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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 290/01, Beschluss v. 02.08.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 290/01 - Beschluß v. 2. August 2001 (LG Dortmund)

Zu unrecht verworfenes Ablehnungsgesuch; Besorgnis der Befangenheit (Abgrenzung von einem bloßen Hinweis auf die Rechtslage; verständige Würdigung; gerichtliche Fürsorgepflicht)

§ 338 Nr. 3, 5 StPO; § 24 Abs. 2 StPO; § 265 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 16. Februar 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Führen einer Schußwaffe, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.

Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Verfahrensrüge Erfolg. Mit ihr beanstandet der Beschwerdeführer, daß an dem Urteil ein Richter mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen worden ist (§ 338 Nr. 3 StPO).

Der Rüge liegt folgender Verfahrenssachverhalt zugrunde:

Mit der Anklage war dem Angeklagten unter anderem vorgeworfen worden, den Zeugen W. und einen weiteren Geschädigten durch Schüsse aus einer mit Schrotmunition geladenen sogenannten "Pumpgun" schwer verletzt zu haben. Zu Beginn des zweiten Hauptverhandlungstages hat der Angeklagte durch seinen Verteidiger den Vorsitzenden der Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung hat er ausgeführt: Er, der Angeklagte, habe am Ende des ersten Hauptverhandlungstages, an dem er sich noch nicht zur Sache eingelassen habe, nach Schluß der Sitzung gegenüber einem noch anwesenden Zeugen geäußert, daß er den Geschädigten W. für einen Kriminellen halte. Diese seine Äußerung habe der Vorsitzende, der als einziger Richter den Sitzungssaal noch nicht verlassen hätte, sofort aufgegriffen und sinngemäß erklärt: "Auch wenn das Kriminelle sein sollten, gibt Ihnen das kein Recht, auf die Leute zu schießen. Sie haben offensichtlich den Ernst der Angelegenheit noch nicht erkannt. Ihre Einstellung wird sich jedoch im Strafmaß wiederfinden. Sie haben mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen."

Diesen Wortwechsel und seinen Inhalt hat der Vorsitzende in seiner dienstlichen Äußerung im Kern bestätigt. Danach hat er den Angeklagten auf dessen Bemerkung über den Geschädigten "darauf hingewiesen, daß dies, auch wenn es zutreffe, für sich genommen niemandem das Recht gebe, solche Leute niederzuschießen", und diesem Hinweis die Bemerkung, "das Fehlen einer Einsicht könne beim Strafmaß Berücksichtigung finden", sowie weitere Erklärungen zur Strafhöhe angefügt.

Bei diesem Sachverhalt ist das Ablehnungsgesuch des Angeklagten zu Unrecht verworfen worden.

Dabei kann dahin gestellt bleiben, ob für den Angeklagten, der sich im Ermittlungsverfahren auf Putativnotwehr berufen hatte, schon aufgrund des Hinweises, daß niemand ein Recht habe, Kriminelle niederzuschießen, berechtigter Anlaß bestand, die Befangenheit des Vorsitzenden zu besorgen (§ 24 StPO); das mag je nach dem genauen Wortlaut dieser Erklärung und nach den weiteren Umständen ihrer Abgabe (wie etwa Tonfall, Mimik und Gestik) der Fall sein oder auch nicht. Mißtrauen in die Unparteilichkeit des Vorsitzenden war aus der Sicht des Angeklagten jedenfalls aufgrund der Bemerkung gerechtfertigt, daß das Fehlen der Einsicht strafschärfend berücksichtigt werden könne.

Bei verständiger Würdigung dieser Erklärung hatte der Angeklagte Grund zu der Annahme, daß der Vorsitzende ihm gegenüber eine innere Haltung eingenommen hatte, die die gebotene Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit würde störend beeinflussen können. Unter Berücksichtigung der Erklärungssituation handelte es sich nicht um einen abstrakten Hinweis auf die Rechtslage, der allerdings kein Ablehnungsrecht geben könnte. Vielmehr drängt sich für einen objektiven Empfänger angesichts der Gesamtumstände der Eindruck auf, der Vorsitzende sei bereits von der Schuld des Angeklagten überzeugt und werte dessen Äußerung, bei dem Geschädigten handele es sich um einen Kriminellen (oder Schwerverbrecher), als Ausdruck fehlender Einsicht in das Unrecht der Tat.

Soweit die Strafkammer in dem das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluß die Auffassung vertritt, daß die beanstandete Bemerkung "nicht, Ausdruck von Befangenheit, sondern als Wahrnehmung der gerichtlichen Fürsorgepflicht zu verstehen" sei, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen. Das gilt auch für die Stellungnahme des Generalbundesanwalts, der darauf abstellt, daß der Vorsitzende keinen "direkten - im Sinne von 'dem Angeklagten zum Nachteil gereichenden' Zusammenhang zwischen der Äußerung des Angeklagten über das Tatopfer ... der bemängelten Einsichtigkeit sowie der drohenden empfindlichen Strafe hergestellt hätte"; dieser Zusammenhang mußte nicht hergestellt werden; er lag aus der Sicht eines verständigen Erklärungsempfängers in der Situation des Angeklagten ohne weiteres auf der Hand.

Da der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben ist, kann das Urteil insgesamt keinen Bestand haben. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat darauf hin, daß dem Verfahren, soweit es den Fall 5 der Urteilsgründe anbelangt, in dem der Angeklagte wegen (einfacher) Körperverletzung verurteilt worden ist, das Hindernis des fehlenden Strafantrags entgegenstehen könnte.

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2001, 372

Bearbeiter: Karsten Gaede