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HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 406

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 472/05, Beschluss v. 09.03.2006, HRRS 2006 Nr. 406


BGH 4 StR 472/05 - Beschluss vom 9. März 2006 (LG Halle)

Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (Notwendigkeit eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang zum Drogenmissbrauch und der begangenen Tat: Äußerung der hangbedingten Gefährlichkeit).

§ 64 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 26. April 2005 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine - allgemeine - Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafen aus drei rechtskräftigen Strafbefehlen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Wochen verurteilt und ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision der Angeklagten gegen dieses Urteil, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat nur im Hinblick auf die Maßregelanordnung Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift u.a. ausgeführt:

"Auf durchgreifende Bedenken stößt jedoch die Maßregelanordnung.

Es ist zu besorgen, dass die Strafkammer die rechtlichen Voraussetzungen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 Abs. 1 StGB, insbesondere die Notwendigkeit eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen dem Hang der Angeklagten zum Drogenmissbrauch und ihrer Tat, verkannt hat (UA S. 9, 23).

Für beide Alternativen des § 64 Abs. 1 StGB gilt, dass zwischen dem Hang des Täters zum Drogenmissbrauch und seiner Tat ein symptomatischer Zusammenhang bestehen muss. Hat der Täter den Hang, Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, so kommt die Anordnung einer Maßregel nach § 64 Abs. 1 StGB nur in Betracht, wenn es sich um eine rechtswidrige Tat handelt, die er im Rausch begangen hat oder die auf seinen Hang zurückgeht. Dabei ist die erste Alternative nur ein Unterfall der zweiten, so dass diese den Oberbegriff darstellt. In beiden Fällen muss zwischen der Tat und dem Hang ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Dieser Zusammenhang liegt vor, wenn die Tat in dem Hang ihre Wurzel findet. Die konkrete Tat muss also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von Rauschmitteln haben, indem sich in ihr seine hangbedingte Gefährlichkeit äußert (BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 2 m.w.N.).

Vorliegend fehlt es an dem symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang der Angeklagten zum Drogenmissbrauch und der von ihr begangenen Tat. Sie hat die Tat insbesondere nicht begangen, um sich Drogen zu verschaffen. Dies folgt auch nicht aus der von der Strafkammer zur Begründung der Maßregelanordnung herangezogenen besonderen Gestaltung der Beziehung der Angeklagten zu dem Zeugen A., welcher ihr Liebhaber und Dealer zugleich sei, so dass sich ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis ergebe (UA S. 23 f.).

Denn die Angeklagte handelte zwar mit Blick auf die von ihr durch die Zeugin als gefährdet angesehene Beziehung zum Zeugen A., also aus Eifersucht. Dass dabei der Wunsch maßgeblich war, die Beziehung zu dem Zeugen A. aufrecht zu erhalten, um ihn als "Rauschgiftquelle" zu erhalten, lässt sich den Feststellungen jedoch nicht entnehmen. Selbst wenn dies aber das tragende Tatmotiv der Angeklagten gewesen sein sollte, so käme der so intendierten Eifersuchtstat gleichwohl kein Symptomwert im Sinne einer Hangtat zu, weil der Anlass für die Eifersucht der Angeklagten außerhalb ihres Suchtverhaltens, nämlich in der "notorischen Untreue" des Zeugen A. lag. Danach ist die Angeklagte nur insoweit als "gefährlich" anzusehen, als ihre Beziehung mit dem Zeugen A. fortbesteht und dieser sein bisheriges promiskes Verhalten fortsetzt. Dieser "Gefahrenzusammenhang" ist einer Drogenentziehungstherapie nicht zugänglich.

Auch ergeben die Feststellungen des Landgerichts nicht, dass sich die Angeklagte bei Ausführung der vorliegenden Tat etwa in einem Rausch befunden hätte. Sie hatte zwar Drogen und geringe Mengen Alkohol zu sich genommen. Dass diese jedoch Einfluss auf den Tatentschluss der Angeklagten hatten, kann den Feststellungen nicht entnommen werden.

Die Maßregelanordnung ist deshalb aufzuheben. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass noch Feststellungen getroffen werden können, die eine Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt rechtfertigen. Die Sache ist daher insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen."

Dem stimmt der Senat zu. Er hebt auch die der Anordnung der Unterbringung zu Grunde liegenden Feststellungen auf, um dem neuen Tatrichter zur Frage der Anordnung der Maßregel umfassende eigene Feststellungen zu ermöglichen.

Nach dem Wegfall des die Zuständigkeit des Schwurgerichts begründenden Tatvorwurfs des versuchten Totschlags verweist der Senat die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (vgl. BGH NJW 1994, 3304, 3305; Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 354 Rdn. 42).

HRRS-Nummer: HRRS 2006 Nr. 406

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2006, 204

Bearbeiter: Karsten Gaede