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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 333/99, Beschluss v. 03.11.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 333/99 - Beschluß v. 03. November 1999 (LG Hannover)

Rechtsfehlerhafte Abwesenheit des Angeklagten bei Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen

§ 338 Nr. 5 StPO; § 247 S. 2, 4 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen gehört nicht mehr zur Vernehmung, sondern ist ein selbständiger Verfahrensabschnitt und - in der Regel - wesentlicher Teil der Hauptverhandlung. Der Angeklagte, dessen Entfernung aus dem Sitzungssaal während der Vernehmung eines Zeugen durch das Gericht angeordnet worden ist, muß daher zur Verhandlung über die Entlassung wieder zugelassen werden.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten Heinz - Werner K. wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 1. Februar 1999, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben

a) im Schuldspruch in den Fällen 1 bis 66 und 151 der Verurteilung,

b) im gesamten Strafausspruch.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten Heinz - Werner K. wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 200 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt.

Die Revision hat mit einer Verfahrensrüge in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Die übrigen Verfahrensrügen und die Sachrüge sind aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 6. August 1999 zutreffend dargelegten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Die auf § 247 Satz 2 und Satz 4 StPO i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO gestützte Rüge, über die Entlassung der Zeugin Daniela Kr. sei rechtsfehlerhaft in Abwesenheit des Angeklagten und vor seiner Unterrichtung verhandelt worden, ist begründet.

1. Wie dem Vorbringen des Angeklagten, das den formellen Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt, sowie dem Hauptverhandlungsprotokoll entnommen werden kann, wurde die Zeugin Daniela Kr. in Abwesenheit des Angeklagten zur Sache vernommen, sodann blieb sie auf Anordnung des Vorsitzenden nach § 61 Ziffer 2 StPO unvereidigt und wurde im Einverständnis der anwesenden Beteiligten entlassen. Nunmehr wurde der Angeklagte wieder in den Saal gerufen und über den wesentlichen Inhalt der Aussage der Zeugin Daniela Kr. unterrichtet. Auf Befragen des Vorsitzenden hierzu stellte auch der Angeklagte keinen Antrag auf Vereidigung der Zeugin, der Vorsitzende wiederholte sodann seine auf § 61 Ziffer 2 StPO gestützte Anordnung, daß die Zeugin als Geschädigte unvereidigt bleibt.

Danach ist zwar die in Abwesenheit des Angeklagten fehlerhaft erfolgte erste Verhandlung und Entscheidung über die Vereidigung der Zeugin Daniela Kr. geheilt worden, jedoch nicht die fehlerhaft in Abwesenheit des Angeklagten erfolgte Verhandlung über die Entlassung der Zeugin. Die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen gehört nicht mehr zur Vernehmung, sondern ist ein selbständiger Verfahrensabschnitt und - in der Regel - wesentlicher Teil der Hauptverhandlung (vgl. BGHR StPO § 247 Abwesenheit 15; § 338 Nr. 5 Angeklagter 5 und 23, BGHR StPO § 247 Abwesenheit 18). Der Angeklagte, dessen Entfernung aus dem Sitzungssaal während der Vernehmung eines Zeugen durch das Gericht angeordnet worden ist, muß daher zur Verhandlung über die Entlassung wieder zugelassen werden. Ein schon bisher in der Rechtsprechung anerkannter Ausnahmefall, in dem trotz vorschriftswidriger Abwesenheit des Angeklagten während eines Verfahrensabschnitts § 338 Nr. 5 StPO nicht eingreift, etwa weil der Angeklagte nach Unterrichtung über den wesentlichen Inhalt der Zeugenaussage auf Fragen an den Zeugen verzichtet hat (vgl. BGH, Beschl. vom 10. August 1995 - 5 StR 272/95), liegt hier nicht vor. Dahinstehen kann, ob in einem nachträglich geäußerten ausdrücklichen Verzicht des Angeklagten auf die Vereidigung des Zeugen (vgl. dazu BGHR StPO § 247 Abwesenheit 19) konkludent die Erklärung gesehen werden kann, daß er auch auf Fragen an den Zeugen verzichte, denn nach dem Revisionsvortrag und ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls hat der Angeklagte nicht auf die Vereidigung der Zeugin verzichtet, sondern Iediglich keinen Antrag auf Vereidigung gestellt.

2. Das Urteil beruht in den Fällen 1 bis 66 und 151 der Verurteilung, die die Taten zum Nachteil der Stieftochter Daniela Kr. betreffen, auf der Aussage der Zeugin Kr.. Die zugrundeliegenden Feststellungen hat das Landgericht nicht nur auf die umfassenden Geständnisse des Angeklagten und seiner mitangeklagten früheren Ehefrau gestützt, sondern zur Bestätigung der Zuverlässigkeit ausdrücklich ausgeführt, daß sich die Geständnisse u.a. mit den Angaben der Zeugin Daniela Kr. decken (vgl. UA S. 9).

Demgegenüber kann der Senat ausschließen, daß der Schuldspruch in den übrigen Fällen, die die Taten zum Nachteil der Kinder Sylvia und Sascha K. betreffen, von diesem Rechtsfehler berührt werden. In diesen Fällen war daher die Verhandlung über die Entlassung der Zeugin Daniela Kr. kein wesentlicher Bestandteil der Hauptverhandlung. Die für diese 133 Taten verhängten, an sich maßvollen Einzelstrafen, können dennoch nicht bestehen bleiben, weil der Senat nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen vermag, daß sich die in den Fällen 1 bis 66 und 151 der Verurteilung mit aufzuhebenden Einzelstrafen, unter denen sich auch die Einsatzstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe befindet, nach Anzahl und Höhe auch auf die übrigen Einzelstrafen ausgewirkt haben.

Bearbeiter: Rocco Beck