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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 271

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 640/08, Beschluss v. 05.02.2009, HRRS 2009 Nr. 271


BGH 4 StR 640/08 - Beschluss vom 5. Februar 2009 (LG Paderborn)

Rechtsfehlerhafte Beweiswürdigung (mangelnde Feststellungen; nötige Tatkonkretisierung; Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte durch zu geringe Anforderungen an die Überzeugungsbildung; Unschuldsvermutung).

Art. 6 Abs. 1, Abs. 2 EMRK; § 261 StPO; § 267 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Ein Schuldspruch wegen Taten, die weder nach Ort, Zeit oder sonstigen Tatumständen näher bestimmt und auch hinsichtlich des Tathergangs nur sehr vage beschrieben sind, ist, namentlich wenn der Angeklagte die Vorwürfe bestreitet, mit rechtstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren (vgl. nur BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Mindestfeststellungen 3). Könnte eine Verurteilung auch auf derart vage Feststellungen gestützt werden, so würde der Angeklagte in seinen Verteidigungsmöglichkeiten unangemessen beschränkt (BGH aaO). Darüber hinaus wird, je weniger konkrete Tatsachen über den Schuldspruch bekannt sind, desto fraglicher, ob der Richter von der Tat im Sinne des § 261 StPO überhaupt überzeugt sein kann (BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Mindestfeststellungen 1 und 2). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Tatvorwurf Vorgänge betrifft, die auf früheren Aussagen eines einzigen Zeugen beruhen, die dieser zudem später widerrufen hat.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 16. September 2008 aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte in den Fällen II. 8 bis 15 der Urteilsgründe verurteilt worden ist,

b) im Ausspruch über die insoweit verhängten Einzelstrafen,

c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils keinen den Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die Darstellung des Tatgeschehens in den von der Aufhebung erfassten Fällen beschränkt sich auf folgende Ausführungen:

"8.-11.

Darüber hinaus lieferte der Angeklagte dem B. A. in 4 weiteren Fällen jeweils 10 kg Marihuana nach Paderborn.

12.-13.

Überdies lieferte der Angeklagte in 2 weiteren Fällen jeweils 3 kg Marihuana an B. A. .

14.

In einem weiteren Fall lieferte er B. A. 3 kg Marihuana und zusätzlich 7 kg Amphetamin.

15.

In einem Fall lieferte er B. A. 3 kg Marihuana und 3 kg Amphetamin."

Der Angeklagte hat seine Täterschaft insoweit bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von den Taten auf Grund der Angaben des Zeugen B. A. bei seiner polizeilichen Vernehmung und in dem gegen ihn geführten Strafverfahren gewonnen.

2. Die getroffenen Feststellungen und die ihnen zu Grunde liegende Beweiswürdigung tragen - wie die Revision zu Recht rügt - nicht die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II. 8 bis 15 der Urteilsgründe wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

Ein Schuldspruch wegen Taten, die - wie hier - weder nach Ort, Zeit oder sonstigen Tatumständen näher bestimmt und auch hinsichtlich des Tathergangs nur sehr vage beschrieben sind, ist, namentlich wenn der Angeklagte die Vorwürfe bestreitet, mit rechtstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren (vgl. nur BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Mindestfeststellungen 3). Könnte eine Verurteilung auch auf derart vage Feststellungen gestützt werden, so würde der Angeklagte in seinen Verteidigungsmöglichkeiten unangemessen beschränkt (BGH aaO). Darüber hinaus wird, je weniger konkrete Tatsachen über den Schuldspruch bekannt sind, desto fraglicher, ob der Richter von der Tat im Sinne des § 261 StPO überhaupt überzeugt sein kann (BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Mindestfeststellungen 1 und 2). Dies gilt insbesondere dann, wenn der Tatvorwurf - wie im vorliegenden Fall - Vorgänge betrifft, die auf früheren Aussagen eines einzigen Zeugen beruhen, die dieser zudem später widerrufen hat.

3. Die Teilaufhebung führt zum Wegfall der insoweit verhängten Einzelstrafen und entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 271

Externe Fundstellen: StV 2010, 61

Bearbeiter: Karsten Gaede