen Handlung bezichtigt (vgl. BGH, Urteil vom 14. November 1990 - 3 StR 160/90, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 10), sodass nicht angenommen werden kann, dass es ihm darum ging, ihr Ansehen über das verfolgte Verteidigungsziel hinaus zu beschädigen (vgl. BGH, Beschluss vom 29. März 1994 - 1 StR 71/94, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 13).

2. Die Bemessung der Einzelstrafe im Fall II. 2b der Urteilsgründe (Tat zum Nachteil der Zeugin B.) ist auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht straferschwerend berücksichtigt hat, dass es zum Einsatz eines Messers kam (UA 31). Hierin liegt ein Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB, da die Verwendung des Messers bereits zur Begründung der Strafbarkeit des Angeklagten nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB herangezogen worden ist. Soweit das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf abgehoben hat, dass es mit dem Messereinsatz zu einer Steigerung der Übergriffe des Angeklagten auf die Zeugin gekommen ist, wird damit nicht lediglich das Vortatverhalten des Angeklagten gewürdigt, sondern auch die Verwendung des Messers mit negativem Vorzeichen in die Bewertung einbezogen.

3. Durch die Aufhebung der Einzelstrafen verliert auch die Bestimmung der Gesamtstrafe ihre Grundlage.

Da es sich bei den aufgezeigten Fehlern um bloße Wertungsfehler handelt, können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum Strafausspruch bestehen bleiben. Ergänzende - hierzu nicht in Widerspruch tretende - Feststellungen sind möglich (BGH, Beschluss vom 9. Oktober 2012 - 5 StR 453/12).

HRRS-Nummer: HRRS 2013 Nr. 355

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2013, 170; StV 2013, 507

Bearbeiter: Karsten Gaede und Christoph Henckel