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Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 305/03, Beschluss v. 11.09.2003, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 305/03 - Beschluss vom 11. September 2003 (LG Saarbrücken)

Tötungsvorsatz (Hemmschwelle; Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit; Wissenselement; Willenselement: eigene Verletzung des Täters, Alkoholisierung, Streit, Affekt); Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Beweiswürdigung, Alter des Angeklagten).

§ 15 StGB; § 212 StGB; 64 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zwar liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter auch mit der Möglichkeit, dass das Opfer dabei zu Tode kommen könne, rechnet. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr des Todes nicht erkennt oder jedenfalls darauf vertraut hat, dieser Erfolg werde nicht eintreten. Der Schluss auf bedingten Tötungsvorsatz ist daher nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter in seine Abwägungen erkennbar alle Umstände einbezogen hat, die ein solches Ergebnis in Frage stellen (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 6. März 2002 - 4 StR 30/02 und BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 30 m.w.N.)

2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 Abs. 1 StGB) darf nicht mit der Begründung unterbleiben, er passe wegen seines Alters nicht zu anderen Therapieteilnehmern.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 24. März 2003 mit den Feststellungen - ausgenommen diejenigen zum äußeren Sachverhalt, die bestehen bleiben - aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit ihn das Landgericht als überführt angesehen hat, in der Tatnacht seinen Zechkumpanen R. im Rahmen einer Auseinandersetzung ohne rechtfertigenden Grund durch wuchtig geführte Schnitte in den Halsbereich mit einer Glasscherbe getötet zu haben. Die Angriffe der Revision gegen die Beweiswürdigung erweisen sich insoweit, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 22. Juli 2003 näher ausgeführt hat, als unbegründet.

Das Urteil hat jedoch keinen Bestand, weil das Landgericht die Annahme, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, nicht rechtsfehlerfrei begründet hat. Der Generalbundesanwalt hat hierzu zutreffend ausgeführt:

"Zwar liegt es bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe, dass der Täter auch mit der Möglichkeit, dass das Opfer dabei zu Tode kommen könne, rechnet. Angesichts der hohen Hemmschwelle gegenüber einer Tötung ist jedoch immer auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr des Todes nicht erkennt oder jedenfalls darauf vertraut hat, dieser 'Erfolg' werde nicht eintreten. Der Schluss auf bedingten Tötungsvorsatz ist daher nur dann rechtsfehlerfrei, wenn der Tatrichter in seine Abwägungen alle Umstände einbezogen hat, die ein solches Ergebnis in Frage stellen (Beschluss des erkennenden Senats vom 6. März 2002 - 4 StR 30/02 - m.w.N.).

Eine solche Gesamtwürdigung hat die Kammer insbesondere hinsichtlich des Willenselements des bedingten Vorsatzes nicht vorgenommen. Die knappen Ausführungen zur subjektiven Tatseite (UA S. 12) behandeln im Ergebnis nur die Wissenskomponente, deren Vorliegen zutreffend bejaht wird. Bezüglich des Willenselements fehlt es an einer entsprechenden Erörterung. Die Kammer hätte sich insoweit vor allem mit der aus einem spontanen Streit entstandenen Tatsituation, der Alkoholisierung des Angeklagten, die die Kammer zur Anwendung des § 21 StGB veranlasst hat (UA S. 13), und den psychologischen Auswirkungen der durch die Notwehrhandlung des Opfers entstandenen erheblichen Verletzung des Angeklagten (UA S. 9) auseinander setzen müssen, wie die Revision zutreffend ausführt".

Die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen. Sie können deshalb entsprechend der Antragsschrift des Generalbundesanwalts aufrechterhalten bleiben.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß er die Bedenken der Revision und des Beschwerdeführers auch teilt, soweit diese sich gegen die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 Abs. 1 StGB) richten. Dies gilt jedenfalls, soweit sich das Landgericht dabei auch auf die Auffassung des Sachverständigen gestützt hat, "der Angeklagte passe auch wegen seines Alters nicht zu anderen Therapieteilnehmern".

Mit dieser Argumentation würden ältere Straftäter [der Angeklagte ist 49 Jahre alt] von vornherein von der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB ausgeschlossen, obwohl die Voraussetzungen dieser Vorschrift an sich vorliegen. Daß das nicht richtig sein kann, liegt auf der Hand.

Bearbeiter: Ulf Buermeyer