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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 BJs 37/99, Beschluss v. 30.11.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


Ermittlungsrichter des BGH 3 BJs 37/99-2 (7) (2 BGs 335/99) - Beschluß v. 30. November 1999

Aussetzung des Vollzugs eines Haftbefehl auf Antrag der Staatsanwaltschaft

§ 116 StPO; § 120 Abs. 3 StPO

Leitsatz des BGH

Auch ein Antrag der Staatsanwaltschaft auf Aussetzung des Vollzugs eines Haftbefehls bindet den Ermittlungsrichter in der Weise, daß er nicht einen weitergehenden Eingriff in Grundrechte des Beschuldigten anordnen darf, als er von dem Herrn des Ermittlungsverfahrens in dessen Verantwortung begehrt wird.

Entscheidungstenor

Der Haftbefehl wird vom heutigen Tage unter folgenden Auflagen außer Vollzug gesetzt.

Aus den Gründen

Der Beschuldigte S war am 29. Juli 1999 aufgrund des vom Ermittlungsrichter erlassenen Haftbefehls 2 BGs 217/99 inhaftiert worden. Beschuldigter, Verteidiger und der Vertreter des Generalbundesanwalts haben nunmehr übereinstimmend beantragt, den Haftbefehl unter Auflagen außer Vollzug zu setzen. Das Gericht hat erhebliche Bedenken, die ausweislich des Haftbefehls weiterhin gegebene Fluchtgefahr als durch Maßnahmen gemäß § 116 StPO ausgeräumt anzusehen.

Der Beschuldigte ist der geheimdienstlichen Agententätigkeit in Tateinheit mit Verrat von Geschäftsgeheimnissen in besonders schweren Fällen dringend verdächtig. Es geht um einen sich über Jahre erstreckenden Verrat, dessen Gegenstand der Beschuldigte selbst mit einem Wert von über eine Million DM beziffert hat. In der daraus resultierenden Straferwartung liegt für den Beschuldigten ein hoher Fluchtanreiz. Hinzu kommt, daß nach der fristlosen Kündigung seines Beschäftigungsverhältnisses und der damit verbundenen Aussichtslosigkeit, sich in Deutschland noch einmal eine berufliche Existenz aufbauen zu können, weiterhin die Wahrscheinlichkeit besteht, der Beschuldigte werde trotz familiärer Bindungen diesem Fluchtanreiz nachgeben und sein Wissen im Ausland gewinnbringend einsetzen. Schließlich handelt es sich um ein Delikt auch politischen Charakters, dessen Auslieferungsfähigkeit jedenfalls unwahrscheinlich ist (vgl. nur Art. 3 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957).

Das Gericht kann und darf sich jedoch dem Antrag des Generalbundesanwalts aus Rechtsgründen nicht verschließen. Entgegen der in der Literatur vertretenen Ansicht (jeweils zu § 120 StPO: KK-Boujong, 4. Aufl., Rdn. 23, Hilger LR, 25. Aufl., Rdn, 401 Kleinknecht/Meyer-Goßner, 44. Aufl., Rdn. 13; Krause AK StPO Rdn. 14) ist ein Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verschonung vom weiteren Vollzug der Untersuchungshaft angesichts ihrer Stellung als Herrin des Ermittlungsverfahrens (vgl. hierzu Hilger a.a.0. Rdn. 39 m.w.N.) zwingend zu folgen. Dies folgt auch aus einem "erst - recht" -Schluß (a majore ad minus) aus der Bindungswirkung des § 120 Abs. 3 StPO. Entgegen Hilger (a.a.O., Rdn. 40) liegt in § 120 Abs. 3 StPO keine "klare gesetzgeberische Entscheidung" beschränkt auf die dortige Fallkonstellation, sondern nur eine Deklaration für den Extremfall abweichender Einschätzung durch Strafverfolgungsbehörde einerseits und Gestattungsgericht andererseits, mit der sogar darüber hinausgehenden Entscheidung des Gesetzgebers, daß nicht einmal die aktuelle Beurteilung des (dynamischen) Tatverdachts und der Haftgründe durch den Gestattungsrichter eingeholt werden muß, bevor die Freilassung angeordnet wird.

Liegt es in der Hand der Staatsanwaltschaft, mit dem Haftbefehl die schärfere Maßnahme begründungslos (Krause a.a.O.) aufheben zu lassen, so steht es ihr erst recht nicht zu, verbindlich darüber zu entscheiden, daß nur ein Weniger, der Vollzug des Haftbefehls, entfällt.(1) s.u. - Anm. d. B.) Jede andere Lösung führte zu in sich unschlüssigen Ergebnissen. Würde beispielsweise eine beantragte Außervollzugsetzung abgelehnt, liegt es im Ermittlungsverfahren in den Händen der Strafverfolgungsbehörde, diese Beurteilung des Gerichts dadurch auszuhebeln, daß sie weitergehend den Haftbefehl aufheben läßt und zugleich die Freilassung des Beschuldigten anordnet. Es wird der Stellung der Staatsanwaltschaft in diesem Verfahrensstadium nicht gerecht, würde sie genötigt, einen Haftbefehl entweder nur als zu vollziehenden zu beantragen oder ganz auf ihn zu verzichten. Es ist vielmehr das gute Recht und die Verantwortung der Staatsanwaltschaft, der eigenen Einschätzung folgend, den Mittelweg zu beschreiten und diesen zwingend gegenüber dem für die Haftentscheidung verantwortlichen Gericht durchzusetzen, das auch insoweit nur eingreifende Maßnahmen gestattet. Nach der Konzeption der Strafprozeßordnung obliegt dem Ermittlungsrichter nur die Pflicht, zu prüfen, ob unter Richtervorbehalt gestellte Eingriffe der Strafverfolgungsbehörde in Beschuldigtenrechte nach der aktuellen Sach- und Rechtslage gerechtfertigt sind, nicht jedoch das Recht, von sich aus über gestellte Anträge hinaus - oder ohne Antrag - Eingriffe zu begründen,

Der Ermittlungsrichter darf mithin nicht einen weitergehenden Eingriff in die Grundrechte gestatten oder gar anordnen, als er von der Strafverfolgungsbehörde in eigener Verantwortung begehrt wird (ne ultra petita).

BGH 3 BJs 37/99-2 (2 BGs 335/99) - Korrektur des Beschlusses vom 30. November 1999

In den Gründen des Beschlusses vom 30. November 1999 - 2 BGs 335/99 - hat sich ein sinnentstellender Übertragungsfehler eingeschlichen, der hiermit wie folgt korrigiert wird:

Korrektur

Im ersten Satz des vorletzten Absatzes ist das Wort "nicht" zu streichen. Dieser Satz lautet mithin korrekt:

"Liegt es in der Hand der Staatsanwaltschaft, mit dem Haftbefehl die schärfere Maßnahme begründungslos (Krause a.a.O.) aufheben zu lassen, so steht es ihr erst recht zu, verbindlich darüber zu entscheiden, daß nur ein Weniger, der Vollzug des Haftbefehls, entfällt."

Bearbeiter: Rocco Beck