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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 70/99, Beschluss v. 14.04.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 70/99 - Beschluß v. 14. April 1999 (LG Verden)

Beweiskraft des Protokolls bei Verfahrensrügen

§ 274 StPO

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 20. Juli 1998 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler aufgedeckt, durch den der Angeklagte im Ergebnis benachteiligt wäre. Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in dessen Verwerfungsantrag bemerkt der Senat:

Die auf die Verletzung des § 243 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO gestützten Verfahrensrügen (Unterbleiben der Verlesung des Anklagesatzes, der Belehrung über die Aussagefreiheit sowie der Vernehmung zur Sache) dringen jedenfalls deshalb nicht durch, weil der Senat unter den besonderen Umständen des Falles mit Sicherheit ausschließen kann, daß das Urteil auf den geltend gemachten Verfahrensverstößen beruht. Offen bleiben kann daher, ob die Sitzungsniederschrift, auf die sich die Verteidiger zum Beweis ihrer Behauptungen berufen, nach der Art und Weise ihrer Abfassung und nach der Häufung der verfahrensrechtlichen Unterlassungen, die dann geschehen und auch noch von zwei erfahrenen Strafverteidigern und dem Staatsanwalt widerspruchslos hingenommen worden sein müssen, so weit reichende und offensichtliche Lücken aufweist, daß die Beweiskraft nach § 274 StPO entfallen ist und die dienstlichen Erklärungen des Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer, der Protokollführerin und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, wonach die geltend gemachten Verfahrensverstöße eindeutig nicht geschehen sind und lediglich ein vom Vorsitzenden nicht bemerktes Versehen der Protokollführerin bei der Abfassung der Sitzungsniederschrift vorliegt, im Wege des Freibeweises berücksichtigt werden dürfen. Der Senat braucht somit auch nicht zu entscheiden, ob mit der im Schrifttum als herrschend bezeichneten Auffassung auch eine Verfahrensrüge, die von einem in der Hauptverhandlung anwesenden Verteidiger auf eine - gemessen am tatsächlichen Verfahrensablauf -wissentlich unwahre Behauptung gestützt wird, im Rahmen der Wirkungen des § 274 StPO trotz der einem Verteidiger obliegenden Wahrheitspflicht (vgl. zuletzt BGH NStZ 1999, 188, 189) als zulässig behandelt werden muß (vgl. u.a. Julius in HK-StPO § 274 Rdn. 12; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen 6, Aufl. Rdn. 292-294 <S. 132 f.>; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers 5. Aufl. Rdn. 809-812 <S. 472-474>; Beulke, Der Strafverteidiger im Strafverfahren 1980 S. 156 f.; Cüppers NJW 1950, 930 und NJW 1951, 259; Schneidewin MDR 1951, 193) oder ob nicht vielmehr der Gegenmeinung, die sich auf erwägenswerte Gründe stützen kann, zu folgen ist (vgl. Dallinger NJW 1951, 256; Jescheck GA 1956, 97, 119; siehe auch Dünnebier in Löwe/Rosenberg StPO 23. Aufl. vor § 137 Rdn. 17 und 18, der allerdings die standeswidrig erhobene Rüge für prozessual wirksam hält).

Externe Fundstellen: NStZ 1999, 424; StV 1999, 582

Bearbeiter: Rocco Beck