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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 488/00, Beschluss v. 28.11.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 488/00 - Beschluß v. 28. November 2000 (LG Dortmund)

Verteidigungsverhalten des Angeklagten und Strafzumessung

§ 46 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zeugen und Mittäter betreffende Angaben können strafschärfend berücksichtigt werden, wenn sie eindeutig die Grenzen angemessener Verteidigung überschreiten und Rückschlüsse auf eine rechtsfeindliche Einstellung des Angeklagten zulassen.

2. Eine Zeugin "als Haupttäterin vorzuschieben" vermag allein die Annahme einer rechtsfeindlichen Gesinnung nicht zu rechtfertigen, denn es ist einem eine Straftat leugnenden Angeklagten unbenommen, sich damit zu verteidigen, daß er anderen die Schuld an der Tat zuschiebt.

3. Allerdings können zusätzliche Umstände im Rahmen einer Falschbelastung, etwa eine Verleumdung oder Herabwürdigung oder die Verdächtigung mit einer besonders verwerflichen Handlung eine Strafschärfung rechtfertigen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 3. Mai 2000

a) im gesamten Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben,

b) im Rechtsfolgenausspruch, soweit er aufrechterhalten bleibt, zur Klarstellung dahin ergänzt, daß der Verfall von Wertersatz in Höhe von 28.000 DM angeordnet ist.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls, Urkundenfälschung. Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln in drei Fällen und wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten sowie wegen Förderung der Prostitution unter Einbeziehung der Einzelfreiheitsstrafen aus einer Vorverurteilung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es die Einziehung von Gegenständen und den "Verfall von Wertersatz in Höhe von 28.000, - DM" angeordnet.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs: im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Urschrift des Urteils gibt die Urteilsformel, wie sie sich - im Einklang mit den Urteilsgründen (UA 42/43) - verbindlich (BGHSt 34, 11, 12) aus dem Protokoll ergibt, insoweit unvollständig wieder, als darin ein Teil des Rechtsfolgenausspruchs - Anordnung des Verfalls des Wertersatzes in Höhe eines Betrages von 28.000 DM - versehentlich weggelassen worden ist. Insoweit stellt der Senat den Rechtsfolgenausspruch klar. Hinsichtlich der ebenfalls im schriftlichen Urteil versehentlich weggelassenen Kosten- und Auslagenentscheidung kommt eine solche Klarstellung dagegen nicht in Betracht, da ihr mit der Teilaufhebung des angefochtenen Urteils die Grundlage entzogen ist und der neue Tatrichter, an den die Sache zurückverwiesen wird, eine Kosten- und Auslagenentscheidung für das ganze Verfahren zu treffen hat (vgl. Kuckein in KK-StPO 4. Aufl. § 354 RN. 46; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 464 Rdn. 20).

Die vom Landgericht vorgenommene Zustellung des, soweit es die Urteilsformel betrifft, unvollständigen Urteils war gleichwohl wirksam und hat mithin die Revisionsbegründungsfrist in Lauf gesetzt (vgl. BGH NJW 1999, 800, insoweit in BGHSt 44, 251 nicht abgedruckt).

2. Der Strafausspruch hält insgesamt rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht hat zur Bemessung der gegen den Angeklagten verhängten Einzelstrafen u.a. ausgeführt:

"Geringfügig sind seine Teilgeständnisse berücksichtigt, wobei deren Wert aber dadurch gemindert wird, daß er mit seinen Angaben immer wieder versucht hat, die Zeugin S. als Haupttäterin vorzuschieben oder sie in ein schlechtes Licht zu rücken, und zwar weit über das Maß, was ein angemessenes Verteidigungsverhalten erfordert, hinaus".

Diese Erwägung des Landgerichts begegnet, wie die Revision zu Recht geltend macht, durchgreifenden Bedenken. Allerdings können Zeugen und Mittäter betreffende Angaben strafschärfend berücksichtigt werden, wenn sie eindeutig die Grenzen angemessener Verteidigung überschreiten und Rückschlüsse auf eine rechtsfeindliche Einstellung des Angeklagten zulassen (st. Rspr., vgl. BGH StV 1995, 633; BGH NStZ-RR 1999, 328, jew. m.w.N.). Die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte sei über die Grenzen einer angemessenen Verteidigung hinausgegangen, ist aber nicht hinreichend belegt:

Daß der Angeklagte versucht hat, S., soweit es die Fälle II 1 (Diebstahl) und 3 bis 6 (Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) der Urteilsgründe betrifft, "als Haupttäterin vorzuschieben, "vermag allein die Annahme einer rechtsfeindlichen Gesinnung des Angeklagten nicht zu rechtfertigen; denn es ist einem eine Straftat leugnenden Angeklagten unbenommen, sich damit zu verteidigen, daß er anderen die Schuld an der Tat zuschiebt (vgl. BGH aaO; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 10). Zwar können zusätzliche Umstände im Rahmen einer Falschbelastung, etwa eine Verleumdung oder Herabwürdigung (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 5) oder die Verdächtigung einer besonders verwerflichen Handlung (BGH NStZ 1988. 35) eine Strafschärfung rechtfertigen (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 10). Solche Umstände sind aber nicht dargetan. Insbesondere läßt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen, worauf das Landgericht seine Annahme gestützt hat, der Angeklagte habe die Zeugin nicht nur zu Unrecht als Haupttäterin belastet, sondern darüber hinaus "immer wieder versucht," sie "in ein schlechtes Licht zu rücken." Ein Angeklagter darf nämlich im Rahmen seiner Verteidigung einen Belastungszeugen grundsätzlich als unglaubwürdig hinstellen, ohne für den Fall des Mißerfolgs schon deshalb eine schärfere Bestrafung befürchten zu müssen. Das gilt insbesondere dann, wenn es sich - wie hier - um die wesentliche, für die Verurteilung entscheidende Belastungszeugin handelt. Daß der Angeklagte die Zeugin mit seinem Vorbringen zu der Strafanzeige (UA 34) verleumdet hat, nämlich wider besseres Wissen unwahre ehrenrührige Tatsachen über sie behauptet hat, ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht.

Die danach gebotene Aufhebung der Einzelfreiheitsstrafen zieht die Aufhebung der beiden Gesamtstrafen nach sich. Im übrigen könnten die Gesamtstrafen auch deshalb keinen Bestand haben, weil das Urteil nicht erkennen läßt, daß sich das Landgericht des Nachteils bewußt gewesen ist, der sich hier für den Angeklagten aus einem möglicherweise zu hohen Gesamtstrafübel ergibt. Einer Erörterung bedarf es insoweit in der Regel dann, wenn die Zäsurwirkung einer früheren Verurteilung zur Bildung mehrerer Gesamtstrafen nötigt (vgl. BGHSt 41, 310, 313; BGH NStZ 1999, 244).

Externe Fundstellen: StV 2001, 618

Bearbeiter: Rocco Beck