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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 253/99, Beschluss v. 11.08.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 253/99 - Beschluß v. 11. August 1999 (LG Hildesheim)

Milderes Recht bei § 177 StGB; Minder schwerer Fall trotz Vorliegens eines Regelbeispiels für einen besonders schweren Fall

§ 2 Abs. 3 StGB; § 177 Abs. 2 und Abs. 5 StGB

Leitsatz

1. Ob ein Gesetz im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB milder ist, läßt sich nicht durch einen abstrakten Vergleich der Tatbestände und Strafdrohungen ermitteln. Entscheidend ist vielmehr, welches Gesetz für den konkreten Fall die mildeste Beurteilung zuläßt.

2. Trotz Vorliegens eines Regelbeispiels für einen besonders schweren Fall (z.B.: § 177 Abs. 2 StGB) ist zu prüfen ob nicht Umstände vorliegen, die der Tat trotz Erfüllung eines Regelbeispiels das Gepräge eines minder schweren Falles geben könnten. Diese müßten allerdings in einem ganz außergewöhnlichen Umfang schuldmildernd sein.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 8. Februar 1999 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine Revision ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Anlaß zu weiterer Erörterung geben nur die Ausführungen des Landgerichts zur Bestimmung des anzuwendenden Rechts.

Das Landgericht hat bei der Entscheidung, § 177 StGB in der zur Tatzeit (1981 und 1983) geltenden Fassung als das mildere Recht (§ 2 Abs. 3 StGB) anzuwenden, darauf abgestellt, daß § 177 StGB i.d.F. des 6. StrRG bei Verwirklichung eines Regelbeispiels nach Abs. 2 nicht mehr die Annahme eines minder schweren Falles eröffne. Diese Beurteilung ist in zweifacher Hinsicht fehlerhaft.

1. Ob ein Gesetz im Sinne von § 2 Abs. 3 StGB milder ist, läßt sich nicht durch einen abstrakten Vergleich der Tatbestände und Strafdrohungen ermitteln. Entscheidend ist vielmehr, welches Gesetz für den konkreten Fall die mildeste Beurteilung zuläßt (Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 2 Rdn. 30 m.w.Nachw.). Der Tatrichter muß hierzu erwägen, welchen Strafrahmen er für eine Tat unter Anwendung des alten und des neuen Rechts jeweils zugrundelegen würde.

2. Die vom Landgericht vorgenommene abstrakte Betrachtung geht zudem von einem nicht zutreffenden Ausgangspunkt aus. Auch nach neuem Recht ist die Beurteilung eines erzwungenen Geschlechtsverkehrs als Vergewaltigung in einem minder schweren Fall rechtlich möglich.

Bereits durch das 33. StrÄndG ist die sexuelle Nötigung (§ 177 Abs. 1 StGB) zum alleinigen Grundtatbestand gemacht und die Vergewaltigung als bloßes Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall ausgestaltet worden (§ 177 Abs. 3 [seit dem 6. StrRG: § 177 Abs. 2] StGB). Danach ist bei Anwendung des neuen Rechts zu prüfen, ob trotz Vorliegens eines Regelbeispiels wegen anderer, erheblicher schuldmildernder Umstände der Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB nicht anzuwenden, sondern von dem des Absatzes 1 auszugehen ist. Liegt ein solcher Fall vor, so ist es nicht ausgeschlossen, die Tat darüber hinaus als minder schweren Fall nach § 177 Abs. 5 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren) zu beurteilen. Umstände, die der Tat trotz Erfüllung eines Regelbeispiels das Gepräge eines minder schweren Falles geben könnten, müßten allerdings in einem ganz außergewöhnlichen Umfang schuldmildernd sein. Nach der hier gewählten Gesetzestechnik sind sie jedenfalls nicht unmöglich. Insoweit ist die Rechtslage nicht anders als bei § 176 StGB a.F. (vgl. Laufhütte in LK 11. Aufl. § 176 Rdn. 22 m.w.Nachw.; BGH, Beschl. vom 1. Oktober 1992 - 4 StR 477/92). Bei dieser Strafvorschrift über den sexuellen Mißbrauch von Kindern hat der Gesetzgeber allerdings durch das 6. StrRG genau die umgekehrte Gesetzestechnik gewählt und Regelbeispiele (§ 176 Abs. 3 StGB a.F.) zu Qualifikationen (§ 176 a StGB n.F.) umgestaltet.

3. Der unzutreffende Ausgangspunkt gefährdet den Strafausspruch nicht. Das Landgericht hat minder schwere Fälle der Vergewaltigung nach § 177 Abs. 2 StGB a.F. jeweils mit ausführlicher Würdigung rechtsfehlerfrei abgelehnt. Der Senat kann deshalb ausschließen, daß das Landgericht - hätte es die Anwendung des neuen Rechts als möglich in Betracht gezogen - einen Fall, bei dem trotz Erfüllung des Regelbeispiels der Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB n. F. nicht zur Anwendung kommt, angenommen hätte. Der besonders schwere Fall der sexuellen Nötigung nach § 177 Abs. 2 StGB n.F. (zur Tenorierung vgl. BGH NStZ 1998, 510; NStZ-RR 1999, 78) eröffnet denselben Strafrahmen wie die Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1 StGB a.F. (Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren). Das neue Recht ist deshalb nicht milder, so daß es aus diesem Grund bei der Anwendung des zur Tatzeit geltenden Rechts verbleibt.

Externe Fundstellen: NStZ 1999, 615; StV 1999, 603

Bearbeiter: Rocco Beck