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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 BJs 47/99, Beschluss v. 12.01.2000, HRRS-Datenbank, Rn. X


Ermittlungsrichter des BGH 3 BJs 47/99 (StB 15/99) - Beschluß v. 12. Januar 2000

Staatsschutzdelikt; Ausländerhaß als niedriger Beweggrund

§ 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a) GVG; § 211 StGB

Leitsätze

Zur Annahme eines Staatsschutzdelikts bei Tötungsverbrechen aus Ausländerhaß (hier: versuchter Mord zum Nachteil von Vietnamesen). (BGH)

Eine Beeinträchtigung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch eine Straftat liegt nicht erst dann vor, wenn die Existenz des Staates, dessen Institutionen oder die freiheitlich - demokratische Grundordnung insgesamt in Frage stehen. Sie ist vielmehr bereits dann gegeben, wenn die Tat Auswirkungen auf den inneren Frieden der Bundesrepublik Deutschland in -einer Weise hat, die über die Verletzung der Rechtsgüter einzelner Personen und die dadurch hervorgerufene Gefährdung der öffentlichen Sicherheit erheblich hinausgehen. (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluß des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 30. November 1999 - 1 BGs 266/99 -wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht Neubrandenburg hat am 26. August 1999 - III Qs 78/99 - gegen den Beschwerdeführer Haftbefehl wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§§ 211, 223, 224 Abs. 1 Nr. 2 und 4, 22, 23, 25 Abs. 2, 52 StGB) erlassen und die Untersuchungshaft angeordnet. Ihm wird vorgeworfen, am 22. August 1999 gegen 4.00 Uhr in E. in der Nähe des Festplatzes gemeinschaftlich mit anderen durch eine Handlung versucht zu haben, aus dem niederen Beweggrund "Ausländerhaß" die vietnamesischen Staatsangehörigen N. und T. zu töten, und diese vorsätzlich körperlich mißhandelt und an der Gesundheit beschädigt zu haben, wobei die Körperverletzungen mittels gefährlicher Werkzeuge und mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begangen worden sein sollen.

Nach einer mündlichen Haftprüfung hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs mit Beschluß vom 30. November 1999 - 1 BGs 266/99 - angeordnet, daß der Haftbefehl des Landgerichts Neubrandenburg vom 26. August 1999 aufrechterhalten bleibt und weiterhin zu vollziehen ist. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Beschuldigten, mit der er die Aufhebung des Haftbefehls, zumindest die Aussetzung des Vollzugs erstrebt.

Das nach § 304 Abs. 5 StPO zulässige Rechtsmittel ist unbegründet. Zu Recht hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs den Haftbefehl des Landgerichts Neubrandenburg vom 26. August 1999 aufrechterhalten und dessen weiteren Vollzug angeordnet.

1. Die Strafgerichtsbarkeit des Bundes und damit die Zuständigkeit des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes für die Haftprüfung ergibt sich aus § 169 Abs. 1 StPO, § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a), § 142 a Abs. 1 GVG. Durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung des § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a) GVG bestehen nicht (so auch die Mehrheitsmeinung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags BT-Drucks 10/6635, S. 15; vgl. Hannich in KK 4. Aufl. § 120 GVG Rdn. 3; Schnarr MDR 1988, 89 ff. und 1993, 589-ff.; vgl. auch Eisenberg NStZ 1996, 263 ff.). Das dem Beschwerdeführer und seinen Mittätern zur Last liegende Verbrechen des versuchten Mordes ist eine in dieser Vorschrift genannte Katalogtat. Zwar ist ein versuchter Mord gewöhnlich der allgemeinen Kriminalität zuzuordnen, so daß für dieses Delikt grundsätzlich die rechtsprechende Gewalt von den Gerichten der Bundesländer (Art. 92.GG) ausgeübt wird. Da aber die Tat vom 22. August 1999 "nach den Umständen bestimmt" und geeignet ist, die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen, und der Generalbundesanwalt den unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. hierzu Eisenberg NStZ 1996, 263, 264 f. m.w.Nachw.) der besonderen Bedeutung des Falles in noch vertretbarer Weise bejaht hat, handelt es sich im Hinblick auf die Wiederholungsgefahr durch Gleichgesinnte und die im In- und Ausland hervorgerufene besondere Beachtung um eine Straftat aus dem Bereich des Staatsschutzes, für den nach Art. 96 Abs. 5 GG, § 120 Abs. 2 und 6 GVG, § 102 JGG die Strafgerichtsbarkeit des Bundes gegeben ist.

Eine Beeinträchtigung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch eine Straftat liegt nicht erst dann vor, wenn die Existenz des Staates, dessen Institutionen oder die freiheitlich - demokratische Grundordnung insgesamt in Frage stehen. Sie ist vielmehr bereits dann gegeben, wenn die Tat - wie hier - Auswirkungen auf den inneren Frieden der Bundesrepublik Deutschland in -einer Weise hat, die über die Verletzung der Rechtsgüter einzelner Personen und die dadurch hervorgerufene Gefährdung der öffentlichen Sicherheit erheblich hinausgehen (vgl. Schnarr MDR 1993, 589, 593). Das dem Beschwerdeführer zur Last liegende Verbrechen schließt sich an die mit menschenverachtender Brutalität durchgeführten Gewalttaten an, die aus rechtsextremistischer Gesinnung seit 1990 immer wieder gegen ausländische Mitbürger begangen wurden. Die sich wiederholenden Straftaten mit schwerwiegenden Folgen für die Opfer richten sich auch gegen die auf Toleranz gegenüber Menschen unterschiedlicher Rassen, Sprachen sowie religiöser und politischer Anschauungen aufbauende Wertentscheidung des Grundgesetzes, weil die Opfer lediglich als Repräsentanten der den Tätern verhaßten Gruppe angegriffen werden. Dadurch wird zum einen das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern empfindlich gestört; zum anderen wird durch sie in der Öffentlichkeit, insbesondere unter den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländern, ein allgemeines Klima der Angst und Einschüchterung hervorgerufen, in dem die innere Sicherheit beeinträchtigende Zweifel aufkommen, ob die Sicherheitsorgane in ausreichendem Maße fähig und entschlossen sind, die ausländischen Mitbürger zu schützen. Außerdem lösen sie bei Personen mit einer rechtsextremen Gesinnung, die den gewalttätigen Kampf gegen Ausländer zur Erhaltung der nationalen Identität der Deutschen für erforderlich halten, einen Nachahmungseffekt aus mit der Folge einer immer schwerer beherrschbaren Gefahr, zumal bestimmte Teile der Bevölkerung für gegen Ausländer gerichtete Gewalttaten Verständnis zeigen und sich mit den Tätern solidarisieren.

Die Tat war - als weitere Voraussetzung für die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts und des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs - nach den Umständen auch dazu bestimmt, die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen. Die Verbindung des Beschwerdeführers und seiner Mittäter zu den örtlichen rechtsextremistischen Gruppen und die Begleitumstände der ihnen vorgeworfenen Tat stellen ausreichende Anhaltspunkte dafür dar, daß den Tätern die auf der Hand liegenden Auswirkungen der Straftat nicht nur bewußt waren, sondern von ihnen gewollt worden sind.

2. Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand ist der Beschwerdeführer der mittäterschaftlichen Beteiligung an dem rechtlich zutreffend als versuchter Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewerteten Angriff vom 22. August 1999 auf die vietnamesischen Staatsangehörigen dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus den Einlassungen der Mitbeschuldigten L. und K. sowie den Tatschilderungen des anderweitig verfolgten R. bei verschiedenen Vernehmungen, die durch die Aussagen der unbeteiligten Zeugen Le. und M. in wesentlichen Punkten bestätigt werden. Danach hat der Beschwerdeführer nicht nur - wie er einräumt - »Ausländersau" geschrien, sondern hat auch an der Verfolgung der vietnamesischen Staatsangehörigen teilgenommen, um die am Boden liegenden Opfer zusammen mit seinen Mittätern zur Verhinderung einer Flucht einen Kreis gebildet und den Opfern selbst mit seinen Schuhen Tritte versetzt.

Das vom Senat im einzelnen geprüfte Beschwerdevorbringen ist bei dem derzeitigen Stand der Ermittlungen nicht geeignet, die gegen den Beschwerdeführer bestehenden dringenden Verdachtsgründe zu entkräften. Aus den vom Ermittlungsrichter in dem angefochtenen Beschluß dargestellten Gründen kann der Einlassung des Beschwerdeführers nicht gefolgt werden.

Der Beschwerdeführer ist zur Zeit des versuchten Mordes dringend verdächtig, auch wenn er nur seine Mittäter durch seinen Anfeuerungsruf "Ausländersau" unterstützt, an dem um die Opfer gebildeten Kreis zur Verhinderung einer Flucht mitgewirkt und mit Turnschuhen auf die Geschädigten eingetreten hat. Ein Teil der Mittäter trug schweres Schuhwerk, was ihm bekannt war. Obwohl er die aus "Ausländerhaß" mit großer Brutalität gegen Kopf, Bauch und Rücken der Opfer geführten Tritte, die zu gravierenden Verletzungen geführt haben, wahrnahm, hat er sich weiterhin an der Tat beteiligt und sich vom Verhalten seiner Mittäter nicht distanziert. Es besteht daher der dringende Verdacht, daß er mit den Schlägen und Tritten seiner Mittäter im Bewußtsein von deren Lebensgefährlichkeit einverstanden war und den für möglich gehaltenen Tod der vietnamesischen Staatsbürger in Kauf genommen hat. Eine Tötung aus "Ausländerhaß" ist als niederer Beweggrund im Sinne des § 211 StGB zu werten. Der Beschwerdeführer muß sich im Rahmen des gemeinsamen Tatentschlusses die Tatbeiträge seiner Mittäter zurechnen lassen (§ 25 Abs. 2 StGB). Ob ein ihm nicht zurechenbarer Mittäterexzeß vorliegt, für den derzeit keine ausreichenden Anhaltspunkte bestehen, muß dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.

3. Es bestehen die Haftgründe der Verdunkelungs- und Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO) sowie hilfsweise der Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO. Der Beschwerdeführer muß mit einer erheblichen Freiheits- oder Jugendstrafe rechnen, was für ihn einen beträchtlichen Fluchtanreiz darstellt. Trotz der inzwischen abgeschlossenen Ermittlungen besteht vor allem die Gefahr, daß er mit den anderen Tatbeteiligten verdunkelnde Absprachen trifft oder in unlauterer Weise auf andere Personen aus dem rechtsextremen Umfeld einzuwirken versucht, um diese zu einer für ihn günstigen Zeugenaussage zu veranlassen. Durch weniger einschneidende Maßnahmen als den Vollzug der Untersuchungshaft kann der Flucht- und Verdunkelungsgefahr nicht ausreichend entgegengewirkt werden (§ 116 StPO). Angesichts der Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftaten ist der weitere Vollzug des Haftbefehls nicht unverhältnismäßig.

Externe Fundstellen: NJW 2000, 1583; NStZ 2000, 161

Bearbeiter: Rocco Beck