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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, StB 8/97, Beschluss v. 27.06.1997, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH StB 8/97 - Beschluss vom 27. Juni 1997 (OLG Koblenz)

BGHSt 43, 122; Gerichtsstand für Pressedelikte, insbesondere bei nicht feststellbarem Erscheinungsort (Presseinhaltsdelikt).

§ 7 StPO

Leitsatz

Der Gerichtsstand des Erscheinungsortes für Presseinhaltsdelikte (§ 7 Abs. 2 StPO) setzt voraus, dass sich der Erscheinungsort der Druckschrift feststellen lässt. Ist dies nicht der Fall, insbesondere wegen eines fehlenden oder falschen Impressums, so gilt der allgemeine Gerichtsstand des Tatortes (§ 7 Abs. 1 StPO) mit der Folge, dass jedes Gericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk das Presseinhaltsdelikt - z.B. durch Verbreiten - begangen wurde. (BGHSt)

Entscheidungstenor

Auf die sofortige Beschwerde der Generalstaatsanwaltschaft wird der Beschluß des Oberlandesgerichts Koblenz vom 5. März 1997 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Oberlandesgericht Koblenz zurückverwiesen.

Gründe

Die Anklage legt den Angeschuldigten zur Last, in maßgeblicher Position für die Herausgabe und Verbreitung der Untergrundzeitschrift "radikal" verantwortlich zu sein. Gegenstand der Anklage sind fünf Ausgaben der Zeitschrift (Nummern 148 bis 152), die jeweils in einer Auflage von 5000 Exemplaren bundesweit mit konspirativen Mitteln verbreitet worden seien. Der Herstellungsort der Zeitschriften konnte nicht ermittelt werden. Das Impressum enthielt keine zutreffenden Angaben. Nach den Ermittlungen sollen sich die Angeschuldigten am 18. und 19. September 1993 in B. (Rheinland-Pfalz) mit anderweitig Verfolgten getroffen haben, um organisatorische Punkte sowie den Inhalt der Ausgabe Nummer 148 (Herstellung laut Druckangabe November 1993) zu besprechen. Im einzelnen wird den Angeschuldigten vorgeworfen, als Beteiligte an einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) durch den Inhalt der Druckschriften, insbesondere durch Abdruck von Tatbekennungen, in fünf Fällen eine terroristische Vereinigung werbend unterstützt (§ 129 a Abs. 3 StGB; Ausgabe Nummern 148, 150 und 151), in neunzehn Fällen Straftaten gebilligt (§ 140 Nr. 2 StGB), in drei Fällen öffentlich zu Straftaten aufgefordert (§ 111 StGB) und in zwei Fällen zu Straftaten angeleitet (§ 130 a StGB) zu haben. Darüber hinaus seien die Angeschuldigten der Steuerhinterziehung in mehreren Fällen schuldig, weil sie den Umsatz aus dem Verkauf der Zeitschriften den Finanzbehörden nicht mitgeteilt hätten (§ 370 AO).

Das Oberlandesgericht Koblenz hat die Eröffnung des Hauptverfahrens mit Beschluß vom 5. März 1997 abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, daß für seine sachliche Zuständigkeit (§ 129 a Abs. 3 StGB als Presseinhaltsdelikt) ein Gerichtsstand "nicht feststellbar" sei. Zwar bestehe ein örtlicher Bezug, soweit sich die Angeschuldigten in B. zur Besprechung des Inhalts der Ausgabe Nummer 148 getroffen haben sollen. Der allgemeine Gerichtsstand des Tatorts nach § 7 Abs. 1 StPO entfalle jedoch für im Inland erschienene Druckwerke durch den Gerichtsstand des Erscheinungsortes nach § 7 Abs. 2 Satz 1 StPO. Ein Erscheinungsort im Sinne dieser Vorschrift, nämlich der Ort, an dem die Druckschrift mit Willen des Verfügungsberechtigten die Stätte ihrer Herstellung zum Zwecke der Verbreitung verläßt, sei in seinem Gerichtsbezirk für keine der von der Anklage bezeichneten Publikationen feststellbar. Auch durch die Gerichtsstände nach §§ 8 und 9 StPO werde eine örtliche Zuständigkeit nicht begründet. Im übrigen sei hinsichtlich der Verfolgung von Presseinhaltsdelikten bei der Druckschrift Nr. 148 bereits Verjährung nach § 78 c Abs. 3 Satz 2 StGB eingetreten. Für die Straftaten nach §§ 111, 129, 130 a, 140 StGB, § 370 AO fehle es an der sachlichen Zuständigkeit eines Oberlandesgerichts. § 129 StGB begründe nur dann dessen Zuständigkeit, wenn die Sache von besonderer Bedeutung sei. Eine solche Bedeutung habe der Generalbundesanwalt durch die Abgabe des zunächst von ihm geführten Verfahrens nach § 142 a Abs. 2 Nr. 2 GVG an die Landesstaatsanwaltschaft verneint.

Von der Eröffnung des Hauptverfahrens vor einem Gericht niedrigerer Ordnung innerhalb seines Bezirks hat das Oberlandesgericht mit der Begründung abgesehen, daß zwar eine örtliche Zuständigkeit für den Tatvorwurf der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung gegeben sei, insoweit jedoch aus Rechtsgründen kein hinreichender Tatverdacht bestehe. Denn strafbare Handlungen nach §§ 111, 129 a Abs. 3, 130 a, 140 StGB würden eine Strafbarkeit gemäß § 129 StGB nicht begründen. Darüber hinaus sei die örtliche Zuständigkeit für die vorgeworfenen Presseinhaltsdelikte (§§ 111, 130 a, 140 StGB) nach § 7 Abs. 2 Satz 1, §§ 8 und 9 StPO aus den bereits dargelegten Erwägungen nicht gegeben. Die Verfolgung wegen der Beiträge in den Ausgaben Nummern 148 und 149 sei außerdem gemäß § 78 c Abs. 3 Satz 2 StGB verjährt. Schließlich sei auch eine örtliche Zuständigkeit hinsichtlich der Steuerhinterziehungen nicht feststellbar.

Mit ihrer sofortigen Beschwerde, der der Generalbundesanwalt beigetreten ist, beantragt die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz den Nichteröffnungsbeschluß des Oberlandesgerichts Koblenz insoweit aufzuheben und das Hauptverfahren vor diesem zu eröffnen, als nicht die durch die Verbreitung der Ausgaben Nummern 148 und 149 begangenen (verjährten) Straftaten betroffen sind. Ihrer Auffassung nach ist der Gerichtsstand des Tatorts nach § 7 Abs. 1 StPO gegeben, wenn bei einer "Untergrundzeitschrift" ein Erscheinungsort i.S. von § 7 Abs. 2 StPO überhaupt nicht festzustellen ist. Falls das Oberlandesgericht Koblenz örtlich nicht zuständig sei, beantragt sie hilfsweise, den Nichteröffnungsbeschluß aufzuheben, damit das Verfahren an die örtlich zuständige Landesstaatsanwaltschaft abgegeben werden könne.

Die sofortige Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache. Zu Unrecht hat das Oberlandesgericht seine örtliche Zuständigkeit verneint.

Die Anwendbarkeit des § 7 Abs. 2 Satz 1 StPO setzt seinem Inhalt nach voraus, daß der Erscheinungsort der Druckschrift festgestellt werden kann. Nur dann wird der sogenannte fliegende Gerichtsstand der Presse, der sich gemäß § 7 Abs. 1 StPO grundsätzlich nach jedem Verbreitungsort bestimmt, durch den des Erscheinungsortes ersetzt. Die durch das Gesetz vom 13. Juni 1902 (RGBl. S. 227) eingefügte Vorschrift des § 7 Abs. 2 StPO sollte den Mißstand beseitigen, daß die für den Inhalt einer Druckschrift verantwortlichen Personen an allen Orten vor Gericht gestellt werden können, wohin das Blatt auf Bestellung versandt ist" (Regierungsentwurf, Reichstags-Drucks. 10. Legislaturperiode II. Session 1900/02 Nr. 560). Ausgenommen von dieser Privilegierung wurden allerdings Druckschriften, die im Inland verbreitet wurden, deren Erscheinungsort aber - einen inländischen Gerichtsstand des Erscheinungsortes ausschließend - im Ausland lag. Insoweit "muß die Möglichkeit eines strafrechtlichen Einschreitens bei jedem Gericht, in dessen Bezirk eine Verbreitung stattfindet", aufrechterhalten bleiben (Reichstags-Drucks. aaO).

Das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel ergibt sich aus dem systematischen Verhältnis der Sonderregelung des § 7 Abs. 2 StPO zu der allgemeinen Regelung des § 7 Abs. 1 StPO. § 7 Abs. 2 StPO begründet für Presseinhaltsdelikte nicht einen zusätzlichen Gerichtsstand, sondern wählt aus den verschiedenen Gerichtsständen des Tatorts einen, nämlich den des Erscheinungsorts als allein maßgeblich aus. Daraus folgt, daß dann, wenn ein solcher, insbesondere wegen eines fehlenden oder falschen Impressums, nicht ohne weiteres festgestellt werden kann, wieder auf die allgemeine Regel des § 7 Abs. 1 StPO zurückgegriffen werden kann und muß (vgl. Paulus in KMR, Stand Februar 1997, § 7 Rdn. 13).

Auch im Hinblick auf den Gerichtsstand des Erscheinungsorts sind die landesgesetzlichen Vorschriften über das Impressum erlassen worden. Der Impressumszwang mit der Pflicht zur detaillierten Herkunftsangabe soll auch die notwendige strafrechtliche Verfolgung von Pressevergehen sicherstellen (Löffler Presserecht 4. Aufl. § 8 LPG Rdn. 2 und 7). Die Auffassung der Verteidigung, daß die Staatsanwaltschaft eine mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht vereinbare Wahlmöglichkeit hätte, wenn wegen eines Pressedelikts an jedem Verbreitungsort Anklage erhoben werden könnte, verkennt nicht nur die Gesetzessystematik, sondern auch den Umstand, daß die Angeschuldigten zielgerichtet unter Verstoß gegen die Vorschriften über das Impressum ("Flucht in die Anonymität") eine Begründung des Sondergerichtsstandes des Erscheinungsortes nach § 7 Abs. 2 StPO verhindert haben. Da sich aus dem Impressum der zu beurteilenden Druckschriften der Erscheinungsort nicht ergibt und dieser auch sonst nicht ohne weiteres festgestellt werden konnte, ist das Oberlandesgericht Koblenz, in dessen Bezirk die Druckschriften jedenfalls auch verbreitet worden sind (vgl. Ermittlungsakten des Generalbundesanwalts 2 BJs 201, 219, 235, 244 und 254/95-7), gemäß § 7 Abs. 1 StPO zur Entscheidung über die Zulassung der Anklage örtlich zuständig.

Über die Eröffnung des Hauptverfahrens hat der Senat entgegen dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nicht zu befinden. Das Oberlandesgericht hat die Eröffnung des Hauptverfahrens vor sich oder vor einem Gericht niedrigerer Ordnung in seinem Gerichtsbezirk mit der allein tragenden Begründung abgelehnt, daß eine örtliche Zuständigkeit nicht gegeben sei. Nach § 199 StPO muß jedoch zunächst das zuständige Gericht darüber entscheiden, ob das Hauptverfahren zu eröffnen ist. Nach Verneinung der örtlichen Zuständigkeit konnte das Oberlandesgericht in der Sache auch nicht hilfsweise gemäß § 204 StPO beschließen, daß das Hauptverfahren aus tatsächlichen oder Rechtsgründen nicht zu eröffnen sei. Weil eine beschwerdefähige Entscheidung in der Sache fehlt, ist die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (Rieß in Löwe/Rosenberg, 24. Aufl. StPO § 210 Rdn. 21; Treier in KK-StPO 3. Aufl. § 210 Rdn. 8; vgl. auch BGHSt 38, 312). Dieses wird über die Eröffnungsvoraussetzungen insgesamt, insbesondere auch über die Frage der Verjährung, sachlich zu entscheiden haben.

Externe Fundstellen: BGHSt 43, 122; NJW 1997, 2828; NStZ 1997, 447

Bearbeiter: Rocco Beck