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HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 176

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 237/04, Beschluss v. 14.12.2004, HRRS 2005 Nr. 176


BGH 4 StR 237/04 - Beschluss vom 14. Dezember 2004 (LG Halle)

Schuldspruchänderung; Tenorierung (Klarstellung; Tatmodalitäten; angewendete Vorschriften); Strafzumessung (Doppelverwertungsverbot und unzulässige Strafschärfung auf Grund zulässigen Verteidigungsverhaltens).

§ 46 StGB; § 260 StPO; § 354 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Tatmodalitäten, die kein eigenes Unrecht darstellen oder die allein für die Strafzumessung von Bedeutung sind (hier: gemeinschaftliche Begehung der Tat), sind aus Gründen der Übersichtlichkeit im Tenor nicht zu erwähnen (vgl. BGHSt 27, 287, 289). Derartige Angaben finden ihren angemessenen Platz vielmehr im Verzeichnis der angewendeten Strafvorschriften nach § 260 Abs. 5 StPO.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 25. März 2003, soweit es ihn betrifft,

a) im Schuldspruch dahin geändert und klargestellt, daß der Angeklagte der Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellem Mißbrauch von Kindern in jeweils zwei tateinheitlichen Fällen sowie des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen in drei tateinheitlichen Fällen schuldig ist,

b) im gesamten Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer - Jugendschutzkammer - des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten "der Vergewaltigung in Tateinheit mit gemeinschaftlichem schwerem sexuellen Mißbrauch von Kindern und weiterer Tateinheit mit gemeinschaftlichem sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen, sowie weiter des gemeinschaftlichen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in Tateinheit mit gemeinschaftlichem sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen" für schuldig befunden und ihn unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus der rechtskräftigen Verurteilung durch das Landgericht Halle vom 17. September 1999 unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Revision macht der Angeklagte hinsichtlich des Falles II 1 der Urteilsgründe das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs geltend und rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, ist das im Fall II 1 der Urteilsgründe festgestellte Tatgeschehen nicht identisch mit dem in dem Urteil des Landgerichts Halle vom 17. September 1999 abgeurteilten Fall II 8; ein Verfahrenshindernis besteht daher nicht.

II. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und damit unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

III. Die Sachrüge führt zu einer Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.

1. Die Schuldspruchänderung ergibt sich daraus, daß sich der Angeklagte im Fall II 2 der Urteilsgründe nicht auch des sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen schuldig gemacht hat, weil die Kinder - zwei nur kurzzeitig beim Angeklagten zu Besuch weilende Söhne von Bekannten - nicht zu dem von § 174 Abs. 1 StGB geschützten Personenkreis gehören, worauf das Landgericht in dem angefochtenen Urteil selbst hingewiesen hat (UA 19, 20).

Der Senat hat außerdem eine Klarstellung des Urteilstenors vorgenommen, durch die zum Ausdruck gebracht wird, daß sich der Angeklagte im Fall II 1 an drei Schutzbefohlenen, von denen zwei noch Kinder waren, und im Fall II 2 an zwei Kindern vergangen hat. Zugleich hat er die wiederholte Kennzeichnung der Taten als gemeinschaftlich begangen entfallen lassen, weil Tatmodalitäten, die kein eigenes Unrecht darstellen oder die allein für die Strafzumessung von Bedeutung sind, aus Gründen der Übersichtlichkeit im Tenor nicht erwähnt zu werden brauchen (vgl. BGHSt 27, 287, 289; BGH, Beschluß vom 6. Oktober 1998 - 4 StR 391/98; vgl. auch Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. § 260 Rdn. 24). Derartige Angaben finden ihren angemessenen Platz vielmehr im Verzeichnis der angewendeten Strafvorschriften nach § 260 Abs. 5 StPO.

2. Der Strafausspruch hat insgesamt keinen Bestand.

a) Die für den Fall II 1 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe unterliegt - wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat - schon deswegen der Aufhebung, weil die Strafkammer von einem falschen Strafrahmen ausgegangen ist. Zur Tatzeit galt § 176 Abs. 2 StGB i.d.F. des 6. StrRG, der Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vorsah; statt dessen hat die Strafkammer einen Strafrahmen von einem Jahr bis zu fünfzehn Jahren zugrundegelegt (UA 20). Es ist nicht auszuschließen, daß sie bei Anwendung des zutreffenden Strafrahmens auf eine niedrigere Einzelstrafe und eine geringere Gesamtstrafe erkannt hätte.

b) Darüber hinaus weisen die Ausführungen zur Strafzumessung weitere Rechtsfehler auf, die die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs bedingen: Die Strafkammer hat strafschärfend berücksichtigt, daß der Angeklagte "in allen Fällen seine eigene sexuelle Befriedigung über das Wohl der eigenen und ihm anvertrauten Kinder" setzte und "alle Kinder ... zu Sexualobjekten" degradierte [UA 21]. Diese Erwägungen begründen zumindest in der Gesamtschau einen Verstoß gegen das Verbot der Doppelverwertung nach § 46 Abs. 3 StGB (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 3 Sexualdelikte 4; BGH, Beschluß vom 30. Juli 2002 - 4 StR 148/02; vgl. auch Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 46 Rdn. 77 m.w.N.).

Ferner hat das Landgericht zum Nachteil beider Angeklagter deren Verhalten in der Hauptverhandlung, das es als "erschütternd und abstoßend" bezeichnet, gewertet: "Neben hämischem und triumphierendem Grinsen wurde Unverständnis geäußert bzw. über die Verteidigung Beweisanträge gestellt bezüglich der Frage, ob die Kinder, wie S. berichtet hatte, tatsächlich kein Spielzeug besaßen und zur Einschulung keine Zuckertüten gehabt hätten, was durch Vorlage von Fotos widerlegt und als falsche Erinnerung des S. bewiesen wurde [UA 22]." Diese Erwägung ist insoweit rechtsfehlerhaft, als den Angeklagten die Stellung von Beweisanträgen angelastet wird, mit denen die Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen erschüttert werden sollte. Ein Prozeßverhalten, mit dem ein Angeklagter - ohne die Grenzen zulässiger Verteidigung zu überschreiten - den ihm drohenden Schuldspruch abzuwenden versucht, darf grundsätzlich nicht straferschwerend berücksichtigt werden, da hierin eine Beeinträchtigung seines Rechts auf Verteidigung läge (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 17).

Über die Strafzumessung ist daher insgesamt neu zu befinden.

HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 176

Bearbeiter: Karsten Gaede