hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 2/93, Urteil v. 12.05.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 2/93 - Urteil vom 12. Mai 1993 (LG Duisburg)

BGHSt 39, 216; bandenmäßiges unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln; Fortsetzungszusammenhand; "eingespieltes Bezugs- und Vertriebssystem".

§ 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 30a Abs. 1 BtMG

Leitsatz

Bei unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln liegt - von dem Ausnahmefall eines von vorneherein auf einen Gesamterfolg gerichteten Gesamtvorsatzes abgesehen - eine fortgesetzte Tat jedenfalls dann nicht vor, wenn in sich abgeschlossene, zeitlich voneinander trennbare Geschäfte mit größeren Mengen jeweils einzeln organisiert und durchgeführt werden. Bei einer solchen Fallgestaltung handelt es sich auch nicht um ein "eingespieltes Bezugs- und Vertriebssystem", das nach der Rechtsprechung bei sich gleichförmig wiederholenden, durch Routine gewissermaßen "automatisierten" Tatabläufen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln eine fortgesetzte Handlung zu begründen vermag. (BGHSt)

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 23. September 1991 wird mit der Maßgabe verworfen, daß die im Ausland erlittene Freiheitsentziehung (§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB) im Verhältnis 1:1 angerechnet wird.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen (fortgesetzten) Bandenhandels mit Betäubungsmitteln verurteilt. Mit seiner Revision macht der Angeklagte neben Ausführungen zum Strafausspruch mit der Sachrüge geltend, daß sich der Mittäter und er entsprechend der Wertung des Landgerichts nur zur Begehung einer einzigen, wenn auch fortgesetzten Tat, nicht aber - wie für die Bildung einer Bande erforderlich - zur mehrfachen Tatbegehung verbunden hätten. Deshalb sei er lediglich wegen (einfachen, fortgesetzten) unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, nicht aber wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln zu bestrafen.

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils. Denn nach den Feststellungen liegt entgegen der Auffassung des Landgerichts und der Revision eine fortgesetzte Handlung nicht vor. Der Senat kann allerdings den Schuldspruch nicht von sich aus dahin ändern, daß der Angeklagte des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in vier Fällen schuldig ist. Vielmehr muß diesem Gelegenheit gegeben werden, sich gegen die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes vor dem Tatgericht zu verteidigen (§ 265 Abs. 1 StPO).

Zutreffend weist die Revision darauf hin, daß es für die Anwendung des § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG nicht genügt, wenn sich die Täter von vorneherein nur zu einer einzigen, wenn auch fortgesetzten Tat verbunden haben (BGH NStZ 1992, 497; BGHR BtMG § 30 I 1 Bande 3; BGH bei Holtz MDR 1991, 296; etwas anderes ist auch nicht aus BGHSt 35, 374, 378 zu folgern). Das hat das Landgericht verkannt. Daß zur Bildung einer Bande nach dem Betäubungsmittelgesetz zwei Personen ausreichen, die nicht zeitlich und örtlich zusammenwirken müssen (BGHSt 38, 26), hat das Landgericht zutreffend angenommen; es wird von der Revision auch nicht in Frage gestellt.

Nach den Feststellungen war der Mittäter einerseits Verbindungsmann zu einer Gruppe, die Haschisch im Tonnenbereich von Marokko nach Spanien und Portugal schmuggelte, und andererseits zu einer Abnehmergruppe in den Niederlanden. Der Angeklagte konnte die erforderlichen Transporte organisieren und überwachen. Beide vereinbarten eine Arbeitsteilung dergestalt, daß der Mittäter die Kontakte zu den beiden Gruppen und die finanzielle Abwicklung übernahm, während sich der Angeklagte um die Kontakte zu Speditionsunternehmen, von denen er ein bestimmtes auswählte, die Tarnung, das Be- und Entladen und die Fahrer kümmerte. Konkrete Absprachen über die Anzahl und die Häufigkeit der beabsichtigten Schmuggelfahrten und die Menge des jeweils den Speditionstransporten beizuladenden Haschischs wurden nicht getroffen, weil es davon abhing, wieviel Haschisch nach Spanien oder Portugal geschmuggelt werden konnte. Jedenfalls sollten nach Ankündigung der jeweiligen Lieferung regelmäßig Fahrten über mehrere hundert Kilogramm Haschisch organisiert werden, an denen der Angeklagte insgesamt mindestens 100.000 hfl verdiente.

Bei der ersten Fahrt im Oktober 1984 dirigierte der Angeklagte den Fahrer nach Moraira bei Valencia, wo mindestens 15 Umzugskartons mit mindestens 300 kg Haschisch einer legalen Ladung Wein beigeladen wurden; die Fahrt nach Antwerpen überwachte der Angeklagte telefonisch. Bei dem zweiten Transport im Dezember 1984 brachte der Angeklagte selbst mindestens 200 kg Haschisch in Umzugskartons aus der Nähe von Malaga nach Madrid, wo sich ein Speditionsfahrzeug befand; dort wurde es einer Ladung von Metallstäben beigeladen. Die dritte Fahrt im Januar/Februar 1985 wurde vom Angeklagten mit 500 kg Haschisch von Lissabon aus organisiert. Dort wurden auch zum vierten Transport 17 Umzugskartons mit 417,5 kg Haschisch geladen, die ebenfalls über Belgien in die Niederlande gebracht werden sollten. Bei der Ladung der legalen Fracht in Porto wurde das Haschisch jedoch beschlagnahmt.

Rechtlich unzutreffend hat das Landgericht bei dieser Sachlage eine fortgesetzte Tat mit der Begründung angenommen, daß sich die Täter entsprechend des bei Betäubungsmittelgeschäften zur Bejahung des Gesamtvorsatzes ausreichenden eingespielten Bezugs- und Vertriebssystems bei ihrer als unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu wertenden Kuriertätigkeit eines "eingespielten Transportsystems" bedient hätten, weil es sich ausschließlich um LKW-Fahrten von Spanien oder Portugal über Belgien in die Niederlande unter Einbindung nur eines bestimmten Transportunternehmens gehandelt habe. Vielmehr haben der Angeklagte und sein Mittäter lediglich auf der Grundlage eines verabredeten allgemeinen Tatentschlusses gehandelt und sich für gewisse Dauer zur Begehung mehrerer selbständiger, im einzelnen noch ungewisser gleichartiger Taten verbunden, bei denen die ungefähre Art der Tatbegehung und die Rollenverteilung wie etwa bei einer Diebesbande vereinbart waren. Erforderlich war zur Begehung jeder bis dahin ungewissen Tat, daß der Angeklagte aufgrund eines konkreten Tatentschlusses das allgemein ins Auge gefaßte Vorhaben verwirklichte und den jeweiligen im Tatablauf nicht vorhersehbaren Transport organisierte und durchführte. Der - beim Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in nicht geringen Mengen im Hinblick auf dessen Besonderheiten ohnehin seltene - Ausnahmefall des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln aufgrund eines von vorneherein auf einen Gesamterfolg gerichteten, nach und nach verwirklichten Gesamtvorsatzes (BGHSt 36, 105, 110; 320, 321), lag nicht vor (vgl. auch BGHSt 35, 318, 322).

Nach Auffassung des Senats kann im übrigen ein "eingespieltes Transportsystem", das wegen der Organisation von Fall zu Fall nicht vorlag, nicht dem von der Rechtsprechung in Fällen des unerlaubten Betäubungsmittelhandels zur Begründung einer fortgesetzten Handlung als ausreichend angesehenen eingespielten Bezugs- und Vertriebssystem gleichgesetzt werden. Denn irgendein "eingespieltes System bei strafbarem Umgang mit Betäubungsmitteln" genügt den Anforderungen nicht, vielmehr muß es sich um ein eingespieltes Bezugs- und Vertriebssystem handeln, das begrifflich nur bei unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln möglich ist (BGH NStZ 1992, 389). Nicht fraglich ist, daß auch mit Gewinn arbeitende Transporteure von Betäubungsmitteln eine eigennützig, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit ausüben, die die einverständliche Übertragung von Betäubungsmitteln von einer auf eine andere Person zum Endziel hat, also mit Betäubungsmitteln im Rechtssinne Handel treiben (vgl. etwa BGHR BtMG § 29 I 1 Handeltreiben 18). Die Besonderheit des Falles besteht allerdings darin, daß die Mitglieder der Bande stets von bestimmten Lieferanten bezogen und an bestimmte Abnehmer geliefert haben.

Dennoch sind die Voraussetzungen einer fortgesetzten Handlung nicht erfüllt. Entscheidend ist nämlich, daß bei der Gestaltung der Tatbegehung nicht von einem eingespielten Bezugs- und Vertriebssystem im Sinne der Rechtsprechung gesprochen werden kann. Die Rechtsprechung hat bei unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zur Annahme eines Gesamtvorsatzes in der Regel die Feststellung eines eingespielten Bezugs- und Vertriebssystems ersichtlich auch aus praktischen Erwägungen insbesondere bei Kleindealern im täglichen sich ständig gleichförmig wiederholenden Kleinstmengengeschäft ausreichen lassen, wenn der Täter sich eines solchen eingespielten Bezugs- und Vertriebssystems bedient, ohne für jedes Einzelgeschäft einen neuen Tatentschluß fassen zu müssen (für viele BGH StV 1983, 19, 20; BGHR BtMG § 29 I 1 Fortsetzungszusammenhang 8, 9; StGB fH Gesamtvorsatz 26), wenn also die einzelnen Taten als nach und nach verwirklichte Einzelakte eines letztlich auf einen Gesamterfolg gerichteten Handelns erscheinen (BGH NStZ 1992, 497), also durch Routine gewissermaßen ein "automatisierter" Tatablauf vorliegt. Ob an dieser Rechtsprechung im Hinblick auf die - besonders auch gegen die wie in eingespielten Vertriebs- und Schmuggelsystemen agierenden Tätergruppen - gerichtete Zielsetzung des Gesetzes zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (Org KG) vom 15. Juli 1992 (BGBl I 1302) festzuhalten ist, muß überdacht werden.

Unabhängig davon handelt es sich aber nicht um ein solches "eingespieltes Bezugs- und Vertriebssystem", wenn in sich abgeschlossene, zeitlich voneinander trennbare Geschäfte mit größeren Mengen jeweils einzeln organisiert und durchgeführt werden. Jede andere Handhabung würde dem § 30 Abs. 1 Nr. 1 BtMG zugrundeliegenden gesetzgeberischen Willen, der durch § 30a BtMG in der Fassung des bezeichneten Gesetzes vom 15. Juli 1992 verstärkt zum Ausdruck gekommen ist, widersprechen. Denn gerade die oft in "eingespielten Systemen" ausgeführte Bandentätigkeit soll in verstärktem Maße bekämpft und wirkungsvoller bestraft werden. In diesem Sinn hat auch der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einem Fall entschieden, in dem der Angeklagte als "Leiter des Bereichs 'Auslieferung und Verkauf in Europa'" Heroinkurierfahrten in Europa organisierte und begleitete, dort die Betäubungsmittel verkaufte und den Erlös nach Hongkong transferierte, obwohl "er im Dienste einer Gruppierung stand, die sich mit dem Ziel verbunden hatte, auf Dauer in der beschriebenen oder ähnlichen Weise durch den illegalen Handel mit harten Drogen hohe Gewinne zu erzielen" (BGHR BtMG § 30 I 1 Bande 3). Auch nach Ansicht des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs ist es nur in Ausnahmefällen nach eingehenden Feststellungen zu den Einzelheiten des Vorgehens des Täters möglich, eine "umfangreiche und zeitlich ausgedehnte Geschäftstätigkeit (beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln) zu einer einzigen Handlung im Rechtssinne zusammenzufassen" (Urteil vom 20. Mai 1992 - 2 StR 143/92, insoweit in NStZ 1993, 51 nicht abgedruckt).

Soweit die Entscheidungen in NStZ 1981, 303 und BGHR BtMG § 29 I 1 Fortsetzungszusammenhang 1 entgegenstehen sollten, hält der Senat nicht an ihnen fest. Die Urteile des 1. Strafsenats vom 11. Februar 1993 (1 StR 419/92) und des 2. Strafsenats vom 7. April 1993 (2 StR 517/92) betreffen anders gelagerte Sachverhalte.

Inwieweit die Geldstrafe in Belgien tatsächlich getilgt und auf die Freiheitsstrafe anzurechnen ist, wird in der neuen Verhandlung festzustellen sein.

Externe Fundstellen: BGHSt 39, 216; NJW 1993, 2818; NStZ 1993, 443; StV 1993, 418

Bearbeiter: Rocco Beck