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Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 538/01, Urteil v. 11.04.2002, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 538/01 - Urteil vom 11. April 2002 (LG Bochum)

Strafzumessung (Doppelverwertung; strafschärfende Berücksichtigung der konkreten Gefährlichkeit des Tatmittels; strafschärfende Berücksichtigung der Anzahl der Tatopfer).

§ 46 StGB; § 250 StGB; § 255 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Regelung des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB erfasst ohne weitere Differenzierung Tatmodalitäten, die sich in ihrer Gefährlichkeit für die betroffenen Tatopfer sehr unterschiedlich darstellen können. In einem solchen Fall verbietet es § 46 Abs. 3 StGB nicht, eine im Einzelfall aufgrund des verwendeten Tatwerkzeuges besonders gefährliche Art der Tatausführung, durch die das geschützte Rechtsgut in besonders intensiver Form gefährdet wird, straferschwerend zu berücksichtigen.

2. Zwar ist bei der Begehung einer Straftat nach § 255 StGB die Angst des Tatopfers regelmäßig nur die Folge der für die Tatbestandsverwirklichung erforderlichen Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben. Sie stellt daher grundsätzlich keinen selbständigen Strafschärfungsgrund dar. Dies steht jedoch einer strafschärfenden Berücksichtigung nicht entgegen, wenn bei der Tat mehrere Menschen in Angst um ihr Leben versetzt worden sind und nicht nur ein Tatopfer, was für die Erfüllung des Tatbestandes ausreichen würde.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 8. August 2001 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Ferner hat es die Einziehung zweier Schusswaffen nebst Munition und eines Schalldämpfers angeordnet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat und mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zur Einziehungsanordnung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

2. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.

Das Landgericht hat auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB angenommen. Es hat das Vorliegen minder schwerer Fälle im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB bejaht und die verhängten Einzelstrafen dessen Strafrahmen entnommen. Bei der Strafzumessung hat es zu Lasten des Angeklagten die Verwendung funktionsfähiger, geladener Schusswaffen berücksichtigt, "die im Vergleich zu sonstigen tatbestandsmäßigen Tatmitteln des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB höchstes Gefährdungspotential aufweisen". Ferner hat es straferschwerend gewertet, dass es der Angeklagte bei den beiden Banküberfällen in Kauf genommen habe, "eine größere Zahl von Menschen in das Geschehen einzubeziehen und in Angst und Schrecken zu versetzen". Dies ist entgegen der Auffassung der Revision und des Generalbundesanwalts rechtlich nicht zu beanstanden.

a) Zwar hat der Bundesgerichtshof zu § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB a. F. wiederholt entschieden, dass es gegen das Verbot der Doppelverwertung des § 46 Abs. 3 StGB verstößt, wenn bei einer Verurteilung strafschärfend berücksichtigt wird, dass bei der Tat eine Schusswaffe benutzt worden ist, da es sich bei einer solchen um das im Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB (a.F.) genannte (alleinige) Tatmittel handelt (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 3 Raub 2; BGH StV 1996, 206). In der durch das 6. Strafrechtsreformgesetz neugefassten Bestimmung des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB wird jedoch der Kreis der potentiellen Tatmittel erheblich weiter gezogen: Danach unterliegt der erhöhten Strafandrohung nach dieser Vorschrift, wer bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet. Erfasst werden damit nicht nur - wie bei § 250 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. - Schusswaffen, sondern alle Waffen im technischen Sinn sowie sonstige Gegenstände, die nach ihrer objektiven Beschaffenheit und der Art ihrer Benutzung im Einzelfall geeignet sind, erhebliche Verletzungen zuzufügen (vgl. BGH NStZ 1998, 567; NStZ-RR 1998, 224). Der Regelung des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB unterfällt daher der Einsatz eines einfachen Schlaginstruments ebenso wie die Verwendung einer aufmunitionierten vollautomatischen Selbstladeschusswaffe oder einer scharfen Handgranate; sie erfasst daher ohne weitere Differenzierung Tatmodalitäten, die sich in ihrer Gefährlichkeit für die betroffenen Tatopfer sehr unterschiedlich darstellen können. In einem solchen Fall verbietet es § 46 Abs. 3 StGB nicht, eine im Einzelfall aufgrund des verwendeten Tatwerkzeuges besonders gefährliche Art der Tatausführung, durch die das geschützte Rechtsgut in besonders intensiver Form gefährdet wird, straferschwerend zu berücksichtigen (vgl. auch BGHSt 44, 361, 368; Gribbohm in LK 11. Aufl. § 46 Rdn. 300). Aus der Entscheidung BGH StV 1999, 597 ergibt sich nichts Gegenteiliges; sie betrifft den im Tatsächlichen ganz anders gelagerten - unter den Tatbestand des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB fallenden - Fall der Bedrohung mit einer ungeladenen und damit für das Tatopfer ungefährlichen Gaspistole. Es ist daher aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Landgericht im vorliegenden Fall die konkrete Art und Weise der Tatausführung, bei der der Angeklagte und sein Mittäter jeweils mit 14 Patronen geladene Schusswaffen einsetzten, mit denen sie sowohl die Bankangestellten als auch mehrere anwesende Kunden bedrohten, als besonders gefährlich eingestuft und dem Angeklagten strafschärfend angelastet hat (vgl. auch BGH, Beschl. vom 15. März 2001 - 3 StR 54/01 a. E.).

b) Auch die strafschärfende Erwägung, der Angeklagte habe es in Kauf genommen, durch die Tat eine größere Anzahl von Menschen in Furcht und Schrecken zu versetzen, lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Zwar ist bei der Begehung einer Straftat nach § 255 StGB die Angst des Tatopfers regelmäßig nur die Folge der für die Tatbestandsverwirklichung erforderlichen Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, sie stellt daher grundsätzlich keinen selbständigen Strafschärfungsgrund dar (§ 46 Abs. 3 StGB; vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 3 Raub 3; BGH StV 1996, 206; NStZ 1998, 404; offen gelassen in BGHR StGB § 46 Abs. 3 Raub 5). Erkennbar wollte das Landgericht dem Angeklagten jedoch insoweit nur besonders anlasten, dass bei den Banküberfällen jeweils mehrere Menschen, darunter auch unbeteiligte Bankkunden, in Angst um ihr Leben versetzt worden sind. Dies ist nicht zu beanstanden (vgl. auch BGH NStZ 1998, 404, 405).

c) Zu Unrecht rügt die Revision schließlich, es seien keine Gründe erkennbar, die es rechtfertigen würden, den zweiten Banküberfall (Einzelfreiheitsstrafe: vier Jahre sechs Monate) im Verhältnis zu dem ersten (Einzelfreiheitsstrafe: drei Jahre sechs Monate) mit einer höheren Freiheitsstrafe zu ahnden. Ersichtlich hat nämlich das Landgericht dem Angeklagten bei der Bemessung der Einzelstrafe für den ersten Überfall in besonderem Maße zugute gebracht, dass er zu dieser Tat maßgeblich durch den früheren Mitangeklagten W. bestimmt worden ist. So musste der Angeklagte hier von W. unmittelbar vor der Tat noch durch die Eingangstür der Bank geschoben werden, "um letzte Zweifel und Hemmungen zu überwinden" (UA 19/20).

d) Der Strafausspruch lässt auch im übrigen durchgreifende Rechtsfehler nicht erkennen.

Externe Fundstellen: NJW 2003, 76; NStZ 2003, 29

Bearbeiter: Ulf Buermeyer