hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 381

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 518/09, Urteil v. 21.01.2010, HRRS 2010 Nr. 381


BGH 4 StR 518/09 - Urteil vom 21. Januar 2010 (LG Cottbus)

Kognitionspflicht des Gerichts; wirksamer Eröffnungsbeschluss.

§ 264 StPO; § 203 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 13. Februar 2009 wird

a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte im Fall II. 6 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;

b) das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall II. 1 der Urteilsgründe freigesprochen worden ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Hausfriedensbruchs verwarnt und ihm aufgegeben, binnen sechs Monaten 30 Stunden gemeinnützige Arbeit zu leisten. Vom Vorwurf der schweren Körperverletzung in Tateinheit mit Diebstahl und Sachbeschädigung hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

Mit ihrer auf die Sachbeschwerde gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den freisprechenden Teil des Urteils. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

1. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts, soweit diese für das Revisionsverfahren von Bedeutung sind, befanden sich der Angeklagte sowie die beiden Mitangeklagten H. und S. in den frühen Morgenstunden des 2. März 2008 mit ihren Fahrrädern auf dem Rückweg von einer Party, bei der sie alle in erheblichem Umfang dem Alkohol zugesprochen hatten. Unterwegs beschlossen die drei Angeklagten spontan, den Geschädigten U. zu besuchen, der in einem nahe gelegenen Gartenhaus wohnte, um mit ihm zusammen weiter Alkohol zu trinken. Kurze Zeit, nachdem die Angeklagten von dem Geschädigten in die Gartenlaube eingelassen worden waren, kam es zwischen diesem und dem Mitangeklagten S. zu einem Streit. Beide Mitangeklagten misshandelten sodann den Geschädigten U. und versetzten ihm unter anderem Faustschläge ins Gesicht, wobei U. mehrfach zu Boden ging. Von einem der beiden Täter erhielt er außerdem einen kräftigen Tritt mit dem Fuß gegen die linke Stirnseite. Sodann verwüsteten S. und H. die Gartenlaube des Geschädigten und richteten dabei einen Sachschaden von insgesamt etwa 1.000 Euro an.

Schon als der Mitangeklagte S. dem Geschädigten U. den ersten Faustschlag versetzte und mit H. in der Gartenlaube zu randalieren begann, verließ der Angeklagte die Gartenlaube, weil er mit dem Vorgehen der Mitangeklagten ausdrücklich nichts zu tun haben wollte. Etwa fünf bis zehn Meter von der Laube entfernt rauchte er am Zaun eine Zigarette. Nach etwa fünf bis zehn Minuten kehrte der Angeklagte in die Gartenlaube zurück, fand diese verwüstet und den Geschädigten U. verletzt in einem Sessel sitzend vor.

Nachdem beide Mitangeklagten der Aufforderung des Angeklagten, die Gartenlaube nunmehr zu verlassen, nicht gefolgt waren, zog dieser zunächst H. und danach S. mit körperlichem Kraftaufwand von dem Geschädigten weg und aus dessen Gartenlaube heraus, um weitere Tätlichkeiten und Sachbeschädigungen zu verhindern. Alle drei Angeklagten fuhren daraufhin mit ihren Fahrrädern zu einer nahe gelegenen Tankstelle, wo sich der Angeklagte K. von den anderen verabschiedete und nach Hause fuhr.

Auf Grund des konsumierten Alkohols und der erlittenen Verletzungen war der Geschädigte U. erst gegen 6.00 Uhr morgens in der Lage, die Polizei zu alarmieren. Er hat gravierende Dauerschäden und Behinderungen davongetragen, ist auf einem Auge erblindet und wird voraussichtlich ständig der Betreuung und Pflege durch Dritte bedürfen.

b) Das Landgericht hat dem Angeklagten zwar nicht geglaubt, dass er, im Garten eine Zigarette rauchend, von dem Geschehen in der Laube nichts mitbekommen hat. Es hat aber dessen Einlassung, er sei weder an den Körperverletzungshandlungen gegenüber dem Zeugen U. noch an der Verwüstung der Gartenlaube aktiv beteiligt gewesen, nicht zu widerlegen vermocht.

2. Vor dem Hintergrund der im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen beanstanden Revision und Generalbundesanwalt mit Recht, dass die Strafkammer ihre umfassende Kognitionspflicht (vgl. dazu etwa Meyer-Goßner StPO 52. Aufl. § 264 Rdn. 10 m.w.N.) verletzt hat. Das Sachurteil muss in jedem Fall den durch die zugelassene Anklage abgegrenzten Prozessstoff erschöpfen; der einheitliche geschichtliche Lebensvorgang, der den Gegenstand der Untersuchung bildet, muss vollständig abgeurteilt werden (BGHSt 39, 164, 165 f.). Ein Freispruch ist nur gerechtfertigt, wenn der festgestellte Sachverhalt unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Schuldspruch trägt. Danach hätte das Landgericht hier - gegebenenfalls nach einem rechtlichen Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 StPO - prüfen und entscheiden müssen, ob sich der Angeklagte der unterlassenen Hilfeleistung im Sinne des § 323 c StGB schuldig gemacht hat. Dass die Voraussetzungen dieser Strafvorschrift erfüllt sind, liegt nach dem festgestellten Sachverhalt jedenfalls nicht ganz fern.

Wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers unterliegt das Urteil, soweit der Angeklagte im Fall II. 1 der Urteilsgründe freigesprochen worden ist, insgesamt der Aufhebung. Die für sich genommen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tathergang können nicht aufrecht erhalten bleiben, da der Angeklagte das Urteil insoweit nicht hätte anfechten können (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 2000 - 3 StR 595/99, NStZ-RR 2000, 300 m.w.N.).

II.

Die Verurteilung des Angeklagten wegen Hausfriedensbruchs im Fall II. 6 der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben. Wie der Generalbundesanwalt hierzu in seiner Zuschrift vom 6. November 2009 zutreffend ausgeführt hat, fehlt es insoweit an einem wirksamen Eröffnungsbeschluss.

Das Landgericht hat die Eröffnung des Hauptverfahrens und die Zulassung der Anklage vom 19. Oktober 2007 in der Hauptverhandlung beschlossen, in der die Strafkammer mit zwei Berufsrichtern und zwei Jugendschöffen besetzt war. Damit hat es entgegen der gesetzlich vorgesehenen Besetzung - drei Berufsrichter unter Ausschluss der Schöffen - entschieden, was nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu einem von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernis führt (BGHSt 50, 267, 269; Senatsbeschlüsse vom 28. August 2007 - 4 StR 212/07 und vom 31. Juli 2008 - 4 StR 251/08) und die Einstellung des Verfahrens zur Folge hat (§ 260 Abs. 3 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2010 Nr. 381

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2010, 187; StV 2010, 287

Bearbeiter: Karsten Gaede