hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 550/95, Beschluss v. 06.12.1995, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 550/95 - Beschluss vom 6. Dezember 1995 (LG Leipzig)

BGHSt 41, 374; erneute Bildung einer Gesamtstrafe, wenn bei einer früheren Gesamtstrafenbildung die Festsetzung einer Einzelstrafe fehlt; Gesamtstrafenbildung unter Abweichung von § 39 StGB.

§ 54 StGB; § 55 Abs. 1 StGB; § 39 StGB

Leitsatz des BGH

Hat es der frühere Tatrichter, dessen Gesamtstrafe zum Zweck einer neuen Gesamtstrafenbildung in ihre Einzelstrafen aufzulösen ist, verabsäumt, für eine Tat eine bestimmte Einzelstrafe festzusetzen, so darf der spätere Gesamtstrafenrichter die fehlende Einzelstrafe nicht durch eine fiktive ersetzen; er hat sie vielmehr bei der neuen Gesamtstrafenbildung außer Betracht zu lassen. (BGHSt)

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 10. April 1995 im Ausspruch über die erste Gesamtfreiheitsstrafe dahin abgeändert, daß der Angeklagte statt zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren zu einer solchen von zwei Jahren zehn Monaten und einer Woche verurteilt wird.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung unter Auflösung der Gesamtstrafe einer früheren Verurteilung in ihre Einzelstrafen und deren Einbeziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren, sowie wegen sexueller Nötigung und wegen Vergewaltigung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen die Schuldsprüche, die Einzelstrafaussprüche und den Gesamtstrafenausspruch in Höhe von drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe richtet, der die Einzelstrafen umfaßt, die für die am 27. September 1993 begangenen Taten verhängt worden sind. Insoweit hat die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Hingegen hält der erste Gesamtstrafenausspruch in Höhe von drei Jahren Freiheitsstrafe rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Das Landgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß mit der für die im vorliegenden Verfahren abgeurteilte Vergewaltigung vom 30. Januar 1993 verhängten Einzelstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten Freiheitsstrafe sowie der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Grimma vom 30. November 1993 und der bereits in diese Verurteilung gemäß § 55 StGB einbezogenen Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Grimma vom 23. Februar 1993 in Höhe von einem Monat Freiheitsstrafe, die beide noch nicht erledigt sind, eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden ist. Denn sowohl die Vergewaltigung vom 30. Januar 1993 als auch die dem Urteil vom 30. November 1993 zugrundeliegende, am 29. Januar 1993 begangene Tat lagen vor dem Urteil vom 23. Februar 1993, das daher Zäsurwirkung entfaltet. Das Landgericht hat deshalb auch zutreffend die durch die Verurteilung vom 30. November 1993 gebildete Gesamtstrafe von sieben Monaten Freiheitsstrafe in ihre Einzelstrafen zum Zwecke der Gesamtstrafenbildung mit der für die Tat vom 30. Januar 1993 verhängten Einzelstrafe aufgelöst. Jedoch ist, wie das Landgericht dargelegt hat, dem Urteil vom 30. November 1993 nur die der Höhe nach bereits feststehende und in dieses Urteil einbezogene Einzelstrafe von einem Monat Freiheitsstrafe aus der Verurteilung vom 23. Februar 1993 zu entnehmen, eine konkrete, der Höhe nach bestimmte Einzelstrafe für die am 30. November 1993 abgeurteilte Tat vom 29. Januar 1993 hingegen nicht. Diese fehlende Einzelstrafe hat das Landgericht nunmehr mit sechs Monaten und einer Woche Freiheitsstrafe selbst festgesetzt. Deren Höhe hat es entsprechend den Grundsätzen des § 54 Abs. 1 Satz 2 StGB und des § 54 Abs. 2 Satz 1 StGB aus der feststehenden Einzelstrafe (ein Monat Freiheitsstrafe) des Urteils vom 23. Februar 1993 sowie der ebenfalls feststehenden Gesamtfreiheitsstrafe des Urteils vom 30. November 1993 (sieben Monate) als die niedrigste in Betracht kommende damalige Einsatzstrafe errechnet und in die mit der für die Tat vom 30. Januar 1993 verhängten Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten neu gebildete Gesamtfreiheitsstrafe (drei Jahre) einbezogen.

Diese Verfahrensweise ist unzulässig. Zwar ermächtigt und verpflichtet § 55 StGB den Tatrichter, in rechtskräftige frühere Gesamtstrafen einzugreifen und gibt ihm auch die Befugnis, etwa eine unter Mißachtung der Zäsurwirkung eines früheren Urteils gebildete und deshalb fehlerhafte Gesamtstrafe aufzulösen und die Gesamtstrafenbildung insgesamt neu vorzunehmen (BGHSt 35, 243, 244 f.). Hat es der frühere Tatrichter, dessen Gesamtstrafe im Rahmen des § 55 StGB in ihre Einzelstrafen aufzulösen ist, um diese in eine neuzubildende Gesamtstrafe einbeziehen zu können, jedoch verabsäumt, für eine Tat überhaupt eine bestimmte Einzelstrafe festzusetzen, so liegt insoweit auch keine richterliche Entscheidung vor (BGHSt 4, 345, 346 f.). Dem späteren Tatrichter, der gemäß § 55 StGB eine neue Gesamtstrafenbildung vorzunehmen hat, steht deshalb auch insoweit keine frühere rechtskräftig festgesetzte Einzelstrafe zur Einbeziehung zur Verfügung. Er hat diese bei der Gesamtstrafenbildung außer Betracht zu lassen und darf sie nicht aufgrund eigener Erwägungen nachträglich konstruieren. Um eine solche bloße nachträgliche Konstruktion handelt es sich hier, da jegliche Anhaltspunkte dafür fehlen, ob der frühere Tatrichter, was das Landgericht unterstellt, bei der Festsetzung der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten überhaupt von zutreffenden rechtlichen Grundsätzen ausgegangen ist und mindestens eine Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten und einer Woche festsetzen wollte. Ebenso möglich ist es, daß er in Verkennung der Vorschrift des § 54 StGB eine geringere Einzelstrafe für zulässig gehalten oder gemeint hat, einer konkreten Einzelstraffestsetzung bedürfe es unter den gegebenen Umständen nicht.

Somit war lediglich aus einer Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten sowie aus der Einzelfreiheitsstrafe von einem Monat aus dem Urteil vom 23. Februar 1993 eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden. Diese hat der Senat auf eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren zehn Monaten und einer Woche als die für den Angeklagten günstigste Gesamtstrafe festgesetzt. Den Grundsätzen der Gesamtstrafenbildung kann unter den vorliegenden Umständen nur entsprochen werden, wenn unter Abweichung von § 39 StGB die zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe von über einem Jahr nicht nur nach Jahren und Monaten, sondern auch nach Wochen bemessen wird (BGHSt 16, 167; BGH, Beschluß vom 13. November 1995 - 1 StR 622/95; Dreher/Tröndle StGB 47. Aufl. § 39 Rdn. 6).

Externe Fundstellen: BGHSt 41, 374; NJW 1996, 1220; NStZ 1996, 228; StV 1996, 264

Bearbeiter: Rocco Beck