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Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 436/98, Beschluss v. 27.11.1998, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 436/98 - Beschluss vom 27. November 1998 (LG Kiel)

Berücksichtigung ausländerrechtlicher Folgen bei der Strafzumessung

§ 46 StGB; § 47 AuslG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Der Senat verbleibt bei der Rechtsprechung, daß eine Ausweisung des Angeklagten wegen der von diesem begangenen Straftaten nur dann ein bestimmender und damit in den Urteilsgründen zu erörternder Strafzumessungsgrund sein kann, wenn die Ausweisung vom Ausländerrecht als zwingende Folge vorgeschrieben ist.

2. Dem sind die Fälle nicht gleichzustellen, in denen die Ausweisung nicht zwingende Folge der strafrechtlichen Verurteilung, sondern nur regelmäßige Folge ist. Dies gilt auch, wenn die ausländerrechtliche Verwaltungspraxis und Rechtsprechung im einzelnen an die Voraussetzungen für einen Ausnahmefall hohe Anforderungen stellen.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 26. Februar 1998 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den bereits mehrfach zu Freiheitsstrafen verurteilten Angeklagten u.a. wegen versuchten Totschlags zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten ist unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Dies gilt auch für den von der Revision beanstandeten Strafausspruch.

Bei der Strafzumessung hat das Landgericht "ganz erheblich strafmildernd" berücksichtigt, daß der Angeklagte, der in Deutschland aufgewachsen ist und hier mit seiner deutschen Ehefrau und seinen Kindern zusammenlebt und seinen Lebensmittelpunkt gefunden hat, aufgrund dieses Urteils nach § 47 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1, § 48 Abs. 1 AuslG "in der Regel ausgewiesen" und von "dieser möglichen Folgewirkung seiner Taten besonders hart" getroffen sein wird. Es hat weiter ausgeführt, daß die Ausweisung für den Angeklagten wegen des erhöhten Ausweisungsschutzes nach § 48 Abs. 1 AuslG keine zwingende Entscheidung sei und im Verwaltungsverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen zu berücksichtigen sei, ob besondere Umstände vorliegen, die eine Ausnahme von der Regelausweisung nach § 47 Abs. 3 Satz 1 AuslG rechtfertigen oder möglicherweise gar gebieten.

Damit hat das Landgericht die ausländerrechtlichen Konsequenzen der Straftat im Urteil ohne Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erörtert, obwohl ein Fall, in dem dies von Rechts wegen geboten gewesen wäre, nicht vorliegt.

1. Der Senat verbleibt bei der Rechtsprechung, daß eine Ausweisung des Angeklagten wegen der von diesem begangenen Straftaten nur dann ein bestimmender und damit in den Urteilsgründen zu erörternder Strafzumessungsgrund sein kann, wenn die Ausweisung vom Ausländerrecht als zwingende Folge vorgeschrieben ist (BGHR StGB § 46 I Schuldausgleich 30; StGB § 46 II Lebensumstände 17; BGH, Urt. vom 16. Juni 1998 - 1 StR 162/98). Nur dann ist der Fall vergleichbar mit den zwingenden beamtenrechtlichen Folgen einer Verurteilung und deren Erörterung in den Strafzumessungserwägungen (vgl. BGHR StGB § 46 I Schuldausgleich 2, 10, 18).

2. Ein Fall der zwingenden Ausweisung liegt hier nicht vor. Nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 AuslG wird ein Ausländer u.a. dann (zwingend) ausgewiesen, wenn er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Ein Ausländer, der - wie der Angeklagte - einen besonderen Ausweisungsschutz nach § 48 Abs. 1 AuslG genießt und deshalb nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden kann, wird bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 AuslG lediglich "in der Regel" ausgewiesen. In einem solchen Fall ist im Verfahren nach dem Ausländergesetz zu prüfen, ob trotz der Erfüllung eines Regelbeispiels ein vom Regelfall abweichender und eine Ermessensentscheidung eröffnender atypischer Ausnahmefall vorliegt. Diese Systematik hat das Landgericht richtig erkannt, wenn es auch den Prüfungsvorgang dogmatisch ungenau als im "pflichtgemäßen Ermessen" der Behörde stehend bezeichnet hat.

Nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung sind Regelfälle solche, die sich nicht durch besondere Umstände von der Menge gleichliegender Fälle unterscheiden; Ausnahmefälle sind dagegen durch einen atypischen Geschehensablauf gekennzeichnet, der so bedeutsam ist, daß er jedenfalls das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regel beseitigt (vgl. BVerwG Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 9, 15; VGH Mannheim NVwZ-RR 1997, 746; VGH Kassel NVwZ-RR 1996, 605 jeweils m. w. Nachw.). Damit ist - und das zieht auch die Revision nicht in Zweifel - die Ausweisung im vorliegenden Fall nicht zwingende Folge der strafrechtlichen Verurteilung. Sie wird es auch nicht dadurch, daß die ausländerrechtliche Verwaltungspraxis und Rechtsprechung im einzelnen an die Voraussetzungen für einen Ausnahmefall hohe Anforderungen stellen mögen (vgl. die Beispiele bei Kanein/Renner, Ausländerrecht 6. Aufl. § 48 AuslG Rdn. 14). Die Umstände des Einzelfalles sind im Verwaltungsverfahren einer Prüfung zu unterziehen. Das Ergebnis unterliegt sodann der vollen gerichtlichen Nachprüfung (BVerwG Buchholz 402.240 § 47 AuslG 1990 Nr. 13). Das gilt auch für den Umstand, daß der Gesetzgeber während des Laufs des Strafverfahrens gegen den Angeklagten die Vorschriften über die zwingende Ausweisung verschärft hat.

3. Im übrigen kann im Strafverfahren nicht sicher vorhergesagt werden, zu welchem Ergebnis die ausländerrechtliche Prüfung kommen wird. Für die Ausweisungsentscheidung können Umstände bedeutsam sein, die im Strafverfahren nicht bekannt geworden oder erst nach dessen Abschluß eingetreten sind.

Externe Fundstellen: NStZ 1999, 240; StV 1999, 250

Bearbeiter: Ulf Buermeyer