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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 214

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 543/08, Beschluss v. 02.12.2008, HRRS 2009 Nr. 214


BGH 4 StR 543/08 - Beschluss vom 2. Dezember 2008 (LG Paderborn)

Vergewaltigung; sexuelle Nötigung (konkludente Drohung); Verhängung einer Jugendstrafe (einzelfallbezogene Beurteilung der Schwere der Tat; Milderung infolge einer vorherigen "Verführungssituation"; ambivalentes Opferverhalten).

§ 177 Abs. 1, Abs. 2 StGB; § 17 Abs. 2 JGG

Leitsatz des Bearbeiters

Die Schwere der Schuld im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG ist nicht abstrakt nach dem verwirklichten Tatbestand messbar, sondern jeweils nur in Beziehung zu einer bestimmten Tat zu erfassen, so dass der äußere Unrechtsgehalt der Tat nicht unberücksichtigt bleiben darf (vgl. BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 3 m.w.N.).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 28. Juli 2008

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Vergewaltigung schuldig ist,

b) im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten der Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung für schuldig befunden und ihn zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Schuldspruch wegen Vergewaltigung weist keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf. Dagegen hält die tateinheitliche Verurteilung wegen sexueller Nötigung der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Nach den zu diesem zweiten Handlungsteil getroffenen Feststellungen verlangte der Angeklagte von der Nebenklägerin, ihn oral zu befriedigen. Als sie dies ablehnte, kniete er sich neben sie auf das Bett und beugte sich so zu ihr herunter, dass sein Penis ihren Mund berührte, den sie jedoch fest zukniff. Darauf sagte der Angeklagte wütend "dann eben nicht" und entfernte sich schließlich.

Nach diesen Feststellungen hat der Angeklagte bis zur Aufgabe der weiteren Tatausführung in diesem Handlungsabschnitt entgegen der Auffassung des Landgerichts Gewalt (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB) nicht angewendet. Den Feststellungen kann aber ebenso wenig entnommen werden, dass die im ersten Handlungsabschnitt im Zusammenhang mit dem erzwungenen Geschlechtsverkehr ausgeübte Gewalt als konkludente Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben im Sinne der Nr. 2 der Vorschrift fortwirkte (vgl. dazu Fischer StGB 55. Aufl. § 177 Rdn. 20 m.N.). Schließlich geben die Feststellungen auch für eine schutzlose Lage im Sinne der Nr. 3 der Vorschrift nichts her.

Da weiter gehende Feststellungen, die die Annahme sexueller Nötigung nach § 177 Abs. 1 StGB tragen könnten, nicht zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch dahin, dass der Angeklagte "nur" der Vergewaltigung schuldig ist.

2. Bereits die Änderung des Schuldspruchs zwingt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Davon abgesehen hat der Strafausspruch auch deshalb keinen Bestand, weil die Verhängung der Jugendstrafe schon für sich genommen durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.

Das Landgericht hat die Verhängung von Jugendstrafe allein wegen der Schwere der Schuld nach § 17 Abs. 2 letzter Halbs. JGG für erforderlich gehalten und hat des weiteren dabei vergleichsweise nach den Maßstäben des allgemeinen Strafrechts das Vorliegen eines minder schweren Falles des § 177 Abs. 5 StGB verneint. Beide Erwägungen werden den Besonderheiten des Falles nicht gerecht: Die Nebenklägerin hatte den zur Tatzeit noch 17 Jahre alten Angeklagten früh morgens um 7.00 Uhr zu sich eingeladen, als ihre Mutter verreist war. Nachdem er vereinbarungsgemäß erschienen war, forderte sie ihn auf, sich zu ihr zu setzen, was er befolgte, worauf sie sich an ihn anlehnte. Im weiteren Verlauf ihres Zusammenseins wies sie seine nunmehr beginnenden sexuellen Übergriffe zwar zurück. Gleichwohl ging sie mit ihm in ihr Zimmer, legte sich auf ihr Bett, erlaubte ihm ausdrücklich sich zu ihr zu legen und erklärte ihm, gegen "etwas Kuscheln" habe sie nichts einzuwenden. Auch auf dem Bett wies sie sein wiederholt geäußertes Verlangen, mit ihm zu "schlafen", zurück, bis er sich schließlich auf ihre Oberschenkel setzte, ihre Beine auseinanderdrückte und den Geschlechtsverkehr vollzog.

Das Landgericht hat diese "Verführungssituation" dem nicht vorbestraften Angeklagten zwar im Rahmen der allgemeinen Strafzumessungserwägungen "sehr zugute" gehalten. Das genügte hier jedoch nicht. Vielmehr hätten die besonderen Umstände bereits bei der Beurteilung der Schwere der Schuld im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG Berücksichtigung finden müssen. Denn diese ist nicht abstrakt nach dem verwirklichten Tatbestand messbar, sondern jeweils nur in Beziehung zu einer bestimmten Tat zu erfassen, so dass der äußere Unrechtsgehalt der Tat nicht unberücksichtigt bleiben darf (vgl. BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 3 m.w.N.). Umstände, die hier aus Erziehungsgründen die Verhängung von Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld gebieten könnten, sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Dass auch der Vertreter der Jugendgerichtshilfe - wie das Urteil ohne jegliche nähere Begründung mitteilt - vorliegend die Verhängung von Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld für erforderlich gehalten hat, führt schon deshalb zu keinem anderen Ergebnis, weil es sich hierbei um eine Rechtsfrage handelt, über die allein das Gericht zu entscheiden hat.

Über die Rechtsfolgen der Tat ist daher umfassend neu zu verhandeln und zu entscheiden.

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 214

Externe Fundstellen: NStZ 2009, 450; StV 2009, 90

Bearbeiter: Karsten Gaede