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HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 710

Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 548/03, Beschluss v. 13.07.2004, HRRS 2004 Nr. 710


BGH 4 StR 548/03 - Beschluss vom 13. Juli 2004 (LG Paderborn)

Doppelverwertungsverbot bei der gefährlichen Körperverletzung (Vorwurf des fehlenden freiwilligen Rücktritts vom Totschlagsversuch); Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (positive Feststellungen).

§ 46 StGB; § 224 StGB; § 63 StGB

Entscheidungstenor

1. Dem Angeklagten wird nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 22. Juli 2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.

Der Beschluß des Landgerichts Paderborn vom 29. September 2003, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen wurde, ist damit gegenstandslos.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision.

Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler aufgedeckt. Die Revision führt jedoch zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs.

1. Nach den Feststellungen versetzte der Angeklagte der Zeugin T., die mit ihm einige Monate zusammengelebt, sich wegen wiederholter Mißhandlungen aber von ihm getrennt hatte, mehrere Messerstiche, um sie zu töten. An der Vollendung der Tat wurde er durch das Eingreifen Dritter gehindert.

Bei der Strafzumessung hat die Strafkammer strafschärfend berücksichtigt, daß der Angeklagte nach ihrer Überzeugung ohne das selbstlose und beherzte Eingreifen der Zeugen K. und A. so lange auf die Zeugin T. weiter eingestochen hätte, bis diese an ihren Verletzungen verstorben wäre [UA 20]. Damit hat sie zu Lasten des Angeklagten gewertet, daß er nicht freiwillig vom Totschlagsversuch zurückgetreten ist. Diese Erwägung verstößt gegen § 46 Abs. 3 StGB, weil der Angeklagte bei einem freiwilligen Rücktritt nicht wegen versuchten Totschlags hätte bestraft werden können (vgl. BGH NStZ 1983, 217 f.; BGH bei Detter NStZ 1990, 176; BGH, Beschluß vom 30. August 1996 - 3 StR 229/96). Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs, da der Senat nicht ausschließen kann, daß sich der Fehler auf die Bemessung der erkannten Strafe, die nahezu an der Obergrenze des konkret eröffneten Strafrahmens liegt, ausgewirkt hat.

2. Die Maßregelanordnung hat ebenfalls keinen Bestand, weil die zur Schuldfähigkeit des Angeklagten getroffenen Feststellungen nicht geeignet sind, die Unterbringungsanordnung zu rechtfertigen. Diese setzt die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB sicher begründet (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 26 f.; 42, 385 f.).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Zur Frage der Schuldfähigkeit hat das sachverständig beratene Landgericht ausgeführt, bei dem Angeklagten liege eine ausgeprägte Störung der Persönlichkeit vor. Es fänden sich bei ihm deutliche Züge des sogenannten Borderline-Typus, der sich in einer Widersprüchlichkeit im Aufbau und in der Aufrechterhaltung zwischenmenschlicher Beziehungen manifestiere [UA 15]; außerdem bestehe eine massive Störung der Impulskontrolle, aufgrund derer er nicht in der Lage sei, plötzlich aufkommende Gefühle von Wut oder Ärger zu kontrollieren. Diese Störung sei durch vorangegangenen Alkoholkonsum, der zu einer Blutalkoholkonzentration von 1,57 ‰ zur Tatzeit geführt habe, noch begünstigt worden.

Damit ist das Vorliegen eines dauerhaften, nach den §§ 20, 21 StGB erheblichen Defektzustands beim Angeklagten nicht belegt. Bei der Bewertung der vom Landgericht beschriebenen Persönlichkeitsstörung besteht die Gefahr, daß Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sich innerhalb der Bandbreite des Verhaltens voll schuldfähiger Menschen bewegen, zu Unrecht als Symptom einer die Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigenden schweren seelischen Abartigkeit bewertet werden. Dies gilt besonders dann, wenn es sich um die Beurteilung kaum meßbarer, objektiv schwer darstellbarer Befunde und Ergebnisse wie bei einer Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus handelt. Die Ausführungen der Strafkammer sind so knapp und allgemein gehalten, daß sich nicht zuverlässig beurteilen läßt, ob die Störung den für die sichere Annahme des § 21 StGB erforderlichen Schweregrad erreicht.

Die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf deshalb neuer Prüfung und Entscheidung. Dabei wird der neue Tatrichter zu berücksichtigen haben, daß nach ständiger Rechtsprechung nicht pathologisch bedingte Störungen nur dann Anlaß für eine Unterbringung nach § 63 StGB sein können, wenn sie in ihrem Gewicht den krankhaften seelischen Störungen entsprechen (vgl. BGHSt 34, 22, 28; 37, 397, 401).

HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 710

Bearbeiter: Karsten Gaede