hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 317/96, Urteil v. 27.11.1996, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 317/96 - Urteil vom 27. November 1996 (LG Bautzen)

BGHSt 42, 306; nachträgliche Gesamtstrafenbildung; Absehen vom Aufrechterhalten einer früher angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, wenn die Voraussetzungen für den weiteren Vollzug nicht mehr vorliegen; Anordnung der Sicherungsverwahrung neben Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

§ 55 Abs. 2 S. 1 StGB; § 63 StGB; § 66 StGB; § 72 StGB

Leitsatz

Bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB) kann jedenfalls dann davon abgesehen werden, eine im früheren Urteil ausgesprochene Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufrechtzuerhalten, wenn die Voraussetzungen für deren weiteren Vollzug nicht (mehr) vorliegen und dies von Bedeutung dafür ist, ob eine und gegebenenfalls welche neue freiheitsentziehende Maßregel aufgrund der abzuurteilenden Tat anzuordnen ist. § 72 Abs. 1 StGB hat insoweit Vorrang vor § 55 Abs. 2 S. 1 StGB. (BGHSt)

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bautzen vom 7. Februar 1996 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Das Landgericht hatte den Angeklagten, der Ende Januar 1993 eine tschechische Prostituierte auf einem Waldweg durch Überfahren getötet, diese sodann zu seinem Haus in B. geschafft und dort schließlich die Leiche verbrannt hat, mit Urteil vom 18. November 1994 wegen Körperverletzung mit Todesfolge und wegen versuchten Totschlags unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Halle vom 22. Februar 1994 (26 KLs 8/94) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt, seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet und gegen ihn Maßnahmen gemäß den §§ 69, 69a StGB verhängt. Auf die jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten hat der Senat dieses Urteil am 23. August 1995 mit den Feststellungen wegen rechtsfehlerhafter Beweiswürdigung und fehlerhafter rechtlicher Bewertung der festgestellten Tatsachen aufgehoben. Durch das angefochtene Urteil ist der Angeklagte nunmehr wegen Totschlags unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Halle vom 22. Februar 1994 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt worden; ferner hat das Landgericht gegen ihn wiederum die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet, ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und gegen ihn eine Sperre gemäß § 69a StGB für immer verhängt. Von der Aufrechterhaltung der mit dem gesamtstrafenfähigen Urteil des Landgerichts Halle vom 22. Februar 1994 gleichzeitig angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hat das Landgericht Bautzen, wie schon in dem ersten Urteil, abgesehen. Im ersten Urteil hat es dies mit der vom Senat als rechtsfehlerhaft beanstandeten Begründung, Maßnahmen der psychiatrischen Heilung bzw. Pflege hätten bei dem Angeklagten keine Aussicht auf Erfolg, gerechtfertigt. Die Ablehnung der Aufrechterhaltung der Maßregel des § 63 StGB hat das Landgericht nunmehr auf das Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen des § 63 StGB gestützt und deshalb die Maßregel gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB als gegenstandslos angesehen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision; diese ist wirksam auf den freiheitsentziehenden Maßregelausspruch beschränkt. Zwar hat der Angeklagte die Aufhebung des Urteils in vollem Umfang beantragt; wie aus der Revisionsbegründung jedoch zweifelsfrei zu entnehmen ist, erstrebt er lediglich die Aufhebung der Sicherungsverwahrung. Nur insoweit rügt er die Verletzung materiellen Rechts und führt im übrigen aus, die Beschränkung der Revision auf die Maßregel des § 66 StGB sei zulässig, weil sie nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe stehe. Das trifft unter den gegebenen Umständen zu (vgl. BGH NStZ 1994, 280, 281), so daß Schuld- und Strafausspruch, aber auch die gemäß §§ 69, 69a StGB gegen den Angeklagten verhängten straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen vom Rechtsmittelangriff ausgenommen und damit rechtskräftig sind.

Miterfaßt von der beschränkten Anfechtung ist das Urteil allerdings auch insoweit, als das Landgericht davon abgesehen hat, die mit dem Urteil des Landgerichts Halle vom 22. Februar 1994 gegen ihn angeordnete Maßregel nach § 63 StGB aufrechtzuerhalten. Die früher verhängte Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist in Anbetracht der Urteilsausführungen zur Gefährlichkeit des Angeklagten und mit Rücksicht auf die Vorschrift des § 72 StGB hier so eng mit der Anordnung der Sicherungsverwahrung verknüpft, daß eine Überprüfung dieser Maßregel nicht möglich ist, ohne den nicht angegriffenen Teil des freiheitsentziehenden Maßregelausspruchs mitzuberühren (vgl. BGHSt 29, 359, 364 ff.).

Das Rechtsmittel hat jedoch keinen Erfolg.

II.

1. Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler die Voraussetzungen des Art. 1 a Nr. 2 EGStGB a.F. als erfüllt erachtet und die Sicherungsverwahrung des Angeklagten auf § 66 Abs. 1 StGB gestützt.

a) Vergeblich wendet sich die Revision gegen die Wertung der festgestellten Lebensumstände des Angeklagten dahin, daß dieser zur Tatzeit Anfang 1993 seinen Lebensmittelpunkt und damit seine Lebensgrundlage in Ba. bei H. gehabt habe, wo er bei seiner Familie Wohnung genommen hatte und über die Woche einer beruflichen Tätigkeit nachging. Das Landgericht hat sich ausführlich mit den im einzelnen festgestellten und im Urteil gewürdigten Umständen auseinandergesetzt und insbesondere zutreffend dargelegt, daß die Absicht des Angeklagten, im Frühjahr 1993 wieder nach B. in Sachsen in sein dortiges Haus zu ziehen, lediglich auf zukünftiges Verhalten abzielte und nichts an dem Umstand änderte, daß er bis zu seiner Festnahme am 15. April 1993 seine Lebensgrundlage noch bei seiner Familie in Niedersachsen hatte.

b) Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht auch die formellen und materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB bejaht.

Als Vorverurteilungen im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB hat es zu Recht die Verurteilungen des Angeklagten durch das Kreisgericht Löbau vom 25. September 1985 (Hauptstrafe von einem Jahr und drei Monaten wegen fahrlässiger Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung) und vom 1. April 1987 in der Fassung des Urteils des Obersten Gerichts der DDR vom 15. Juni 1988 (Hauptstrafe von einem Jahr und drei Monaten wegen unter den erschwerenden Bedingungen des Rückfalls begangener vorsätzlicher Körperverletzung, Beleidigung und mehrfachen Betruges zum Nachteil sozialistischen Eigentums) angesehen. Es hat entsprechend den in der Rechtsprechung (vgl. BGHSt 26, 152, 154 f.; BGHR StGB § 66 Abs. 1 Vorverurteilung 6 und 9) für die Fälle der Vorverurteilung zu einer Einheitsjugendstrafe entwickelten Grundsätzen dargelegt, daß der Angeklagte jeweils eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hätte, sofern die Straftaten als Einzelstrafen abgeurteilt worden wären. So hat es anhand der mitgeteilten Strafzumessungserwägungen der früheren Urteile und eines Vergleichs der Strafrahmen der den jeweiligen Schuldsprüchen zugrundeliegenden Straftatbestände des StGB/DDR ausgeführt, daß der Angeklagte wegen der dem Urteil vom 25. September 1985 zugrundeliegenden versuchten Vergewaltigung und wegen der durch das Oberste Gericht der DDR bestätigten Verurteilung wegen der unter den erschwerenden Bedingungen des Rückfalls begangenen vorsätzlichen sexualbezogenen Körperverletzung zumindest eine Freiheitsstrafe von je einem Jahr verwirkt hätte. Es hat aufgrund der im Urteil mitgeteilten Verbüßungsdaten des Angeklagten auch belegt, daß diese Taten nicht wegen Zeitablaufs gemäß § 66 Abs. 3 Satz 3 und 4 StGB außer Betracht bleiben müssen.

Das sachverständig beratene Landgericht hat außerdem aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung der Person des Angeklagten und seiner Taten einen Hang zu erheblichen Straftaten, insbesondere auf sexuellem Gebiet, rechtsfehlerfrei bejaht und angenommen, daß der Angeklagte infolge dieses auf eingeschliffenen Verhaltensweisen beruhenden und von zunehmender Gewaltbereitschaft gekennzeichneten Hanges für die Allgemeinheit gefährlich ist.

2. Nicht zu beanstanden ist es ferner, daß das Landgericht die Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB aus Anlaß der abgeurteilten Tat deshalb verneint hat, weil es an einem geistigen Defekt von gewisser Dauer oder an einer einem solchen krankhaften Zustand gleichkommenden nichtpathologischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB, die zumindest eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten begründet, fehlt.

III.

Die Annahme des Landgerichts, die mit dem Urteil des Landgerichts Halle vom 22. Februar 1994 angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus sei gegenstandslos geworden, weil eine nach § 63 StGB hierfür notwendige gesetzliche Voraussetzung, die positiv feststehende erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB aufgrund eines länger dauernden Defekts, jedenfalls jetzt nicht mehr vorliegt, weil der Angeklagte nicht an einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB leidet, hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand. Das Landgericht durfte es aus diesem Grunde ablehnen, die frühere Maßregelanordnung nach § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB aufrechtzuerhalten.

Durch das genannte Urteil des Landgerichts Halle ist gegen den Angeklagten wegen einer am 30. Mai 1992 begangenen gefährlichen Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt worden. Der Angeklagte hatte an diesem Tag eine 14 Jahre alte Anhalterin in seinem Pkw mitgenommen und ihr, als sie seine Versuche, Zärtlichkeiten auszutauschen, zurückwies, aus Verärgerung sein Jagdmesser in den linken Oberbauch gestoßen, so daß die Bauchdecke und die Leber bis zur Leberarterie durchstochen worden war. Das Landgericht Halle hat anläßlich dieser Tat die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, weil es unter den damaligen Umständen und aufgrund des Gutachtens des damals allein gehörten Sachverständigen Prof. Dr. L. die "abnorme" Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB gewertet und festgestellt hat, daß er zum Zeitpunkt des damaligen Tatgeschehens in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen sei.

1. Da das dem angefochtenen Urteil zugrundeliegende Tötungsgeschehen Ende Januar 1993 vor dem Urteil des Landgerichts Halle vom 22. Februar 1994 begangen worden ist, liegen, wie auch das Landgericht Bautzen nicht verkannt hat, die Voraussetzungen einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB vor. In derartigen Fällen ist das für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung zuständige Gericht an die Rechtskraft der früheren Entscheidung nicht nur in Bezug auf die verhängten Einzelstrafen gebunden, sondern gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB auch verpflichtet, im Bereich der Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen angeordnete, noch nicht erledigte Rechtsfolgen aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.

Dies ist der Fall, wenn die neue Tat ihrerseits Grundlage für die Anordnung einer Nebenstrafe oder Maßregel bietet, die ihrer Wirkung nach die früher angeordnete miteinschließt (vgl. BGHSt 30, 305, 306 f.; BGH NJW 1979, 2113; NStZ 1992, 231). Eine solche, die frühere Maßregelanordnung nach § 63 StGB mitumfassende und sie damit miteinschließende bzw. ersetzende Rechtsfolge stellt die mit dem angefochtenen Urteil gegen den Angeklagten verhängte Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB nicht dar, da die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kein "geringeres", sondern ein "anderes Übel" als die Sicherungsverwahrung ist (BGHSt 5, 312, 314; BGH NStZ 1981, 390). Beide Maßregeln können grundsätzlich nebeneinander angeordnet werden (BGH NStZ 1995, 284 f. m.w.Nachw.), wenn sowohl die Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus als auch die der Sicherungsverwahrung vorliegen. Allerdings ist der auch bei mangelnder Therapierbarkeit des Täters zulässigen Maßregelanordnung nach § 63 StGB gemäß den Grundsätzen des § 72 StGB in der Regel der Vorzug einzuräumen (BGH NJW 1991, 1244; NStZ 1995, 284; vgl. auch Hanack in LK StGB 11. Aufl. § 72 Rdn. 24 f.).

Eine in einem früheren, gesamtstrafenfähigen Urteil verhängte Maßregel kann jedoch nicht nur durch spätere Anordnung weiterer, sie mitumfassender Maßnahmen im Sinne des § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB gegenstandslos werden, sondern auch dann, wenn ihre tatsächlichen oder rechtlichen Voraussetzungen für die weitere Vollstreckung entfallen sind. Dies ist in der Rechtsprechung für die Fälle tatsächlicher Erledigung infolge Zeitablaufs, wie es häufig bei der Maßregel des § 69a StGB in Betracht kommt, anerkannt (vgl. BGH StV 1983, 14; NStZ 1996, 433).

2. Welche tatsächlichen oder rechtlichen Fallgestaltungen nach dem Willen des Gesetzgebers durch den Begriff des Gegenstandsloswerdens in § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB erfaßt werden sollen, ist den Gesetzesmaterialien nicht eindeutig zu entnehmen. Diese erschöpfen sich vielmehr darin, das Verhältnis der fakultativen Aberkennung der Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden (§ 45 Abs. 2 StGB), zu der gesetzlich zwingend vorgesehenen (§ 45 Abs. 1 StGB) sowie das der vorbeugenden Verwahrung zu der Anordnung der Sicherungsverwahrung als Beispiele zu nennen (vgl. BT-Drucks. IV/650 S. 194 und BR-Drucks. 200/62 S. 194; BT-Drucks. V/4095 S. 24 zu § 70 AE 62 und § 76 Abs. 2 StGB a.F.). Daraus ist zunächst als Begriffsbestimmung abgeleitet worden, eine bereits früher angeordnete Nebenfolge werde nicht nur dann gegenstandslos, wenn sie durch eine andere, später verhängte Rechtsfolge mitumfaßt werde, sondern auch dann, wenn sie nach ihren Voraussetzungen nicht mehr begründet sei (vgl. Dreher/Tröndle StGB 47. Aufl. § 55 Rdn. 9; Schönke/Schröder/Stree StGB 24. Aufl. § 55 Rdn. 59; Vogler in LK StGB 10. Aufl. § 55 Rdn. 44 f.). Soweit die Ansicht vertreten wird, eine mit einer gesamtstrafenfähigen früheren Verurteilung verhängte Nebenfolge werde nur dann gegenstandslos im Sinne des § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB, wenn sie in der durch die neue Verurteilung zu verhängende Nebenfolge enthalten sei (vgl. Lackner StGB 21. Aufl. § 55 Rdn. 18; Samson/Günther SK-StGB § 55 Rdn. 21; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe, Rdn. 309 f.), liegt dieser Meinung das Bestreben zugrunde, auch solche Täter nicht zu benachteiligen, deren nachträglich abzuurteilende Tat lediglich die Grundlage für eine im übrigen inhaltlich gleiche Maßnahme wie die frühere Nebenfolgeentscheidung bietet. Um auch in diesen Fällen dem Grundgedanken des § 55 StGB Rechnung zu tragen, daß der Täter nicht schlechter oder besser gestellt werden soll, als er bei Aburteilung aller Taten durch die frühere Entscheidung gestanden hätte, muß es deshalb mit der Aufrechterhaltung der früheren Rechtsfolgenanordnung sein Bewenden haben (vgl. BGHST 30, 305, 306 f.; BGHR StGB § 55 Abs. 2 Aufrechterhalten 4 und 5).

3. Ähnlich gewichtige Gründe stehen der Annahme, eine frühere Maßregelanordnung nach § 63 StGB könne auch dann als gegenstandslos i.S.d. § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB angesehen werden, wenn die rechtlichen Voraussetzungen ihres Vollzugs nicht mehr erfüllt sind, nicht entgegen.

a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist, wie sich aus § 67 d Abs. 1 StGB ergibt, nicht mit einer gesetzlichen Höchstfrist versehen. Sie wird solange vollstreckt, wie der Täter noch unter einem Defektzustand im Sinne des § 63 StGB leidet, der ihn für die Allgemeinheit gefährlich macht. Solange ist sie auch nicht erledigt und eine frühere Maßregelanordnung nach Maßgabe des § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB aufrechtzuerhalten, auch wenn eine nachträglich abgeurteilte Tat ihrerseits Anlaß bieten würde, eine entsprechende Unterbringung des Angeklagten anzuordnen.

b) Aufgrund dieser gesetzlichen Ausgestaltung ergaben sich bei der Vollstreckung der Maßregel des § 63 StGB immer dann Schwierigkeiten, wenn sich nach deren Beginn herausstellte, daß die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht - mehr - vorlagen, weil kein geistiger oder psychischer Defekt im Sinne der §§ 20, 21 StGB gegeben war und die ärztliche Diagnose deshalb revidiert werden mußte. Da eine gesetzliche Regelung für diese Fälle fehlt - die Erledigung einer Maßregel nach § 63 StGB wäre nach dem Gesetz nur über den Weg einer erfolgreichen Aussetzung der Vollstreckung nach Ablauf der anschließenden Führungsaufsicht möglich (§ 67 g Abs. 5 StGB) - haben die Strafvollstreckungsgerichte im Wege der Rechtsfortbildung und in analoger Anwendung des § 67 c Abs. 2 Satz 5 StGB den Rechtssatz entwickelt, daß sich bei Wegfall der gesetzlichen Voraussetzungen des § 63 StGB die Unterbringung erledigt hat und nicht weiter vollstreckt werden darf, so daß der Untergebrachte sofort zu entlassen ist, selbst wenn von ihm erneute Straftaten in der Freiheit zu erwarten sind (vgl. OLG Nürnberg MDR 1961, 342; OLG Frankfurt NJW 1978, 2347 und StV 1985, 117; OLG Hamm NStZ 1982, 300; OLG Karlsruhe MDR 1983, 151 und Die Justiz 1987, 463). Diese richterliche Rechtsanwendung hat allgemeine Zustimmung (vgl. Dreher/Tröndle § 67 d Rdn. 5; Horn in SK-StGB § 63 Rdn. 23 und § 67 d Rdn. 13; Horstkotte in LK StGB 10. Aufl. § 67 c Rdn. 9 und § 67 d Rdn. 48; Schönke/Schröder/Stree § 67 d Rdn. 14; Volckart Maßregelvollzug 3. Aufl. S. 165 f.) und verfassungsgerichtliche Billigung (vgl. BVerfG - Kammerbeschluß - NJW 1995, 2405, 2406) gefunden.

c) Vor ein vergleichbares rechtliches Problem wird der im Erkenntnisverfahren für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung zuständige Richter gestellt, wenn er anläßlich einer von ihm abzuurteilenden Tat feststellt, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für den weiteren Vollzug einer durch das frühere Urteil angeordneten Maßregel nach § 63 StGB, die an und für sich gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB aufrechtzuerhalten wäre, nicht (mehr) vorliegen. Der Senat kann offen lassen, ob dem Gesamtstrafenrichter in derartigen Fällen prinzipiell die Möglichkeit eingeräumt werden muß, eine solche frühere Maßregelanordnung als gegenstandslos zu behandeln und sie nicht aufrechtzuerhalten, weil er im Vergleich zum Vollstreckungsverfahren aufgrund der von ihm durchgeführten Hauptverhandlung über die umfassendere Erkenntnisgrundlage verfügt und weil er ansonsten gehalten wäre, eine Maßregel aufrechtzuerhalten, von der er weiß, daß ihr weiterer Vollzug gesetzeswidrig wäre. Dahinstehen kann ferner, ob nicht auch schon der Umstand eine solche grundsätzliche Lösung nahelegt, daß es bei Veränderungen im Tatsächlichen anerkanntermaßen möglich ist, frühere Maßregelanordnungen im späteren Urteil nicht mehr aufrechtzuerhalten, weil sie sich - etwa durch Fristablauf - erledigt haben.

Der nach § 55 StGB zur Entscheidung berufene Gesamtstrafenrichter befindet sich jedenfalls dann in einer besonderen Entscheidungslage, wenn er aus Anlaß der von ihm abzuurteilenden Tat darüber zu befinden hat, ob gegen den Angeklagten die Unterbringung der Sicherungsverwahrung zu verhängen ist, die gemäß § 72 Abs. 1 StGB in Konkurrenz zu einer in dem gesamtstrafenfähigen früheren Urteil angeordneten Maßregel nach § 63 StGB tritt, deren rechtliche Voraussetzungen jedoch nicht (mehr) vorliegen. Denn die allein in seine Entscheidungskompetenz fallende Beantwortung der Frage, ob eine und gegebenenfalls welche freiheitsentziehende Maßregel neu zu verhängen oder neben einer früheren Maßregel anzuordnen ist, richtet sich - sofern die gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 63, 66 StGB jeweils für sich genommen gegeben sind - maßgeblich nach § 72 StGB, der auch im Rahmen der nachträglichen Gesamtmaßregelanordnung des § 55 Abs. 2 StGB Anwendung findet. Da sich Existenz und Regelungsinhalt der früheren in dem gesamtstrafenfähigen Urteil angeordneten Maßregel somit über die Vorschrift des § 72 Abs. 1 StGB unmittelbar auf die von dem späteren Richter in eigener Befugnis zu treffende Entscheidung auswirken, welche der freiheitsentziehenden Maßregeln er aus Anlaß der von ihm abzuurteilenden Tat anordnen darf bzw. muß, stellt sich die frühere Maßregelanordnung nicht lediglich als fortgeltender Bestandteil des früheren Rechtsfolgenausspruchs, sondern auch als Teil des dem späteren Richter obliegenden Gesamtrechtsfolgenausspruchs dar. Deshalb ist der für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB zuständige Richter jedenfalls dann befugt, von der Aufrechterhaltung einer früheren freiheitsentziehenden Maßregel abzusehen, wenn die Voraussetzungen für deren weiteren Vollzug nicht (mehr) vorliegen und dies von Bedeutung dafür ist, ob und gegebenenfalls welche neue freiheitsentziehende Maßregel gegen den Angeklagten anzuordnen ist. Eine andere, ausschließlich am Wortlaut des § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB orientierte rechtliche Lösung derartiger Konfliktfälle würde dem Umstand nicht Rechnung tragen, daß auch der zur nachträglichen Gesamtstrafenbildung berufene Richter in den Fällen der Maßregelkonkurrenz den nach § 72 Abs. 1 StGB erforderlichen und gebotenen Maßregelausspruch zu treffen hat, der der Gesamtpersönlichkeit des Angeklagten und dem Gesamtbild seiner Taten gerecht wird. Insoweit hat § 72 Abs. 1 StGB Vorrang vor § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB.

d) Eine andere Rechtsanwendung würde außerdem zu widersinnigen und unpraktikablen Ergebnissen führen. Im vorliegenden Fall hätte die strikte Bindung an den Wortlaut des § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB zur Folge, daß die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus durch das Urteil des Landgerichts Halle vom 22. Februar 1994 aufrechterhalten werden müßte, gegebenenfalls analog § 354 Abs. 1 StPO durch das Revisionsgericht, obwohl feststeht, daß es an der von Gesetzes wegen erforderlichen zumindest erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten infolge eines geistigen Defekts oder einer sonstigen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB fehlt; diesem Umstand könnte erst der Vollstreckungsrichter durch seine Erledigungserklärung Rechnung tragen. Zugleich wäre die mit dem angefochtenen Urteil angeordnete Sicherungsverwahrung durch das Revisionsgericht aufzuheben und das Verfahren insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, damit der Tatrichter seinerseits abwartet und erst dann neu entscheidet, wenn die Maßregelanordnung nach § 63 StGB durch das Vollstreckungsgericht für erledigt erklärt worden ist, andernfalls der Tatrichter eine Maßregel nach § 66 StGB mit Rücksicht auf die noch existierende frühere Maßregelanordnung nach § 63 StGB und aus Verhältnismäßigkeitsgründen - möglicherweise - nicht anordnen könnte. Unterbleibt aber die Anordnung der Unterbringung der Sicherungsverwahrung im Urteil, kann auch der Vollstreckungsrichter den Verurteilten nicht in den Vollzug dieser Sicherungsmaßregel überweisen, wenn zwar die für den Vollzug einer Unterbringung nach § 63 StGB erforderliche Störung nicht mehr vorliegt, der Verurteilte jedoch nach wie vor für die Allgemeinheit gefährlich ist. § 67 a StGB sieht eine solche Überweisungsmöglichkeit während des Vollstreckungsverfahrens nicht vor. Der Angeklagte würde damit unter Umständen im Ergebnis besser gestellt als er gestellt gewesen wäre, wenn alle Taten gleichzeitig abgeurteilt worden wären. Auch diese Erwägungen sprechen letztlich dafür, eine frühere Maßregelanordnung nach § 63 StGB, die in Konkurrenz zu einer neu zu verhängenden freiheitsentziehenden Maßregel treten würde, als gegenstandslos im Sinne des § 55 Abs. 2 Satz 1 StGB anzusehen, wenn die Voraussetzungen ihrer Vollstreckung zum Zeitpunkt der nachträglichen Gesamtstrafenbildung nicht (mehr) vorliegen.

Externe Fundstellen: BGHSt 42, 306; NJW 1997, 875

Bearbeiter: Rocco Beck