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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 796

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 164/09, Beschluss v. 09.06.2009, HRRS 2009 Nr. 796


BGH 4 StR 164/09 - Beschluss vom 9. Juni 2009 (LG Magdeburg)

Körperverletzung mit Todesfolge (Zurechnung mittäterschaftlichen Handelns; Ausschluss der sukzessiven Mittäterschaft); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (symptomatischer Zusammenhang).

§ 227 StGB; § 25 Abs. 2 StGB; § 64 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung kann für deren Todesfolge, die ein anderer unmittelbar herbeigeführt hat, auch derjenige bestraft werden, der die Verletzung nicht mit eigener Hand ausführt, jedoch aufgrund eines gemeinschaftlichen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft zum Verletzungserfolg beiträgt, sofern die Handlung des anderen im Rahmen des beiderseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses lag und dem Täter hinsichtlich des Erfolges Fahrlässigkeit zur Last fällt (Senatsurteil NStZ 1994, 339 m.w.N.).

2. Kann der Hinzutretende die weitere Tatausführung nicht mehr fördern, weil für die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges schon alles getan ist und bleibt deshalb sein eigenes Handeln ohne Einfluss auf den späteren Tod des Geschädigten, kommt eine Zurechnung nach den Grundsätzen der (sukzessiven) Mittäterschaft und eine Mitwirkung an einem Verbrechen des § 227 StGB trotz Kenntnis, Billigung und Ausnutzung der durch einen Anderen geschaffenen Lage nicht in Betracht (BGH NStZ 1984, 548, 549; Senatsurteil NStZ 1994, 339).

3. § 64 Abs. 1 StGB setzt einen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem festgestellten Hang zum übermäßigen Alkohol- bzw. Drogengenuss und der zukünftigen Gefährlichkeit des Täters voraus (vgl. nur BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1). Ein solcher Zusammenhang zwischen den begangenen und den künftig zu befürchtenden Straftaten einerseits und dem Hang zum übermäßigen Alkoholgenuss andererseits ist auch dann zu bejahen, wenn der Hang zum Alkoholgenuss - neben anderen Umständen - mit dazu beigetragen hat, dass der Täter erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (BGH NStZ-RR 1997, 231; BGH NStZ 2000, 25). Der Zusammenhang kann grundsätzlich nicht allein deswegen verneint werden, weil außer der Sucht noch weitere Persönlichkeitsmängel eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen (BGHR aaO).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten R. und J. wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 24. November 2008 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) hinsichtlich des Angeklagten J. in vollem Umfang,

b) hinsichtlich des Angeklagten R., soweit von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen wurde.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten R. wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt, den Angeklagten R. zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten J. zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten J. hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es der Erörterung der von ihm erhobenen Verfahrensrügen nicht bedarf. Das Rechtsmittel des Angeklagten R. hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielten sich beide Angeklagte in den Abendstunden des 13. Mai 2008 in der Wohnung der Marianne H. in Wernigerode auf und genossen, wie schon am Nachmittag zuvor, im Einzelnen nicht näher feststellbare Mengen Alkohol. In den frühen Morgenstunden des 14. Mai 2008 unternahm der erheblich unter Alkoholeinfluss stehende Marco Pi., der ebenfalls in der Wohnung anwesend war, Annäherungsversuche gegenüber Marianne H. und berührte sie an verschiedenen Körperteilen.

Auf den Versuch des Angeklagten J., Marco Pi. von weiteren Übergriffen abzuhalten und ihn zu diesem Zweck von Marianne H. zu trennen, reagierte Pi. mit einer abwehrenden Armbewegung, wobei er den Angeklagten J. mit der Hand am Hals berührte. Über dieses Verhalten ärgerte sich der Angeklagte R. und beschloss, Marco Pi. dafür mit körperlicher Züchtigung zu bestrafen. Er versetzte diesem drei bis vier Faustschläge auf die linke Gesichtshälfte, woraufhin der Angeklagte J., der ebenso verärgert war, nun seinerseits beschloss, sich der Bestrafung des Marco Pi. anzuschließen und bei den Körperverletzungshandlungen mitzuwirken. Er schlug mehrfach gegen den Körper des Marco Pi. und trat auch mindestens einmal gegen ihn. In der Zwischenzeit beteiligte sich auch der Angeklagte R. weiter an den mit heftigen Schlägen geführten körperlichen Misshandlungen des mittlerweile von der Couch gerutschten Geschädigten. Beide Angeklagte hätten dabei auf Grund ihrer persönlichen Kenntnisse und Erfahrungen trotz erheblichen Alkoholgenusses erkennen können, dass der auf Grund erheblicher Alkoholisierung (BAK: 4,0 Promille) nahezu wehrlose Geschädigte bei einer derartigen Behandlung ums Leben kommen könne und dass dieser Erfolg durch ein Unterlassen der Gewalthandlungen hätte vermieden werden können. Der Geschädigte erlitt unter Anderem eine Schädel-Hirn-Verletzung mit Brückenvenenabriss. Die dadurch verursachten Blutungen führten noch am selben Tag zum Tode.

2. Das sachverständig beratene Landgericht ist davon ausgegangen, dass die massive Einblutung in das Hirn des Geschädigten infolge des Abrisses mehrerer Brückenvenen todesursächlich war. Hierfür komme eine stumpfe Gewalteinwirkung gegen den frei beweglichen Kopf des Geschädigten in Betracht; bei Anwendung entsprechender Kraft könne dafür schon ein Schlag ausreichend sein. Ob schon allein die vor dem Eingreifen des Angeklagten J. von R. begangenen Gewalthandlungen für den Eintritt des Brückenvenenabrisses ursächlich waren, hat das Landgericht jedoch, auch insoweit dem Sachverständigen folgend, nicht festzustellen vermocht; auch das Zusammenwirken mehrerer Verletzungshandlungen für den Eintritt des Erfolges hat es nicht feststellen können. Mit der Erwägung, es könne dahinstehen, wer von den beiden Angeklagten die Handlungen ausgeführt habe, die die tödliche Verletzung hervorrief, hat es beide Angeklagte wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt; beide Angeklagte müssten sich auf Grund der mittäterschaftlichen Begehungsweise die Tatbeiträge des jeweils Anderen zurechnen lassen.

II. Verurteilung des Angeklagten R.

Der Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Nach den Feststellungen beschloss der Angeklagte J., sich der von dem Angeklagten R. begonnenen "Bestrafung" des Geschädigten anzuschließen und setzte diesen Entschluss sodann in die Tat um. Die Gewaltanwendung in diesem zweiten Tatabschnitt erfolgte somit im gegenseitigen Einverständnis und Zusammenwirken beider Angeklagter. Daher muss sich der Angeklagte R. auch die Schläge und den Fußtritt des in diesem Handlungsabschnitt hinzugetretenen Angeklagten J. gegen das Tatopfer zurechnen lassen. Dass R. die todesursächliche Verletzungshandlung - möglicherweise - nicht selbst vorgenommen hat, steht einer Strafbarkeit gemäß § 227 StGB nicht entgegen. Wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung kann für deren Todesfolge, die ein anderer unmittelbar herbeigeführt hat, auch derjenige bestraft werden, der die Verletzung nicht mit eigener Hand ausführt, jedoch aufgrund eines gemeinschaftlichen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft zum Verletzungserfolg beiträgt, sofern die Handlung des anderen im Rahmen des beiderseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses lag und dem Täter hinsichtlich des Erfolges Fahrlässigkeit zur Last fällt (Senatsurteil NStZ 1994, 339 m.w.N.). So liegt es hier.

III. Verurteilung des Angeklagten J.

1. Im Hinblick auf den Angeklagten J. begegnet der Schuldspruch wegen Körperverletzung mit Todesfolge jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Entgegen der Auffassung des Landgerichts führt der Umstand, dass J. die von ihm beobachtete vorangegangene Gewaltanwendung durch den Angeklagten R. billigte und sich zur Teilnahme an dessen weiterer Gewaltanwendung entschloss, nicht dazu, dass die ihm bereits vor seinem Tatentschluss durch R. allein verwirklichten Tatumstände zuzurechnen wären.

Kann der Hinzutretende die weitere Tatausführung nicht mehr fördern, weil für die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolges schon alles getan ist und bleibt deshalb sein eigenes Handeln ohne Einfluss auf den späteren Tod des Geschädigten, kommt eine Zurechnung nach den Grundsätzen der (sukzessiven) Mittäterschaft und eine Mitwirkung an einem Verbrechen des § 227 StGB trotz Kenntnis, Billigung und Ausnutzung der durch einen Anderen geschaffenen Lage nicht in Betracht (BGH NStZ 1984, 548, 549; Senatsurteil NStZ 1994, 339).

2. Da das Landgericht rechtsfehlerfrei nicht feststellen konnte, welche der von beiden Angeklagten ausgeübten Gewalteinwirkungen für den todesursächlichen Brückenvenenabriss in der Hirnkammer des Geschädigten ursächlich war, war in Anwendung des Zweifelssatzes davon auszugehen, dass dem Geschädigten die zum Tode führende Verletzung schon im ersten Teil des Geschehens und damit vor dem Zeitpunkt zugefügt worden war, als der Angeklagte J. beschloss, sich der durch den Mitangeklagten R. begonnenen Bestrafung des Tatopfers anzuschließen und bei den Körperverletzungshandlungen mitzuwirken. Sollte die zur neuen Verhandlung und Entscheidung berufene Strafkammer insoweit zu keinen weiteren Feststellungen gelangen können, kommt hinsichtlich des Angeklagten J. lediglich eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung in Betracht.

IV. Rechtlichen Bedenken begegnet weiter, dass das Landgericht von der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat (§ 64 StGB).

1. Das sachverständig beratene Landgericht hat bei beiden Angeklagten zwar einen Hang im Sinne von § 64 StGB bejaht, jedoch gemeint, es fehle an einem symptomatischen Zusammenhang mit der Straftat. Bei beiden Angeklagten sei es vielmehr schon im Vorfeld der Suchtentwicklung sozialisationsbedingt zu einer verschobenen Norm- und Wertevorstellung gekommen, aus der heraus "Gewaltanwendungen auch in der Perspektive einer Alkoholabstinenz seitens der Angeklagten als probates Mittel betrachtet (worden seien), um Konflikte zu lösen". Es gebe daher einen symptomatischen Zusammenhang zwischen der körperverletzenden Verhaltensweise und den verschobenen Norm- und Wertvorstellungen, nicht aber einen solchen mit der bestehenden Alkoholabhängigkeit.

2. Mit dieser Begründung begegnet die Verneinung eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen der Tatbegehung und einem als möglich angesehenen Hang im Sinne des § 64 StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat die Anordnung der Maßregel von zu engen Voraussetzungen abhängig gemacht.

a) § 64 Abs. 1 StGB setzt einen symptomatischen Zusammenhang zwischen dem festgestellten Hang zum übermäßigen Alkohol- bzw. Drogengenuss und der zukünftigen Gefährlichkeit des Täters voraus (vgl. nur BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1). Ein solcher Zusammenhang zwischen den begangenen und den künftig zu befürchtenden Straftaten einerseits und dem Hang zum übermäßigen Alkoholgenuss andererseits ist auch dann zu bejahen, wenn der Hang zum Alkoholgenuss - neben anderen Umständen - mit dazu beigetragen hat, dass der Täter erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (BGH NStZ-RR 1997, 231; BGH NStZ 2000, 25). Der Zusammenhang kann grundsätzlich nicht allein deswegen verneint werden, weil außer der Sucht noch weitere Persönlichkeitsmängel eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen (BGHR aaO).

b) Die Strafkammer hat insoweit festgestellt, dass beide Angeklagte seit ihrem sechzehnten Lebensjahr regelmäßig Alkoholmissbrauch betreiben, teilweise bis zum Eintritt des Kontrollverlustes, und daneben in erheblichem Umfang Drogen konsumieren. Der Angeklagte R. hat bereits zweimal eine kurzzeitige Therapiemaßnahme absolviert. Lebensinhalt beider Angeklagter ist seit Jahren der regelmäßige Konsum von Alkohol und Rauschmitteln im Freundeskreis, lediglich unterbrochen durch die Verbüßung von Freiheitsstrafen aus zahlreichen Vorverurteilungen wegen Körperverletzungs- und Eigentumsdelikten.

Die Angeklagten verfügen über keine abgeschlossene Berufsausbildung und gehen keiner geregelten Beschäftigung nach. Die hier abgeurteilte Tat steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem zuvor über den wesentlichen Teil des Tattages hinweg betriebenen Alkoholkonsum. Dass die erhebliche Alkoholisierung die gewalttätige Reaktion der Angeklagten auf eine vergleichsweise geringfügige sexuelle Belästigung einer dritten Person mit beeinflusst hat, liegt danach auf der Hand. Damit ist der erforderliche symptomatische Zusammenhang in dem Sinne dargetan, dass die Alkoholsucht die Begehung der Tat mit ausgelöst hat, mag sie ihre Ursache auch in der von dem medizinischen Sachverständigen bei den Angeklagten festgestellten, bereits zuvor sozialisationsbedingt eingetretenen Verschiebung der allgemeinen Norm- und Wertevorstellungen haben. Kann die kriminalitätsfördernde Wirkung der Sucht in einem solchen Fall durch eine erfolgreiche Behandlung beseitigt werden, ist auch die Tätergefährlichkeit im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB vermindert. Den Urteilsgründen kann nicht entnommen werden, dass bei beiden Angeklagten die hinreichend konkrete Aussicht eines solchen Behandlungserfolges nicht besteht.

c) Dass nur die Angeklagten Revision eingelegt haben, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGHSt 37, 5, 7; BGH NStZ-RR 2008, 107). Sie haben die Nichtanwendung des § 64 StGB auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362 f.). Der Strafausspruch bei dem Angeklagten R. kann bestehen bleiben. Der Senat kann angesichts des Tatbildes ausschließen, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte.

3. Es wird nunmehr mit sachverständiger Hilfe (§ 246 a StPO) die hinreichend konkrete Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB sowie - im Hinblick auf § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB i.d.F. des am 20. Juli 2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt (BGBl I 1327) - die zur Therapie erforderliche Dauer der Unterbringung zu klären sein (vgl. Senatsbeschluss StV 2007, 634).

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 796

Externe Fundstellen: NStZ 2009, 631; StV 2010, 306

Bearbeiter: Karsten Gaede