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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 1/99, Urteil v. 10.03.1999, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 1/99 - Urteil v. 10. März 1999 (LG Hannover)

Verschiedene Mordmerkmale (Habgier, Verdeckung einer Straftat, niedere Beweggründe); Besondere Schwere der Schuld

§ 211, 57a StGB

Leitsätze des Bearbeiters

Die Verdeckungsabsicht erfaßt auch solche Motive, die im Rahmen eines "sonst niedrigen Beweggrundes" Berücksichtigung finden. Nach der Rechtsprechung wird das Verdeckungsmotiv für sich als niedriger Beweggrund gewertet, da hier eine besonders verwerfliche Gesinnung zutage tritt.

Anders ist es allerdings, wenn die vorliegenden Motive, die als niedriger Beweggrund gewertet werden, über die Verdeckungsabsicht hinaus einen weitergehenden Unwertgehalt enthalten.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 1. September 1998 aufgehoben, soweit die besondere Schwere der Schuld festgestellt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes (begangen aus Habgier, um eine andere Straftat zu verdecken und aus niedrigen Beweggründen), wegen versuchten Mordes (begangen aus niedrigen Beweggründen) und schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten festgestellt. Mit seiner Revision beanstandet der Beschwerdeführer das Verfahren und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat nur in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:

Der Angeklagte befand sich, nachdem er bei einem Banküberfall unter Drohung mit einer scharfen Schußwaffe 4.500 DM erbeutet hatte, mit seinem Fahrrad auf der Flucht, verfolgt von den Zeugen T. und B. die ihm mit dem Pkw des Zeugen T. nachfuhren. Nach einer längeren Verfolgung schnitten sie ihm mit dem Fahrzeug, das der Zeuge T. dicht neben einen Jägerzaun fuhr, den weiteren Fluchtweg ab. Um nicht von den beiden Fahrzeuginsassen an der weiteren Flucht gehindert, identifiziert und möglicherweise festgenommen zu werden, ergriff er seine Schußwaffe und gab durch das hintere seitliche Dreieckfenster einen Schuß auf den Fahrer des Pkw, den Zeugen T. ab. Der Angeklagte handelte dabei mit Tötungsvorsatz. Die Patrone verfehlte den Zeugen, der unmittelbar nach Schußabgabe sofort Gas gab und mit seinem Pkw davonfuhr.

Der Angeklagte floh zu Fuß weiter, überquerte einen Bahndamm und stieß auf zwei Streckensicherungsposten, den Zeugen C. und das spätere Opfer G. . Um seine Flucht fortsetzen zu können und im Besitz der Beute zu bleiben, entschloß sich der Angeklagte, mit Waffengewalt die Autoschlüssel und damit auch den Pkw des Geschädigten G. zu erlangen. Er ergriff die Waffe, zielte auf ihn und forderte die Herausgabe der Autoschlüssel. Als dieser sich weigerte, ging der Angeklagte mit gezogener Waffe auf ihn zu. Aus einer Entfernung von ein bis zwei Metern gab der Angeklagte mit Tötungsvorsatz einen Schuß auf G. ab und traf ihn dabei in der linken Oberschenkelseite im Bereich der linken Hüftpartie. Gleichwohl wollte dieser dem Angeklagten die Waffe entwenden. Deshalb kam es zu einer Rangelei, wobei beide Männer zu Boden gingen. Das spätere Opfer versuchte, dem Angeklagten die Schußwaffe wegzunehmen, was ihm jedoch nicht gelang. Nunmehr gab der Angeklagte zwei weitere Schüsse auf den Kopf- und Oberkörperbereich des G. ab. Schwer verletzt ließ dieser von dem Angeklagten ab, worauf jener sich zunächst einige Meter entfernte, dann jedoch stehen blieb und die Waffe abwechselnd auf den am Boden liegenden Schwerverletzten und den immer noch neben dem Fahrzeug stehenden Zeugen C. richtete. Der Angeklagte bedrohte beide mit der Waffe und forderte erneut die Herausgabe der Schlüssel. In dieser Situation kam zufällig der Zeuge K mit seinem Fahrrad auf die Personengruppe zu. Als der Angeklagte den Radfahrer bemerkte, lief er auf ihn zu, hielt ihm die Waffe an den Kopf, nahm dem verängstigten Zeugen das Fahrrad ab und setzte damit die Flucht fort. Kurz danach wurde er von der Polizei festgenommen. G. verstarb innerhalb kürzester Zeit durch massive innere Blutungen.

II.

Die Beanstandungen des Beschwerdeführers, die Anklage sei unwirksam, wegen der Spielsucht des Angeklagten hätte ein weiterer psychiatrischer Sachverständiger gehört, näher bezeichnete Akten hätten beigezogen und eine weitere Zeugin hätte vernommen werden müssen, gerichtskundige Tatsachen hätten nicht verwertet werden dürfen und weitere Beweiserhebungen hätten sich aufgedrängt, sowie - in sachlich - rechtlicher Hinsicht -, der Angeklagte sei wegen Spielsucht erheblich vermindert schuldfähig gewesen und die Beweiswürdigung sei unter mehreren Gesichtspunkten fehlerhaft, sind aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 25. Januar 1999 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

III.

Näherer Erörterung bezüglich des ersten Tötungsgeschehens bedarf folgendes:

1. Die getroffenen objektiven und subjektiven Feststellungen rechtfertigen die Annahme einer Verdeckungsabsicht, weil der Angeklagte von seinen Verfolgern noch nicht identifiziert war und sich seiner Identifizierung und Festnahme wegen des vorangegangenen Bankraubes entziehen wollte. Daß das Landgericht anstelle dieses Mordmerkmals niedrige Beweggründe bejaht hat (vgl. zum Verhältnis der beiden Mordmerkmale unten IV 3), weil sich der Angeklagte rücksichtslos den Fluchtweg freigeschossen hat, beschwert den Angeklagten, der sich im übrigen gegen die Annahme dieses Mordmerkmals hier nicht anders hätte verteidigen können, nicht.

2. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt von dem Mordversuch verneint. Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, der Angeklagte hätte, als die Zeugen mit dem Pkw davonfuhren, noch weiter auf den Zeugen T. schießen und ihn töten können. Damit entfernt er sich von den den Senat bindenden Feststellungen des Landgerichts, wonach der Angeklagte, nachdem der Zeuge T. unmittelbar nach Schußabgabe Gas gegeben und davongefahren war, "keine Möglichkeit mehr hatte, mit auch nur einiger Sicherheit die in dem Pkw sitzenden Personen zu treffen" (UA S. 18), nachdem er schon bei seinem ersten aus nächster Nähe abgegebenen Schuß sein Opfer verfehlt hatte. Daher war der Versuch gescheitert. Deshalb kommt es darauf, ob der Angeklagte sein außertatbestandliches Handlungsziel - weitere Verfolgung und Identifizierung durch die Fahrzeuginsassen zu verhindern - erreicht hatte, nicht mehr an (vgl. BGHSt 39, 221, 232).

IV.

Auch im Hinblick auf das zweite Tötungsgeschehen sind Schuld- und Strafausspruch nicht zu beanstanden. Ohne Rechtsfehler hat der Tatrichter auch insoweit (zumindest bedingten) Tötungsvorsatz bejaht. Allerdings kommt von den vom Tatrichter angenommenen Mordmerkmalen der Habgier, der Verdeckungsabsicht und der sonst niedrigen Beweggründe das letzte in Wegfall.

1. Revision und Generalbundesanwalt stellen die Annahme des Landgerichts in Frage, daß der Angeklagte bei der Abgabe des zweiten und dritten Schusses auf den später Verstorbenen mit Tötungsvorsatz gehandelt hat. Das Schwurgericht hätte die naheliegende Möglichkeit erörtern müssen, ob diese Schüsse während der Rangelei vom Angeklagten unbeabsichtigt abgegeben worden seien. Einer solchen Möglichkeit stehen indes die getroffenen Feststellungen entgegen. Danach war es dem verletzten G. nicht gelungen, dem Angeklagten die Schußwaffe wegzunehmen. Erst danach ("nunmehr" UA S. 7) gab der, Angeklagte die beiden weiteren Schüsse auf Kopf- und Oberkörperbereich seines Opfers ab, indem er ihm die Schußwaffe zweimal auf den Körper aufgesetzt und abgedrückt hatte (UA S. 7, 18). Dieser Sachverhalt läßt für eine versehentliche zweimalige Schußabgabe keinen Raum.

2. Zutreffend hat das Schwurgericht Habgier bejaht. Der Angeklagte gab die tödlichen Schüsse ab, um sich in den Besitz des Pkws des Opfers zu bringen, damit er seine Flucht fortsetzen und dadurch die Tatbeute behalten kann. "Bewußtseinsdominanter" Beweggrund der Schußabgabe war bei dem Angeklagten deshalb Habgier. Sein hemmungsloses und übersteigertes Gewinnstreben bezog sich sowohl auf die Inbesitznahme des Fahrzeugs und damit auf eine unmittelbare Vermögensvermehrung (vgl. BGHR StGB §211 II Habgier 4) als auch auf die Besitzerhaltung der Tatbeute und damit auch insoweit auf eine Verbesserung seiner Vermögenslage.

3. Im Ergebnis Bestand hat auch die Verurteilung des Angeklagten unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des Verdeckungsmordes. Entfallen muß allerdings das Mordmerkmal des vom Landgericht darüber hinaus angenommenen niedrigen Beweggrundes. Es sieht ihn im wesentlichen darin, daß der Angeklagte bereit war, denjenigen zu töten, der seine Flucht verhindern oder erschweren wollte (UA S. 20). Das Landgericht ist von einem zu engen Anwendungsbereich der Strafvorschrift des Verdeckungsmordes ausgegangen. Die Verdeckungsabsicht erfaßt auch solche Motive, die im Rahmen eines "sonst niedrigen Beweggrundes" Berücksichtigung finden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird das Verdeckungsmotiv für sich als niedriger Beweggrund gewertet, weit bei ihm in aller Regel eine besonders verwerfliche Gesinnung zutage tritt (BGHR StGB § 211 II niedrige Beweggründe 21 m.w.Nachw.). Danach unterfallen die von der Schwurgerichtskammer zur Begründung des Mordmerkmals der sonst niedrigen Beweggründe herangezogenen Motive des Angeklagten dem Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht (vgl. BGH, Beschluß vom 12. Januar 1999 - 1 StR 622/98). Sie enthalten über die Verdeckungsabsicht hinaus keinen weiteren Unwertgehalt.

Zwar ist der Angeklagte weder in der Anklageschrift noch in der Hauptverhandlung im Wege eines rechtlichen Hinweises ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß er in dem zweiten Tötungskomplex auch wegen Verdeckungsabsicht verurteilt werden kann. Grundsätzlich muß das Gericht, wenn das Strafgesetz mehrere gleichwertig nebeneinander stehende Begehungsweisen aufführt, angeben, weiche Begehungsform nach seiner Auffassung im gegebenen Fall in Betracht kommt (vgl. BGHR StPO § 265 I Hinweispflicht 14). Ob dies auch im Verhältnis von Verdeckungsabsicht und sonst niedrigem Beweggrund in Fällen gilt, in denen die Tatmotive über die Verdeckung hinaus keinen weiteren Unwert enthalten und eine Verurteilung aus Rechtsgründen nur wegen Verdeckungsmordes erfolgen darf, kann der Senat offen lassen. Insoweit liegt es nahe, daß der Angeklagte schon aus dem Gang der Hauptverhandlung entnimmt, daß das Gericht eine Verurteilung wegen Verdeckungsmordes in seine Überlegungen einbezieht, wenn die Verdeckungsabsicht den niedrigen Beweggrund darstellt.

Jedenfalls kann auf einem möglichen Verfahrensverstoß das Urteil nicht beruhen, soweit es sich um die Beweggründe des Angeklagten bei Begehung des zweiten Tötungsgeschehens handelt. Der Senat schließt aus, daß sich der Angeklagte - bei gleichem Unwertgehalt beider Mordmerkmale - anders als geschehen hätte verteidigen können.

V.

Obwohl von den vom Tatrichter für das zweite Tötungsgeschehen angenommenen drei Mordmerkmalen eines entfällt, können der Schuldspruch (vgl. BGHSt 41, 222), aber auch der Strafausspruch bestehen bleiben. Bei Bejahen auch nur eines Mordmerkmals war zwingend auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen, nachdem das Schwurgericht auch für dieses Mordmerkmal alle denkbaren Milderungsmöglichkeiten ausgeschlossen hat. Bestand hat demnach ebenfalls der Gesamtstrafenausspruch, der auch ohne den aufgezeigten Rechtsfehler nicht anders ausgefallen wäre. Der Senat schließt aus, daß er sich auf die Höhe der verhängten zeitigen Freiheitsstrafen ausgewirkt hat.

VI.

Aufzuheben war aber der Ausspruch über die besondere Schuldschwere, die der Tatrichter ausdrücklich auch damit begründet hat, daß der Angeklagte bei der Tötung des G. insgesamt drei Mordmerkmale verwirklicht hat. Zwar hätte die Schwurgerichtskammer angesichts der vorliegenden Umstände auch ohne die fehlerhafte Annahme eines weiteren Mordmerkmals die besondere Schuldschwere feststellen können (vgl. BGHR StGB § 57 a I Schuldschwere 20). Der Senat ist jedoch an einer eigenen abschließenden Entscheidung gehindert, weil er sonst seine Wertung an die Stelle der vom Tatrichter vorzunehmenden Gesamtwürdigung setzen würde (vgl. BGHR StGB § 57 a I Schuldschwere 18 m.w.Nachw.).

Externe Fundstellen: NStZ-RR 1999, 235

Bearbeiter: Rocco Beck