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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 36/99, Urteil v. 14.04.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 36/99 - Urteil v. 14. April 1999 (LG Hildesheim)

Voraussetzungen einer Anordnung nach § 63 StGB

§ 63 StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 12. November 1998 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit gegen ihn wegen Sachbeschädigung eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15 DM festgesetzt worden ist.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung, Hausfriedensbruchs, Diebstahls und Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und darüber hinaus seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.

1. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet i.S d, § 349 Abs. 2 StPO hinsichtlich der Schuldsprüche in den Fällen II 2, 3, 4 und 5 der Urteilsgründe und der hierfür verhängten Einzelstrafen. Darüber hinaus hat das Landgericht unter II 1 der Urteilsgründe auch eine vom Angeklagten am 20. Mai 1998 begangene Sachbeschädigung festgestellt und hierfür eine Einzelstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15 DM festgesetzt, die verkündete Urteilsformel enthält jedoch keinen Schuldspruch wegen Sachbeschädigung. Die wegen Sachbeschädigung ausgesprochene Einzelstrafe war deshalb entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts wegen fehlenden Schuldspruchs für eine solche Einzeltat aufzuheben, dies hat, wie bereits der Generalbundesanwalt ausgeführt hat, keine Auswirkung auf die Gesamtstrafe. Der Senat schließt aus, daß diese niedriger ausgefallen wäre, wenn das Landgericht nur entsprechend dem verkündeten Schuldspruch die vier Einzelstrafen von neun Monaten Freiheitsstrafe. 60, 40 und 30 Tagessätzen verhängt hätte.

2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hält im Ergebnis ebenfalls rechtlicher Prüfung stand.

Nach den Feststellungen sind gegen den Angeklagten schon seit Anfang der 70er Jahre eine Vielzahl von Strafverfahren eingeleitet und sodann wegen Schuldunfähigkeit eingestellt worden. Durch Urteil des Landgerichts Detmold vom 25. November 1974 wurde schließlich wegen Körperverletzung und tatmehrheitlich begangener Erpressung seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, weil bei ihm eine, seine Schuldfähigkeit aufhebende, zumindest aber erheblich vermindernde paranoid-schizophrene Psychose diagnostiziert wurde. Der Angeklagte, der keinerlei Krankheits- und Behandlungseinsicht zeigte, war in diesem Maßregelvollzug bis 1989 und wurde sodann in einem Übergangswohnheim untergebracht, wo er vier Jahre verblieb. Danach wurde er wohnungslos und zog in der Folgezeit unstet durch die Bundesrepublik Deutschland umher. Dabei beging er immer wieder Straftaten - u. a. Körperverletzungen, Diebstähle, Bedrohungen und Hausfriedensbrüche - deren Verfolgung jedoch in der Regel - seit 1993 in 43 Fällen -wegen Schuldunfähigkeit eingestellt wurden.

a) Für die am 17. Juni und 24. Juni 1998 begangenen strafbaren Handlungen hat das sachverständig beratene Landgericht zum Zustand des Angeklagten festgestellt, daß er auch jetzt noch unter einer dauerhaften, aus der 1974 diagnostizierten Psychose resultierenden "postpsychotischen Residualsymptomatik" leidet, die medikamentöser Behandlung bedarf. Außerdem besteht bei dem Angeklagten der alle abgeurteilten Straftaten unter Alkoholeinfluß begangen hat, eine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung, die sich insbesondere durch Affekt- und Kontaktstörungen sowie dissoziales Verhalten auszeichnet. Das Landgericht hat für alle abgeurteilten Taten die Voraussetzungen erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 21 StGB positiv festgestellt, und zwar aufgrund der genannten psychischen Defekte und des zuvor genossenen Alkohols. Nach den Urteilsdarlegungen und den daraus zu entnehmenden Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen kommt der alkoholischen Beeinflussung des alkoholgewohnten Angeklagten in diesem Bündel von Faktoren für die Beurteilung seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit jedoch lediglich eine untergeordnete Rolle zu, und zwar auch für die am 24. Juni 1998 mit einer -fehlerhaft zu hoch berechneten - Tatzeit-BAK von 2,1 o/oo auf offener Straße begangene sexuelle Nötigung einer 64jährigen Passantin, die gravierendste der abgeurteilten Straftaten.

b) Diese Erwägungen tragen im Ergebnis die Maßregelanordnung nach § 63 StGB. Zwar ist dem Generalbundesanwalt zuzugeben, daß die Urteilsausführungen, insbesondere wegen fehlender Ausführungen zum Schweregrad der geistig - seelischen Defekte des Angeklagten, die Besorgnis begründen können, daß die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht allein durch einen länger andauernden psychischen Defekt, sondern - erst - durch dessen Zusammenwirken mit Alkoholgenuß begründet wird. Zugleich weist der Generalbundesanwalt aber auch zutreffend darauf hin, daß nach der Rechtsprechung in derartigen Fällen §63 StGB dann anwendbar ist, wenn der Angeklagte entweder krankhaft alkotholüberempfindlich ist oder an einer aus einer psychischen Erkrankung erwachsenen oder auf krankhafte körperliche Beschaffenheit zurückgehenden Alkoholsucht leidet (vgl. BGHSt 34, 313, 314; BGH NStZ 1986, 331, 332), einer derartigen, auf krankhafte Ursachen zurückzuführenden Alkoholsucht steht eine auf einer schweren anderen seelischen Abartigkeit beruhende Alkoholabhängigkeit gleich (vgl. BGH NStZ 1990, 538 = BGHR StGB §63 Zustand 12) Daß diese Voraussetzungen bei dem Angeklagten vorliegen, führt das angefochtene Urteil zwar nicht ausdrücklich aus. Dem Urteilszusammenhang und den Wendungen, der Alkohol könne nur in der Summe mit den übrigen Faktoren als ein die Steuerungsfähigkeit - mit - vermindernder Faktor gesehen werden (vgl. UA S. 9) bzw. die Voraussetzungen des § 21 StGB seien nur in der Gesamtschau der Faktoren gegeben, wobei dem Alkoholgenuß lediglich eine untergeordnete Rolle zuzurechnen sei (vgl. UA S. 9/10), ist jedoch mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, daß die erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten maßgeblich durch die dauerhaften Zustände der behandlungsbedürftigen - krankhaften - "postpsychotischen Residualsymptomatik" und der erheblichen Persönlichkeitsstörung verursacht ist. Der alkoholischen Beeinflussung des Angeklagten kommt dabei ersichtlich allenfalls die Funktion eines Katalysators zu. Diese Umstände reichen in Anbetracht der seit vielen Jahren erheblich gestörten Persönlichkeit des Angeklagten, die ihn immer wieder Straftaten, auch solche schwerwiegender Art, begehen ließ, als Anordnungsgrundlage für § 63 StGB aus, zumal es nach den Urteilsausführungen naheliegt, daß der ersichtlich seit längerer Zeit betriebene Alkoholmißbrauch - ob dieser schon den Grad einer Sucht erlangt hat, kann dem Urteil nicht mit der erforderlichen Sicherheit entnommen werden - durch den behandlungsbedürftigen krankhaften Zustand und seine Persönlichkeitsstörung bedingt ist (vgl. zur Verknüpfung einer schweren Persönlichkeitsstörung mit Entstehung oder Fortbestand einer Alkoholsucht als Anordnungsgrundlage i.S.d. § 63 StGB BGH, Urt vom 8. Januar 1999 - 2 StR 430/98).

Bearbeiter: Rocco Beck