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HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 24

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 322/03, Beschluss v. 07.10.2003, HRRS 2004 Nr. 24


BGH 4 StR 322/03 - Beschluss vom 7. Oktober 2003 (LG Halle)

Verminderte Schuldfähigkeit (Beweiswürdigung: Trinkmengen, Alkoholkonsum, situationsangepasstes Handeln, Verdeckung der Tat, Einlassung des Angeklagten).

§ 21 StGB; § 261 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 4. September 2002, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen, ausgenommen derjenigen zum äußeren Tatgeschehen, aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Raub und mit gefährlicher Körperverletzung zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils - mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen - und zur Zurückverweisung der Sache.

1. Die Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit des Angeklagten durch das Schwurgericht begegnet, wenngleich sie im Einklang mit der Begutachtung durch zwei Sachverständige steht, durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

a) Nach den Feststellungen ist der Angeklagte alkoholabhängig. Seit 1992 steigerte sich sein Alkoholkonsum auf 20 bis 24 Dosen Bier täglich. Wenn er sich keinen Alkohol verschaffen konnte, litt er unter ausgeprägten Entzugserscheinungen, die etwa dreimal monatlich schwere Formen von Delirien annahmen. Um den Entzugssymptomen vorzubeugen, begann der Angeklagte bereits nach dem Aufstehen Alkohol zu trinken und setzte dies den ganzen Tag über fort. Mehrere stationäre Entgiftungsbehandlungen sowie eine vom Herbst 1999 bis Mitte 2000 durchgeführte Entzugstherapie blieben ohne Erfolg.

Auch vor der verfahrensgegenständlichen Tat, die am 16. August 2001 gegen 2.30 Uhr begangen wurde, hatte der Angeklagte gemeinsam mit dem Mitangeklagten und dem gesondert verfolgten Harald S. seit dem späten Nachmittag des Vortages Bier in nicht näher bestimmter Menge getrunken. Den Raubentschluß faßten die drei, um das dem stark angetrunkenen Günter Sä. gehörende Bier zu erbeuten. Zur Durchführung dieses Entschlusses schlug der Angeklagte dem Tatopfer mehrmals mit den Fäusten ins Gesicht.

Auch nachdem seine Begleiter dem Opfer die Beutel mit den Bierdosen entrissen hatten, setzte der Angeklagte seine Gewalthandlungen fort, obwohl der Mitangeklagte ihn aufforderte aufzuhören. Schließlich ergriff der Angeklagte eine volle Bierdose und schlug damit in Tötungsabsicht kraftvoll mit mehreren in schneller Folge geführten Hieben in das Gesicht von Günter Sä., um diesen an einer Anzeige wegen der vorangegangenen Mißhandlungen zu hindern.

Der Mitangeklagte griff aus Angst vor dem Angeklagten nicht ein, weil dieser "wie ein Tier" zuschlug. Der Angeklagte ließ erst von dem Opfer ab, als es sich nicht mehr rührte. Danach begaben sich der Angeklagte und seine Begleiter in die Wohnung des S. und tranken das erbeutete Bier; außerdem badete der Angeklagte dort und ließ seine Kleidung waschen.

b) Angesichts dieser Feststellungen zur Täterpersönlichkeit, zur Tatvorgeschichte und zur Tat kann zwar ein Vollrausch ausgeschlossen werden, dagegen ist die Annahme eines nur leichten Rausches, der keinen Einfluß auf die Schuldfähigkeit des Angeklagten gehabt habe, nicht rechtsfehlerfrei belegt.

Das Landgericht hält die Trinkmengenangabe des Angeklagten, der vom Morgen des Vortages bis zur Tat etwa 15 bis 20 Dosen Bier getrunken haben will, für unzutreffend. Sie sei sichtlich davon geprägt, eine Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu erlangen, was sich auch daraus ergebe, daß der Angeklagte bei der Exploration durch den psychiatrischen Sachverständigen zunächst eine noch größere Trinkmenge angegeben und diese dann den realen Möglichkeiten angepaßt habe. Entgegen der Ansicht des Landgerichts sprechen diese Abweichungen für sich nicht gegen die Richtigkeit der Mengenangabe in der Hauptverhandlung, da ein Alkoholabhängiger, der nahezu täglich große Mengen Alkohols zu sich nimmt, zu präzisen Angaben kaum in der Lage sein wird. Vor allem aber hat sich das Landgericht nicht damit auseinandergesetzt, daß die angegebene Menge mit den festgestellten Trinkgewohnheiten des Angeklagten in Einklang steht.

Soweit das Landgericht in Übereinstimmung mit den Sachverständigen meint, die beim Angeklagten beobachteten Verhaltensweisen seien nicht durch erhebliche alkoholbedingte Ausfälle geprägt gewesen, weil er gezielt, koordiniert und ohne Beeinträchtigung gehandelt habe, berücksichtigt es ersichtlich die Angaben des Mitangeklagten nicht, wonach der Angeklagte "wie ein Tier" zugeschlagen habe. Zudem können sich alkoholgewohnte Täter unter Umständen im Rausch noch motorisch kontrolliert verhalten, obwohl ihr Hemmungsvermögen möglicherweise schon erheblich herabgesetzt ist (vgl. Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 20 Rdn. 23). Für eine solche Herabsetzung könnte hier sprechen, daß der Angeklagte sich weder durch die Anwesenheit noch durch die Zurufe Dritter von der Tatausführung abbringen ließ.

Schließlich kommt dem situationsangepaßten Verhalten des Angeklagten nach der Tat auch deshalb nur ein beschränkter Beweiswert für die uneingeschränkte Schuldfähigkeit zur Tatzeit zu, weil der Täter durch seine Tat ernüchtert und deshalb um die Beseitigung von Tatspuren bemüht sein kann; auch dies hat das Landgericht nicht bedacht.

Nach alldem bedarf die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten erneuter Prüfung.

2. Die rechtsfehlerhafte Annahme uneingeschränkter Schuldfähigkeit führt nicht nur zur Aufhebung des Strafausspruchs, sondern ergreift auch den Schuldspruch wegen Verdeckungsmordes. Sollte der neu entscheidende Tatrichter zur Annahme alkoholbedingter erheblicher Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten kommen, wird er zu prüfen haben, inwieweit sich damit Feststellungen zur subjektiven Tatseite, vor allem zur Verdeckungsabsicht, vereinbaren lassen (vgl. BGH NStZ 1985, 454, 455 m.w.N.).

Der aufgezeigte Mangel zwingt auch zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandender Verurteilung wegen tateinheitlich begangenen Raubes und gefährlicher Körperverletzung (vgl. BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können dagegen aufrecht erhalten bleiben.

HRRS-Nummer: HRRS 2004 Nr. 24

Bearbeiter: Ulf Buermeyer