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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 2/02, Urteil v. 11.04.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 2/02 - Urteil vom 11. April 2002 (LG Arnsberg)

Erpresserischer Menschenraub; schwere räuberische Erpressung; Sichbemächtigen (stabile Zwischenlage; Bemächtigungslage im Dreipersonenverhältnis).

§ 239a StGB; § 253 StGB; § 255 StGB; § 249 Abs. 1 StGB; § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Nach ständiger Rechtsprechung macht sich der Täter eines Banküberfalls - tateinheitlich zum Erpressungsdelikt - auch wegen erpresserischen Menschenraubs schuldig, wenn er die durch den Einsatz einer (Schein-)Waffe erlangte physische Herrschaft über einen Bankkunden dazu ausnutzt, den Kassierer zu veranlassen, ihm aus Angst um das Leben des Bankkunden die erstrebte Beute zu übergeben (vgl. nur BGHSt 25, 386; BGHR StGB § 239 a Abs. 1 Sichbemächtigen 1, 6, 7, 8). Danach kommt es für die Erfüllung des Tatbestands des § 239 a Abs. 1 StGB darauf an, ob der Angeklagte den Bankkunden an einer freien Bestimmung über sich selbst gehindert hat und er in der Absicht handelte, seine mit erpresserischen Mitteln begehrte unrechtmäßige Bereicherung durch die Sorge des Kassierers um das Wohl der bedrohten Kundin zu erreichen (vgl. BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sichbemächtigen 3, 5; BGH NStZ 1986, 166; 2002, 31, 32).

2. Die für § 239 a Abs. 1 StGB erforderliche stabile Bemächtigungslage ist bei einem "Dreipersonenverhältnis" regelmäßig gegeben (vgl. BGHSt 40, 350, 356; BGH NStZ 1986, 166; 2002, 31, 32; StV 1999, 646).

Entscheidungstenor

I. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 12. Juli 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf von neun Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision, mit der sie eine Verurteilung auch wegen erpresserischen Menschenraubs erstrebt. Sie rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, so daß es eines Eingehens auf die Verfahrensrügen nicht bedarf.

1. Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte in einem Zigarrengeschäft eine "Feuerzeugpistole", fuhr mit seinem Pkw nach B.-B. und faßte den Entschluß, die dortige Sparkasse zu überfallen. Bei deren Betreten rief er "Überfall, schnell Geld her!" und richtete hierbei die Pistole zwischen den Kassierer A. und die Bankkundin K., die sich ebenfalls im Schalterraum befand. Der Angeklagte warf eine Tüte auf den Schaltertisch und befahl: "Schnell, Geld rein!". Daraufhin schob der Kassierer das im Kassenbereich befindliche Geld durch die "Durchreiche", das Frau K. sodann in die Tüte packte. Währenddessen hielt der Angeklagte die Feuerzeugpistole "etwa in der Mitte zwischen dem Zeugen A. und der Zeugin K." (UA 6) und schwenkte sie zwischen beiden hin und her (UA 10). Er nahm sodann die Tüte mit dem Geld (31.890 DM) und flüchtete.

Das Landgericht hat das Tatgeschehen lediglich als schwere räuberische Erpressung (§§ 253, 255, 249 Abs. 1, 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB) gewertet; wegen erpresserischen Menschenraubs habe sich der Angeklagte nicht zusätzlich schuldig gemacht, weil er sich der Bankkundin K. nicht im Sinne des § 239 a StGB "bemächtigt" habe.

2. Das Urteil hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Feststellungen lückenhaft sind.

Nach ständiger Rechtsprechung macht sich der Täter eines Banküberfalls - tateinheitlich zum Erpressungsdelikt - auch wegen erpresserischen Menschenraubs schuldig, wenn er die durch den Einsatz einer (Schein-)Waffe erlangte physische Herrschaft über einen Bankkunden dazu ausnutzt, den Kassierer zu veranlassen, ihm aus Angst um das Leben des Bankkunden die erstrebte Beute zu übergeben (vgl. nur BGHSt 25, 386; BGHR StGB § 239 a Abs. 1 Sichbemächtigen 1, 6, 7, 8). Danach kommt es für die Erfüllung des Tatbestands des § 239 a Abs. 1 StGB darauf an, ob der Angeklagte die Bankkundin K. an einer freien Bestimmung über sich selbst gehindert hat und er in der Absicht handelte, seine mit erpresserischen Mitteln begehrte unrechtmäßige Bereicherung durch die Sorge des Kassierers um das Wohl der bedrohten Kundin zu erreichen (vgl. BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sichbemächtigen 3, 5; BGH NStZ 1986, 166; 2002, 31, 32).

Zureichende Feststellungen des Landgerichts hierzu fehlen; sie erscheinen jedoch noch möglich: Aus dem Urteil ergibt sich, daß der Kassenbereich vom übrigen Schalterraum getrennt war, weil der Kassierer das Geld durch eine "Durchreiche" schob (UA 6). Da es Frau K. dort entgegennahm und in die vom Angeklagten mitgebrachte Tüte packte, drängt es sich auf, daß sie direkt beim Angeklagten gestanden hat. Dafür sprechen auch die Erörterungen des Landgerichts zu der Frage, ob der Angeklagte der Kundin seine "Waffe" an den Kopf gehalten hat. Wenn Frau K. somit durch die scheinbar scharfe Schußwaffe des Angeklagten unmittelbar bedroht war, so liegt der Tatbestand des § 239 a Abs. 1 StGB - objektiv und subjektiv - nahe (vgl. BGHR StGB § 239 a Abs. 1 Sichbemächtigen 1, 3). Die für § 239 a Abs. 1 StGB erforderliche und vom Landgericht verneinte stabile Bemächtigungslage ist bei einem "Dreipersonenverhältnis" - wie hier - regelmäßig gegeben (vgl. BGHSt 40, 350, 356; BGH NStZ 1986, 166; 2002, 31, 32; NStZ-RR 2000, 367; StV 1999, 646 mit krit. Anm. Renzikowski).

3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die getroffenen Feststellungen auf, um Widersprüche durch ergänzende Feststellungen zu vermeiden und dem neuen Tatrichter die Möglichkeit zu geben, eine Entscheidung ohne Bindung an rechtskräftige Feststellungen zu treffen. Wegen der Bedenken gegen die Beweiswürdigung im Hinblick auf die Zeugin K. (UA 7 ff.) verweist der Senat auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 3. Januar 2002.

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2002, 213

Bearbeiter: Karsten Gaede