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HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 1104

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 295/10, Beschluss v. 19.10.2010, HRRS 2010 Nr. 1104


BGH 4 StR 295/10 - Beschluss vom 19. Oktober 2010 (LG Rostock)

Verjährung deliktischer Ansprüche (Kenntnis von der Adresse des Schuldners; grobe Fahrlässigkeit); Adhäsionsverfahren (keine Zurückverweisung nur hinsichtlich des Entschädigungsanspruches).

§ 403 StPO; § 199 BGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt die für deliktische Ansprüche geltende dreijährige (§ 195 BGB) Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Zur Kenntnis von der Person des Schuldners gehört auch die Kenntnis von dessen Anschrift, weil erst mit dieser die Erhebung einer Klage erfolgversprechend möglich ist (BGH NJW 2009, 587 m.w.N.). Bei Gesamtschuldnern ist der Beginn der Verjährung für jeden Schuldner getrennt zu ermitteln (BGH NJW 2001, 964).

2. Nach Fristbeginn hemmt der spätere Verlust der Kenntnis von der Anschrift des Schuldners, etwa im Fall eines Umzugs, die Verjährung nicht (OLG Karlsruhe ZIP 2009, 1611).

3. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen (BGH NJW 2009, 587).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 15. Januar 2010, soweit es ihn betrifft, im Adhäsionsausspruch aufgehoben. Insoweit wird von einer Entscheidung über die Entschädigungsanträge der Adhäsionskläger abgesehen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die durch das Adhäsionsverfahren, soweit es ihn betrifft, entstandenen gerichtlichen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Die sonstigen durch dieses Verfahren entstandenen Auslagen tragen der Beschwerdeführer und die Adhäsionskläger selbst.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen banden- und gewerbsmäßigen Betruges in sechs Fällen, jeweils in Tateinheit mit banden- und gewerbsmäßiger Urkundenfälschung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es den Angeklagten verurteilt, an den Adhäsionskläger Dr. P. 212.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. August 2009, an den Adhäsionskläger C. 246.000 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten 1 über dem Basiszinssatz seit dem 25. August 2009 und an den Adhäsionskläger J. 234.481,91 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Oktober 2009 zu zahlen.

Die Revision, mit der der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat lediglich Erfolg, soweit sie sich gegen den Adhäsionsausspruch richtet. Im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Adhäsionsausspruch hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Anhand der Urteilsfeststellungen lässt sich nicht überprüfen, ob die vom Angeklagten geltend gemachte Einrede der Verjährung den im Jahre 2009 anhängig gemachten Ansprüchen der Adhäsionskläger entgegensteht.

a) Gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt - wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist - die für deliktische Ansprüche geltende dreijährige (§ 195 BGB) Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Zur Kenntnis von der Person des Schuldners gehört auch die Kenntnis von dessen Anschrift, weil erst mit dieser die Erhebung einer Klage erfolgversprechend möglich ist (BGH, Urteil vom 23. September 2008 - XI ZR 395/07, NJW 2009, 587 m.w.N.). Bei Gesamtschuldnern ist der Beginn der Verjährung für jeden Schuldner getrennt zu ermitteln (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2000 - VI ZR 345/99, NJW 2001, 964).

b) Wann den Adhäsionsklägern C. und Dr. P. die Beteiligung des Angeklagten an den zu ihrem Nachteil begangenen Betrugstaten bekannt geworden ist, teilen die Urteilsgründe jedoch nicht mit. Das Landgericht hat lediglich festgestellt, es sei den Adhäsionsklägern in den auf die letzte Zahlung von "Eigenkapital" Ende April 2005 folgenden Wochen klar geworden, dass sie Opfer eines Betruges geworden seien. Die Bestimmung des Zeitpunktes, an dem die Adhäsionskläger Kenntnis von der Beteiligung des Angeklagten erhielten, war auch nicht deshalb entbehrlich, weil er im Juni 2005 ohne eine den Geschädigten bekannte Anschrift nach Spanien verzog. Wenn die Adhäsionskläger bereits vor dem Wegzug des Angeklagten um dessen Tatbeteiligung gewusst und auch - was die Urteilsgründe ebenfalls nicht mitteilen - eine Anschrift in Deutschland gekannt haben sollten, war ab diesem Zeitpunkt Kenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 BGB gegeben, ohne dass den Adhäsionsklägern - entgegen der Auffassung des Landgerichts - noch ein weiterer, sich über den Juni 2005 hinaus erstreckender Zeitraum der Prüfung, Überlegung und Beratung zuzubilligen wäre. Ebenso wenig wäre dann von Belang, dass die Adhäsionskläger nicht wussten, dass der Angeklagte nach Spanien verzogen war, und daher "noch keinen Anlass" hatten, "Nachforschungen anzustellen" (UA 48).

Nach Fristbeginn hemmt der spätere Verlust der Kenntnis von der Anschrift des Schuldners, etwa im Fall eines Umzugs, die Verjährung nicht (OLG Karlsruhe ZIP 2009, 1611).

c) Hinsichtlich des Adhäsionsklägers J. teilt das Urteil zwar mit, dass er erst durch ein auf seine Anfrage übersandtes Fax S. s am 3. Juli 2005 die "zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zutreffende Anschrift des Angeklagten" (UA 48) erfuhr und vorher keine Anschrift kannte; es ist aber nicht festgestellt, wann der Adhäsionskläger, der zuletzt Anfang März 2005 gutgläubig Geld an den gesondert Verfolgten M. übergeben hatte, erkannte, dass er u.a. vom Angeklagten betrogen worden war. Deshalb ist die Überprüfung, ob die Unkenntnis der Anschrift bis zum 3. Juli 2005 auf grober Fahrlässigkeit beruht - diese liegt vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urteil vom 23. September 2008 - XI ZR 395/07, NJW 2009, 587) - dem Senat nicht möglich. So enthalten die Urteilsgründe weder Ausführungen dazu, warum sich der Adhäsionskläger J. nicht früher an S. gewandt hat, noch dazu, ob eine frühere Anfrage erfolgreich gewesen wäre.

2. Eine Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung allein über den Entschädigungsanspruch kommt nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 8. November 2005 - 4 StR 321/05, BGHR StPO § 403 Anspruch 8 m.w.N.).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 472a Abs. 2, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 1104

Bearbeiter: Karsten Gaede