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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 3/00, Beschluss v. 14.03.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 3/00 - Beschluß v. 14. März 2000 (LG Essen)

Verlesung der Niederschrift über die polizeiliche Vernehmung eines Zeugen; Verfahrensrüge; Bandenmäßiges Handeltreiben mit unerlaubten Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge; Bande

§ 250 Satz 2 StPO; § 251 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO; § 30 a Abs. 1 BtMG.

Leitsätze des Bearbeiters

1. Einzelfall einer Anordnung der Verlesung der Niederschrift über die polizeiliche Vernehmung eines Zeugen durch eine Verfügung des Vorsitzenden entgegen § 251 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO.

2. Zur Annahme einer bandenmäßigen Tatbegehung im Sinne des § 30 a Abs. 1 BtMG.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 23. Juli 1999

a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen und der unerlaubten Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe schuldig ist;

b) in den Aussprüchen über die in den Fällen II 1 bis 6 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen und über die Gesamtstrafe mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen und wegen Vergehens gegen das Waffengesetz" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

1. Die auf eine Verletzung der Vorschriften der §§ 250 Satz 2, 251 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO gestützte Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 7. Februar 2000 bemerkt der Senat:

Die Revision beanstandet zwar zu Recht, daß die Verlesung der Niederschrift über die polizeiliche Vernehmung des Zeugen Talal A.-K. vom 12. November 1998 durch eine - in der Sitzungsniederschrift als "Vorsitzendenbeschluß" bezeichnete - Verfügung der Vorsitzenden angeordnet wurde und nicht, wie es nach § 251 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO geboten gewesen wäre, durch einen mit Gründen versehenen Beschluß des Gerichts (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 251 Rdn. 37, 38 m.N.). Auf diesem Verstoß kann das Urteil aber nicht beruhen:

Die Verlesung der Vernehmungsniederschrift war nämlich nach § 251 Abs. 2 Satz 2 StPO gerechtfertigt, da der Zeuge in absehbarer Zeit nicht gerichtlich vernommen werden konnte, weil sein Aufenthaltsort nicht zu ermitteln war. Dieser Verlesungsgrund war allen Verfahrensbeteiligten bekannt, denn die Vorsitzende hatte, bevor sie auf Anregung des Verteidigers und nach Anhörung der übrigen Verfahrensbeteiligten die Verlesung anordnete, im einzelnen mitgeteilt, welche Versuche unternommen worden waren, den Aufenthalt des Zeugen zu ermitteln. Daher kann hier - anders als im Falle einer einverständlichen Verlesung der polizeilichen Vernehmung eines für das Gericht erreichbaren Zeugen gemäß § 251 Abs. 2 Satz 1 StPO (vgl. NStZ 1988, 283) - ein Beruhen des Urteils auf der rechtsfehlerhaften Anordnung der Verlesung, die wegen der Unerreichbarkeit des Zeugen im Hinblick auf die Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO geboten war, ausgeschlossen werden. Die Verwertung der verlesenen Aussage des Zeugen hat sich im übrigen nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt.

2. Die Sachbeschwerde führt jedoch zur Änderung des Schuldspruchs in den Fällen II 1 bis 6 der Urteilsgründe und zur Aufhebung der Aussprüche über die in diesen Fällen verhängten Gesamtstrafe; im übrigen hält das Urteil sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.

a) Die Revision beanstandet zu Recht die Annahme einer bandenmäßigen Tatbegehung im Sinne des § 30 a Abs. 1 BtMG in den sechs Fällen des Handeltreibens mit Kokain (jeweils mindestens 50 g):

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt die Verbindung zu einer Bande voraus, daß sich mindestens zwei Personen mit dem ernsthaften Willen zusammengeschlossen haben, künftig für eine gewisse Dauer selbständige, im einzelnen noch ungewisse Straftaten der in den §§ 30 Abs. 1 Nr. 1, 30 a Abs. 1 BtMG genannten Art zu begehen (BGHSt 42, 255, 257 f.; BGH StV 1998, 599 jew.m.w.N.). Erforderlich ist - über die mittäterschaftliche Arbeitsteilung im jeweiligen Individualinteresse hinaus - ein Handeln mit gefestigtem Bandenwillen (BGHSt 42, 255, 2,99), wobei für den auf gewisse Dauer angelegten und verbindlichen Gesamtwillen kennzeichnend ist, daß die Mittäter ein gemeinsames übergeordnetes (Banden-) Interesse verfolgen (BGH StV 1998, 599 m.N.). Daß der Angeklagte und sein Mittäter Ahmed Z. mit einem solchen gefestigten Bandenwillen handelten, ist durch die Feststellungen jedoch nicht belegt.

Der Entschluß des Angeklagten und seines Mittäters, "zukünftig in einer eigenen Gruppe gemeinsam Drogengeschäfte mit Kokain auf längere Sicht zu betreiben, um aus den Geschäften laufende Geldeinnahmen zu erzielen", vermag die Annahme eines übergeordneten (Banden-)Interesses ebensowenig zu rechtfertigen, wie ihr arbeitsteiliges Vorgehen bei der Ausführung der Drogengeschäfte. Dies gilt auch für die Anmietung der Wohnung durch Ahmed Z. in der dieser wohnte und in der das in einem Fall von Ahmed Z., in den weiteren fünf Fällen vom Angeklagten beschaffte Kokain verwahrt und für den Verkauf portioniert wurde. Das dem zugrundeliegende Interesse der Angeklagten an einer "bessere(n) Organisation und Abwicklung ihrer gemeinsamen Drogengeschäfte" kennzeichnet jedes nicht nur kurzfristige mittäterschaftliche Zusammenwirken. Diesem gemeinsamen Interesse kommt daher ebenso wie dem Umstand, daß Ahmed Z. "gute Kontakte zu Drogenkonsumenten und Drogenzwischenhändlern" hatte, kein entscheidendes Gewicht zu, da weder mittäterschaftliche Begehung noch ein eingespieltes Bezugs- und Absatzsystem die Annahme einer Bande rechtfertigen (vgl. BGH StV 1998, 599). Auch das Vorliegen einer gemeinsamen Kasse vermag entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts unter den hier gegebenen Umständen die Annahme des Landgerichts, daß sich der Angeklagte und Ahmed Z. "zu einem übergeordneten Zweck zusammengeschlossen haben", nicht zu rechtfertigen. Zwar kann das Vorliegen einer gemeinsamen Kasse grundsätzlich ein gewichtiges Indiz für die Verfolgung eines übergeordneten (Banden-)Interesses sein (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 3751 BGH StV 1998, 599 jew.m.w.N.), wobei aber bei einer Verbindung von nur zwei Personen an das Gewicht solcher Indizien für die Annahme einer über bloße Mittäterschaft hinausgehenden kriminellen Zusammenarbeit erhöhte Anforderungen zu stellen sind (vgl. BGH StV 1999, 434). Der Führung der gemeinsamen Kasse, in der die erzielten Verkaufserlöse zunächst eingelegt wurden, kommt hier ein solches Gewicht nicht zu. Der Angeklagte und sein Mittäter verfolgten vielmehr auch insoweit ihre individuellen Interessen an dem Erzielen von Verkaufserlösen als (zusätzliche) Einkommensquelle, denn die gemeinsame Kasse diente letztlich nur der Vereinfachung der Teilung des nach Abzug der Kosten verbliebenen Gewinnes.

Nach dem rechtsfehlerfrei festgestellten Sachverhalt ist der Angeklagte in den Fällen II 1 bis 6 jedoch jeweils des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) schuldig. Der Senat ändert daher den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 StPO steht, da mit der bandenmäßigen Begehung im Sinne des § 30 a Abs. 1 BtMG lediglich ein erschwerender Umstand wegfällt, nicht entgegen (BGH NStZ-RR 1997, 375).

b) Soweit das Landgericht den Angeklagten im Fall II 7 der Urteilsgründe rechtsfehlerfrei wegen eines Vergehens nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 a Buchst. a) WaffG verurteilt hat, faßt der Senat den Schuldspruch dahin neu, daß der Angeklagte insoweit der unerlaubten Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe schuldig ist. Da das Gesetz hier keine Bezeichnungen bereitstellt, ist nach allgemeinen Regeln eine anschauliche und verständliche Wortbezeichnung zu wählen (vgl. BGHR WaffG § 53 Abs. 3 Munition 1; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 260 Rdn. 23).

c) Die Änderung des Schuldspruchs in den Fällen II 1 bis 6 der Urteilsgründe nötigt zur Aufhebung der in diesen Fällen verhängten Einzelstrafen und der Gesamtstrafe.

Dagegen kann die im Fall II 7 verhängte Einzelfreiheitsstrafe von neun Monaten bestehen bleiben, da auszuschließen ist, daß sich der zur Aufhebung der übrigen Strafen führende Rechtsfehler auch auf die Bemessung dieser Einzelstrafe ausgewirkt hat.

Externe Fundstellen: NStZ 2000, 432; StV 2000, 621

Bearbeiter: Karsten Gaede