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HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 767

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 178/08, Beschluss v. 27.05.2008, HRRS 2008 Nr. 767


BGH 4 StR 178/08 - Beschluss vom 27. Mai 2008 (LG Schwerin)

Erörterungsmangel hinsichtlich der Tatbegehung als Heranwachsender; keine gleichzeitige Verurteilung zu Jugendstrafe und zu Erwachsenenstrafe bei einer Tat.

§ 1 JGG; § 105 JGG; § 32 JGG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Es ist nicht statthaft, bei gleichzeitiger Aburteilung von Taten, auf die teils Jugendstrafrecht, teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, sowohl auf Jugendstrafe als auch auf Erwachsenenstrafe zu erkennen (vgl. BGHSt 29, 67 m.w.N.), vielmehr ist entsprechend dem Schwergewicht der Taten entweder nur nach Jugendstrafrecht oder nach Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen.

2. Welches Recht einheitlich auf mehrere in verschiedenen Alterstufen begangene Taten anzuwenden ist, richtet sich danach, wo deren Schwergewicht liegt. Dies hat der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Lässt sich nicht eindeutig erkennen, dass das Schwergewicht bei den vom Angeklagten als Heranwachsenden begangenen und nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Straftaten liegt, so ist für alle Taten allgemeines Strafrecht anzuwenden (vgl. BGHR JGG § 32 Schwergewicht 4 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1999 - 1 StR 570/99).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 11. Dezember 2007 im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und wegen sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Nach den Feststellungen hat der Angeklagte "in der Zeit von 1998 bis 2004" [UA 5] sieben Missbrauchstaten zum Nachteil seiner am 8. Januar 1990 geborenen Schwester Mandy begangen, unter anderem die Tat II 1 der Urteilsgründe "im Frühjahr oder Sommer 1998" und die Taten II 2 und 4 der Urteilsgründe "im vorbezeichneten Zeitraum vor dem 14. Geburtstag der Geschädigten"; hinsichtlich der Tat II 3 der Urteilsgründe fehlt es an einer näheren Eingrenzung der Tatzeit. Es ist demnach nicht auszuschließen, dass der am geborene Angeklagte bei Begehung dieser vier Taten noch Heranwachsender (§§ 1, 105 JGG) war. Das Landgericht hätte deshalb prüfen müssen, ob der Angeklagte zur Tatzeit nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, sodass Jugendstrafe anzuwenden wäre.

Auch die für die übrigen Taten verhängten Einzelstrafen können nicht bestehen bleiben. Zwar ergeben die Feststellungen zu den weiteren Missbrauchstaten zum Nachteil seiner Schwester Mandy und zu der sexuellen Nötigung zum Nachteil der Zeugin Christin K., dass der Angeklagte bei Begehung dieser Taten das 21. Lebensjahr vollendet hatte. Sollte die nun entscheidende Jugendkammer hinsichtlich der Taten II 1 bis 4 der Urteilsgründe zur Anwendung von Jugendstrafrecht kommen, so würde die Verurteilung teils zu Jugend- teils zu Erwachsenenstrafe gegen § 32 JGG verstoßen. Danach ist es nicht statthaft, bei gleichzeitiger Aburteilung von Taten, auf die teils Jugendstrafrecht, teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, sowohl auf Jugendstrafe als auch auf Erwachsenenstrafe zu erkennen (vgl. BGHSt 29, 67 m.w.N.), vielmehr ist entsprechend dem Schwergewicht der Taten entweder nur nach Jugendstrafrecht oder nach Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen.

Welches Recht einheitlich auf mehrere in verschiedenen Alterstufen begangene Taten anzuwenden ist, richtet sich danach, wo deren Schwergewicht liegt. Dies hat der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Lässt sich nicht eindeutig erkennen, dass das Schwergewicht bei den vom Angeklagten als Heranwachsenden begangenen und nach Jugendstrafrecht zu beurteilenden Straftaten liegt, so ist für alle Taten allgemeines Strafrecht anzuwenden (vgl. BGHR JGG § 32 Schwergewicht 4 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1999 - 1 StR 570/99).

HRRS-Nummer: HRRS 2008 Nr. 767

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2008, 324

Bearbeiter: Karsten Gaede