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HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 900

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 199/04, Urteil v. 09.09.2004, HRRS 2004 Nr. 900


BGH 4 StR 199/04 - Urteil vom 9. September 2004 (LG Essen)

Voraussetzungen für eine Strafrahmenmilderung infolge eines Täter-Opfer-Ausgleichs bei der Leistung von Schadensersatz (friedensstiftende Wirkung; kommunikativer Prozess); gefährliche Körperverletzung (hinterlistiger Überfall).

§ 46a StGB; § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

1. Die Erfüllung von Schadensersatzansprüchen allein genügt nicht, um die durch § 46a StGB eröffnete Strafrahmenmilderung zu rechtfertigen (BGHR StGB § 46 a Wiedergutmachung 5). Das gilt umso mehr dann, wenn die Zahlung ihrer Höhe nach angesichts der Schwere der Verletzungen und der Folgen der Tat für das Opfer dessen berechtigten Ansprüchen auch nicht annähernd gerecht wird und diese Art der Schadenswiedergutmachung schon deshalb eine friedensstiftende Wirkung, wie sie § 46a StGB voraussetzt, nicht entfalten kann.

2. § 46 a Nr. 2 StGB betrifft den materiellen Schadensersatz, während sich der für eine Strafrahmenmilderung erforderliche Ausgleich der immateriellen Folgen einer Straftat jedenfalls vorrangig nach Nr. 1 des § 46 a StGB bestimmt (vgl. BGHR StGB § 46 a Nr. 1 Ausgleich 1). Diese Vorschrift setzt einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftaten verursachten Folgen gerichtet sein muss; das einseitige Wiedergutmachungsbestreben ohne den Versuch einer Einbeziehung des Opfers genügt nicht (BGHSt 48, 134, 142 f.; BGHR StGB § 46 a Nr. 1 Ausgleich 5). Regelmäßig sind dazu Feststellungen erforderlich, wie sich das Opfer zu den Bemühungen des Täters gestellt hat und wie sicher die Erfüllung der über den bisher gezahlten Betrag hinausgehenden weiteren Schmerzensgeldzahlungsverpflichtung ist (BGHR aaO Ausgleich 6). Ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne von § 46 a Nr. 1 StGB setzt grundsätzlich voraus, dass das Opfer die erbrachten Leistungen oder Bemühungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 26. November 2003 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere - allgemeine -Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten der gefährlichen Körperverletzung, begangen zum Nachteil des Nebenklägers Dirk K., für schuldig befunden und ihn zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision, die sie wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. Das - vom Generalbundesanwalt vertretene - Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

1. Nach den Feststellungen traf der - bereits alkoholisierte - Angeklagte in der Nacht zum 1. Juni 2003 in der Diskothek "M." auf den mit ihm flüchtig bekannten Nebenkläger, der sich in Begleitung seiner Nachbarin Katrin H. befand. Der Nebenkläger war in sie verliebt und reagierte entsprechend eifersüchtig, als er im Laufe des Abends bemerkte, daß es zwischen dem Angeklagten und Katrin H. "gefunkt" hatte. Er verließ deshalb zunächst die Diskothek, tauchte aber einige Zeit später wieder auf, worauf es zwischen beiden zu einer verbalen Auseinandersetzung kam, obwohl der Angeklagte keinen Streit wollte. Beide trennten sich schließlich und der Angeklagte fuhr mit dem Taxi nach Hause. Dort überkam ihn wegen des Geschehens plötzlich eine "ungeheure Wut". Er nahm sich aus der Küche drei Messer mit Klingenlängen zwischen 11 und 20 cm und ging, mit diesen Messern bewaffnet, zur Wohnung des Nebenklägers. Dort wartete er auf der gegenüberliegenden Straßenseite, bis der Nebenkläger mit einem Taxi erschien. Als dieser ausstieg, näherte sich ihm der Angeklagte, dessen BAK in diesem Zeitpunkt 2,43 ‰ betrug, unbemerkt. "In diesem Augenblick wollte er Dirk K. töten. Er rief nur 'Dirk'. K. drehte sich um. Sofort stach der Angeklagte auf ihn ein" (UA 10). Der Nebenkläger war durch den Stich zwar verletzt, fühlte aber noch keinen Schmerz und bewegte sich rückwärts in Richtung einer Trinkhalle. Der Angeklagte verfolgte ihn über 50 Meter und stach dabei weiter auf ihn ein. Dabei äußerte er: "Ich stech' Dich ab, das wird meine Perle". Schließlich ließ der Angeklagte von ihm ab und gab seinen Tötungsvorsatz auf. Dirk K. war schwer verletzt. Der Angeklagte erkannte das nicht, weil dieser wegrannte. Dem Nebenkläger gelang es, mit seinem Mobiltelefon den Polizeinotruf zu betätigen. Die darauf erschienenen Polizeibeamten fanden auf einen Hinweis des Nebenklägers auch den Angeklagten in der Nähe auf einer Mauerbegrenzung sitzend vor, von wo aus er die Beamten auf sich aufmerksam machte; er war "fassungslos über sein eigenes Verhalten".

Der Nebenkläger erlitt drei lebensgefährliche Stichverletzungen in Bauch und Brust. Er konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden. Insgesamt waren drei Operationen erforderlich. Der Nebenkläger befand sich drei Wochen in stationärer Behandlung im Krankenhaus und anschließend zur Weiterbehandlung in einer Reha-Klinik. Er ist immer noch stark belastet und nicht arbeitsfähig.

2. Das Landgericht hat einen strafbefreienden Rücktritt vom unbeendeten Versuch eines Tötungsdelikts angenommen und den Angeklagten deshalb lediglich der gefährlichen Körperverletzung nach den Tatvarianten der Nummern 2 und 5 des § 224 Abs. 1 StGB für schuldig befunden. Es hat - sachverständig beraten - eine alkoholbedingt erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bejaht und deshalb bei der Strafbemessung den Regelstrafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert.

Diesen so gemilderten Strafrahmen hat es sodann ein weiteres Mal gemäß §§ 46 a Nr. 2, 49 Abs. 1 StGB gemildert, weil der Angeklagte, der "den Prozeß dazu nutzen (wollte), sich bei Dirk K. zu entschuldigen", "ein Darlehen in Höhe von 5.000 Euro bei seiner Mutter aufgenommen und dieses Geld im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs als Erstzahlung an K. gezahlt" hat (UA 12).

II.

1. Der Strafausspruch hat keinen Bestand, weil die doppelte Strafrahmenmilderung durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer Revision zu Recht, daß die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Täter-Opfer-Ausgleich (§ 46 a StGB) nicht hinreichend dargetan sind.

a) Das Landgericht geht davon aus, daß die Voraussetzungen des § 46 a Nr. 2 StGB gegeben seien, weil der Angeklagte 5.000 Euro gezahlt und damit, "auch wenn dies noch keine vollständige Leistung auf den Schmerzensgeldanspruch ist" (UA 19), angesichts seiner sonstigen hohen Verschuldung eine erhebliche persönliche Leistung erbracht habe, zumal er für die Zahlung an den Geschädigten einen zurückzuzahlenden "Kredit bei seiner Mutter" habe aufnehmen müssen. Die Erfüllung von Schadensersatzansprüchen allein genügt jedoch nicht, um die durch § 46 a StGB eröffnete Strafrahmenmilderung zu rechtfertigen (BGHR StGB § 46 a Wiedergutmachung 5). Das gilt hier umso mehr, als die Zahlung von 5.000 Euro angesichts der Schwere der Verletzungen und der Folgen der Tat für das Opfer dessen berechtigten Ansprüchen auch nicht annähernd gerecht wird und diese Art der Schadenswiedergutmachung schon deshalb eine friedensstiftende Wirkung, wie sie § 46 a StGB voraussetzt, nicht entfalten kann.

b) Im übrigen hat das Landgericht nicht bedacht, daß § 46 a Nr. 2 StGB den materiellen Schadensersatz betrifft, während sich der für eine Strafrahmenmilderung erforderliche Ausgleich der immateriellen Folgen einer Straftat, um die es hier vor allem geht (Schmerzensgeldanspruch), jedenfalls vorrangig nach Nr. 1 des § 46 a StGB bestimmt (vgl. BGHR StGB § 46 a Nr. 1 Ausgleich 1). Diese Vorschrift setzt einen kommunikativen Prozeß zwischen Täter und Opfer voraus, der auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftaten verursachten Folgen gerichtet sein muß; das einseitige Wiedergutmachungsbestreben ohne den Versuch einer Einbeziehung des Opfers genügt nicht (BGHSt 48, 134, 142 f.; BGHR StGB § 46 a Nr. 1 Ausgleich 5). Regelmäßig sind dazu Feststellungen erforderlich, wie sich das Opfer zu den Bemühungen des Täters gestellt hat und wie sicher die Erfüllung der über den bisher gezahlten Betrag hinausgehenden weiteren Schmerzensgeldzahlungsverpflichtung ist (BGHR aaO Ausgleich 6). Derartige Feststellungen hat das Landgericht nicht getroffen. Sie waren auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Denn ein erfolgreicher Täter-Opfer-Ausgleich im Sinne von § 46 a Nr. 1 StGB setzt grundsätzlich voraus, daß das Opfer die erbrachten Leistungen oder Bemühungen des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptiert. Daß dies hier der Fall ist, kann auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnommen werden. Dagegen könnte sogar sprechen, daß sich das vom Angeklagten gezahlte Geld nicht bei dem Nebenkläger, sondern auf einem Treuhandkonto seines Prozeßbevollmächtigten befindet.

Über den Strafausspruch ist deshalb erneut zu befinden.

2. Im übrigen deckt die Überprüfung des Urteils zum Strafausspruch einen Rechtsfehler weder zu Gunsten noch - was der Senat gemäß § 301 StPO zu beachten hat - zum Nachteil des Angeklagten auf. Insbesondere hat das Schwurgericht entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin neben den Tatmodalitäten der Nrn. 2 und 5 des § 224 Abs. 1 StGB zu Recht nicht auch die Nr. 3 der Vorschrift ("mittels eines hinterlistigen Überfalls") angewandt. Hinterlist setzt voraus, daß der Täter planmäßig in einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht berechneten Weise vorgeht, um dadurch dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf seine Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen (st. Rspr.; BGHR StGB § 223 a StGB Hinterlist 1 m.w.N.; BGH NStZ 2004, 93). Ein solches planmäßig auf Verdeckung ausgerichtetes Verhalten des Angeklagten kann den vom Landgericht getroffenen Feststellungen nicht entnommen werden. Indem der Angeklagte sich K. "unbemerkt von hinten oder seitlich (näherte)" (UA 10) und auf ihn sofort einstach, nachdem sich dieser auf seinen Zuruf umgedreht hatte, hat der Angeklagte für den Angriff lediglich das Überraschungsmoment ausgenutzt. Das genügt aber für Hinterlist im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht (st. Rspr.; Senatsurteil vom 4. März 2004 - 4 StR 377/03; Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 224 Rn. 10 m.w.N.).

III.

Der Senat verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück, nachdem das Verfahren nicht mehr eine die Zuständigkeit des Schwurgerichts betreffende Straftat zum Gegenstand hat.

HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 900

Externe Fundstellen: NStZ 2005, 97

Bearbeiter: Karsten Gaede